Der Muth in Wien-Heiligenstadt ist einer der ältesten – und schönsten – Heurigen der Stadt. Jetzt hat er wieder offen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Im Welser, gleich nebenan, saßen immer jene Gäste, die zum Heurigenbesuch auch Backhendl und Schnitzel, Spareribs und gebackene Champignons, allerhand gratinierte Aufläufe, sogar Spargel mit zweifelhafter Hollandaise greifbar wissen mussten – und ein bisserl eine Musi sowieso. Der Muth hingegen hatte den ungleich lauschigeren Garten mit riesigen alten Bäumen, mit Kiesboden, mit wirklich prachtvollen Blumen. Besseren Wein sowieso und ein vergleichsweise bescheidenes, familiär geführtes Buffet.

Das ist alles lange her, Familie Muth wohnt zwar noch im Haus und pflegt auch die Blumen, der Wein samt Heurigem ist aber längst verkauft. Vinifiziert wird bei Mayer am Pfarrplatz, die Pächter wechselten mit unschöner Regelmäßigkeit. Die letzten drei Jahre war überhaupt geschlossen. Und der Welser? Hat auch schon lange zu, an seiner Stelle ist jetzt ein Restaurant. Keine guten Zeiten für das Weltkulturerbe Wiener Heuriger. Von 280 Betrieben, die noch in den 1950ern im 19. Bezirk ausg’steckt hatten, waren zuletzt kaum noch 40 übrig.

Lauschig wie eh und je

Sicher, die Ansprüche an auswärtiges Essen sind in den vergangenen Jahrzehnten nicht kleiner geworden, und die Versuche der Heurigenwirte, darauf zu reagieren, gingen meist mehr in Richtung "möglichst viel" als "möglichst gut". Ein letschertes Schnitzel aus der Warmhaltevitrine und Erdäpfelsalat aus dem Fertigkübel sind aber nicht das, was die Wiener aus der Stadt lockt, fragwürdige Fleischlaberl und Schinkenfleckerl aus Rauchfleischresterln ebenso wenig.

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Der Muth hat mit fixen Aussteck-Terminen wieder aufgesperrt, der Garten ist lauschig wie eh und je, die Oleander blühen um die Wette, und auch sonst ist alles gründlich herausgeputzt. Michael Landrichter heißt der neue Pächter, ein Mann, der die vergangenen 20 Jahre im Dornbacher Stift St. Peter Gutsverwalter war – und den weithin gerühmten Heurigen betrieb.

Gekocht wird abwechselnd von Traude Horvath (vom früheren Horvath am Naschmarkt) und der Gastro-Unternehmensberaterin Doris Knor, abends aus der Küche geschossen werden die Sachen von Wahiba "Donna" Kaboud, einer 22 Jahre alten Syrerin. Hinweis für aus christlicher Eigenliebe motivierte Bedenkenträger: Niemand muss hier wegen kurzfristigen Schweinefleischverzichts um die eigene Existenzsicherung wie um jene des Abendlandes fürchten: Wampe gesichert, Blunzenstrudel, Krustenbraten und andere Schweinereien sind explizit auch Teil des Angebots.

Sulz als Salat

Der eigentliche Fokus wird, wie es sich gehört, aufs kalte Buffet gelegt. Da darf man sich auf herausragende Aufstriche (Ei! Liptauer!) und Salate freuen, mit knackig blanchierten Karotten in Zitrus-Dressing und Schwarzkümmel zum Beispiel, wirklich verdammt gut, oder, ebenso frech wie bezwingend, mit hauchdünn geschnittener Sulz, Stangenzeller, Jungzwiebel und allerhand Kräuteln.

Der Fokus wird aufs kalte Buffet gelegt.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Hendlleberpastete ist Pflicht, der Gewürzspeck fein, die marinierten Linsen schlicht fantastisch. An warmen Sachen gibt es täglich etwas anderes. Das kann eine mehr als anständige Steinpilzsauce mit Semmelknödel sein, ein beschwingt abgeschmeckter Blunzenstrudel, am Sonntag ein Bratl – oder, wenn man richtig Glück hat, Paprika, die mit lockerem, sanft abgeschmecktem Faschiertem gefüllt sind, mit zart-fruchtiger Bitterkeit betören und in einer Paradeissauce baden, die ideal mollige Wiener Küchenseligkeit verbreitet. Und das ist allemal die Mühe wert, sich aus der Stadt hinaus ins Grüne zu begeben. Aber Achtung: Ohne Reservierung geht hier nur selten etwas, es will nämlich jeder sitzen bleiben! (Severin Corti, 21.8.2020)

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