Neben Expeditionsschiffen sind in der Arktis auch immer öfter große Luxuskreuzfahrtschiffe zu sehen.

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Die Arktis fehlt in keiner Auflistung der zukünftigen geopolitischen Hotspots dieser Welt. So gut wie alle acht Anrainerstaaten haben in den vergangenen Jahren – vor dem Hintergrund des schmelzenden Eises – ihre militärischen Bemühungen in dieser Region intensiviert. Sogar Nichtanrainerstaaten wie China betrachten sich neuerdings als "arktisnahe Nation".

Analysten streiten seither darüber, ob es sich dabei um den Beginn eines unvermeidbaren Großmächtekonflikts handelt oder ob es doch nur ein lautes Säbelrasseln ist, um sich in eine günstige Position für die Ausbeutung der verschiedenen Ressourcen und die Kontrolle der lukrativen Handelsrouten zu bringen.

Die gute Nachricht: Dort, wo die meisten Bodenschätze liegen – innerhalb der exklusiven Wirtschaftszonen der Staaten –, sind die Grenzziehungen relativ unumstritten. Um die erweiterten Festlandsockel tobt jedoch ein erbitterter, patriotischer Streit. Noch ist er glücklicherweise rein wissenschaftlich.

Militär

Eisfreie Häfen und U-Boot-Tummelplatz

Russland sieht die Arktis als seinen natürlichen Hinterhof. Das aggressive Verhalten auf der Krim und in Syrien war auch den fehlenden Warmwasserhäfen geschuldet. Je länger die eisfreien Perioden nun andauern, desto agiler wird auch die russische Marine entlang ihrer nördlichen Flanke.

Der größte Anrainerstaat samt mächtiger U-Boot- und Eisbrecherflotte ist just auch jener, der China durch strategische Partnerschaften einen Fuß in der Tür zur Arktis bieten könnte. Dagegen rüsten sich zusehends die Nato-Mitglieder USA, Kanada, Island, Norwegen und Dänemark mit gemeinsamen Manövern. Dominierten unter Barack Obama noch klimapolitische Überlegungen, so fokussiert die US-Arktis-Agenda unter Präsident Donald Trump auf militärische Aspekte.

Spannende Einblicke über die Ambitionen der arktischen Staaten bietet die Vox-Borders-Reihe.
Vox

Bodenschätze und Fischerei

Ein wissenschaftlicher Kampf um den Sockel

13 Prozent der bisher unerschlossenen Erdöl- und 30 Prozent der Erdgasreserven schlummern unter dem arktischen Eis. Lange schien die Förderung technisch unmöglich, schon bald wird sie aber lukrativer. Das UN-Seerechtsabkommen räumt seinen Mitgliedern (alle Anrainer, außer den USA) zudem ein Recht auf die Verlängerung ihres Festlandsockels über die Grenze der exklusiven Wirtschaftszone hinaus ein, sofern sie dies wissenschaftlich untermauern können. Wer recht bekommt, hat in bilateralen Verhandlungen gute Chancen, die mannigfaltigen Bodenschätze – nicht aber die Fischbestände darüber – exklusiv verwerten zu dürfen. Großer Zankapfel ist der 1800 Kilometer lange Lomonossow-Rücken unter dem Nordpol, den Dänemark, Kanada, Russland für sich beanspruchen.

Logistik

Drastische Einsparungen dank neuer Routen

Unsere von der Mercator-Projektion dominierte Sicht auf die Weltkarte lässt oft vergessen, dass es viel schnellere Routen von Europa nach Asien oder Kanada gibt – stünde dem nicht das arktische Eis im Weg. Bereits 2008 waren die Nordwest- und die Nordostpassage erstmals zeitgleich eisfrei und damit für Handelsschiffe befahrbar – ein Schauspiel, an das wir uns gewöhnen müssen. Das zusehende Abschmelzen der Eiskappe und die geringere Eisdicke durch mildere Temperaturen im Winter erlauben immer direktere Routen.

Noch braucht es in den Sommermonaten vielerorts Eisbrecher...
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Neueste Modelle sehen sogar ein Abschmelzen der gesamten Eisfläche bis zur Mitte des Jahrhunderts als realistisch an. Was Klimaforschern schlaflose (Tropen-) Nächte beschert, freut Handelstreibende. Die Nordostpassage verkürzt Frachtzeiten um bis zu ein Drittel und lässt unweigerlich Vergleiche mit den für die Globalisierung so bedeutsamen Kanälen am Golf von Suez und in Panama aufkommen.

...schon bald werden laut Forschermodellen aber weite Teile der Arktis auch für herkömmliche Schiffe schiffbar sein.
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Klima und Tourismus

Kippeffekte und Kreuzfahrten

Die verheerende CO2-Bilanz von Kreuzfahrtschiffen ist hinlänglich bekannt. Dass nun ausgerechnet sie aufgrund des abschmelzenden Eises vermehrt in der vom Klimawandel so hart getroffenen Polarregion nachgefragt werden, ist durchaus grotesk. Tatsächlich boomt die Industrie aber. Luxusdampfer mit mehr als 1000 Passagieren cruisen mittlerweile regelmäßig entlang der neuen Routen und halten in Hafenstädten, deren Bevölkerung durch absteigende Passagiere kurzfristig verdoppelt wird. Mittlerweile werden sogar zahlreiche Tagestrips zu den idyllischen Städtchen nördlich des Polarkreises angeboten.

Gleichzeitig purzeln die Wärmerekorde. Unfassbare 38 Grad wurden im sibirischen Norden heuer gemessen. Zwar können die indigenen Völker der Arktisregion im Arktischen Rat ihre Bedenken äußern – inwieweit sie im Großmächtepoker aber gehört werden, ist von Nation zu Nation teils oft sehr unterschiedlich. (Fabian Sommavilla, 22.8.2020)