Chronik-Chefin Rosa Winkler-Hermaden (Mitte) diskutierte am Praterstern mit Stadtgeografin Yvonne Franz und Verkehrsexperte Harald Frey über Mobilität in Wien.

Foto: Regine Hendrich

Die autofreie Innenstadt, Pop-up-Radwege und die Parkraumbewirtschaftung in der Hauptstadt: Projekte der rot-grünen Stadtregierung, die den motorisierten Verkehr beruhigen, gar zurückdrängen sollen, regen auf. Vor allem lassen sie die Wogen bei der Opposition und bei Autofahrern hochgehen. Es scheint, als verursache jeder einzelne Parkplatz, der wegfällt, Unmut.

Das bestätigte am Mittwoch auch Yvonne Franz. "Es wird vor allem von den Autofahrern als eine Provokation angesehen, aber das ist ein guter Start", erklärte die Stadtgeografin. Sie besetzte bei der ersten "Wien spricht im Grätzel"-Diskussion zum Thema Verkehr einen der beiden Expertenstühle am Praterstern. Moderiert wurde die Debatte von Chronik-Ressortleiterin Rosa Winkler-Hermaden.

Projekte, wie der Pop-up-Pool am Wiener Gürtel, wofür das Kreuzungsplateau gesperrt werden musste, regen nicht nur die Gemüter auf – sondern auch die Debatte an, betonte Franz.

Verdrehte Debatte

Für den Verkehrsexperten Harald Frey stellt diese Aufregung jedoch eine Umkehr der Diskussion dar. So seien es nicht die Autofahrer, die provoziert würden, sondern all jene in der Bevölkerung, die auf den vierrädrigen Untersatz verzichten würden. "Die Provokation findet eigentlich durch den Autoverkehr statt", sagte Frey. "Wir akzeptieren das, weil es über Jahrzehnte so gelebt wurde."

Dabei sind jene Verkehrsteilnehmer, die andere Mobilitätsmöglichkeiten nutzen, klar in der Überzahl. Im Modal Split für das Jahr 2019 legten laut Stadt Wien 25 Prozent der Wiener ihre Wege mit dem Auto zurück.

DER STANDARD

Der große Rest von 75 Prozent gehöre zum "Umweltverbund" der klimafreundlichen Verkehrsteilnehmer, betonte Frey. So nutzen 38 Prozent die Öffis, 30 Prozent gehen zu Fuß, und sieben Prozent sind mit dem Rad unterwegs.

Das Ziel sei es, sagte Frey, den Anteil des Autoverkehrs auf zehn bis 15 Prozent zu drücken. Ein Gratis-Öffiticket, wie es die Grünen in Wien zumindest für ein Jahr fordern, hält Frey allerdings nicht für notwendig. "Es ist keine Frage des Geldes, sondern der Qualität", erklärte der Verkehrsexperte. So ist das Ticket der Wiener Linien mit 365 Euro pro Jahr im Vergleich mit anderen Großstädten bereits sehr billig. Doch sei die Infrastruktur für Autofahrer noch zu bequem, um umzusteigen.

Gute Infrastruktur

Bequemlichkeit, beziehungsweise eine gute Infrastruktur, spielt in der Verkehrsmittelwahl eine große Rolle. Das sieht man beispielsweise auch an den steigenden Radfahrerzahlen am Wiener Praterstern (siehe Artikel rechts). Im Zuge des Corona-bedingten Lockdowns wurde auf der Praterstraße der erste Pop-up-Radweg Wiens eröffnet.

Auf der Straße herrsche immer ein "Ausverhandlungsprozess" über den zur Verfügung stehenden Platz, sagte Franz. Die Pop-up-Bikelanes seien ein erster Schritt, um zu zeigen, dass dieser auch unter den Verkehrsteilnehmern "umverteilt werden kann", betonte die Stadtgeografin und äußerte den Wunsch, dass "diese Projekte nicht nur ein Experiment bleiben".

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Der Pool am Gürtel etwa zeige eine "kreative Lösung" zweier Bezirke – des siebenten und 15. –, die "keinen Überfluss an freien und öffentlichen Flächen haben", so Franz. Denn der Raum in der Stadt sei "die größte Ressource" – wie auch in der Coronavirus-Krise deutlich geworden ist.

Die temporären Einrichtungen seien eine gute Möglichkeit auszuprobieren, was alles möglich ist, so Franz. Allerdings: "Ob coole Straßen die Antwort auf den Klimawandel sind? Ich denke, da wird es radikalere Maßnahmen brauchen." (Oona Kroisleitner, 20.8.2020)