Das Urlaubsglück in Zeiten von Corona ist ein kleines Häuschen auf vier Rädern. Zwei Erwachsene und zwei Kinder sollte der Campingbus virenfrei durch den Sommer bringen. Doch halbwegs leistbare gebrauchte Modelle sind seit Monaten vergriffen. Als einzige Alternative bot sich einer obersteirischen Familie ein ausgedienter grüner Kastenwagen aus dem Straßenbau an. Mehr als 300.000 Kilometer hat er schon auf dem Buckel. Sauber geschrubbt und gedämmt, mit Fenstern, Solarzellen, Kühlbox und Matratzen versehen, rollt er dieser Tage in neuer Mission durch Österreich. "Der Weg ist unser Ziel", sagt seine neue Besitzerin Birgit. Wohin er genau führt, werden in den kommenden Wochen Wetter, Lust und Laune entscheiden.

Christian Gombotz lebt von der Sehnsucht nach Freiheit in den eigenen vier Wänden. Der Geschäftsführer von Gebetsroither verkauft und vermietet Wohnwagen wie Reisemobile. Seit dem Lockdown gehen sie weg wie die warmen Semmeln. Mehr als 300 Modelle hat er heuer verkauft, darunter auch äußerst kostspielige, die sich bisher nur wenige Camper leisteten. Produzenten kommen mit dem Liefern nicht mehr nach. Wer sich Reisemobile spontan mieten wollte, hatte ob des großen Andrangs das Nachsehen.

Corona stellt Österreichs Tourismus auf den Kopf. Für viele Betriebe wird es ein Jahr der Extreme. 80 Prozent der fehlenden ausländischen Gäste machen in Österreichs Ferienhotellerie Touristen aus dem eigenen Land wett. 50 Prozent der Hotels in österreichischen Städten blieben im Juli zum Start der Hochsaison Umfragen zufolge geschlossen.
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Für Gebetsroither ist der Sommer in Österreich heuer einer der besten seit Jahren, erzählt Gombotz. Auf neun Campingplätzen ist der steirische Familienbetrieb in Österreich mit seinen Fahrzeugen vertreten. "Wir sind völlig ausgebucht." Immer mehr Gemeinden und Investoren springen auf den Campingzug auf. Vier bis fünf neue Plätze sind Gombotz zufolge quer durchs Land in Planung.

Im Sog der Krise

Der Boom in Österreich täuscht nicht über Turbulenzen im Ausland hinweg. Gebetsroither vermietet 2.000 Wohnwägen und Mobilheime in acht Ländern, die Hälfte davon in Kroatien. Reisewarnungen im Sog der Krise werden das Unternehmen heuer den halben Jahresumsatz kosten.

Corona reißt eine tiefe Kluft im österreichischen Sommertourismus auf. Einzelne Branchen und Betriebe erleben die Saison ihres Lebens. Andere stehen vor dem Ruin.

"Die Schere geht weit auf", resümiert Michaela Reitterer, Chefin der Hoteliervereinigung. Flach am Boden liegt der Städtetourismus, der vor allem in Wien zu 80 Prozent von ausländischen Gästen lebt. Im Juli war noch die Hälfte der Hotels in der Bundeshauptstadt geschlossen. Die meisten eröffneten erst im August Zug um Zug neu. Sie starten mit Schuldenbergen und der Aussicht auf eine Auslastung von mageren 30 Prozent. "Es ist beinhart, eine Katastrophe", sagt Reitterer. Hilfen der Regierung, wie die Senkung der Umsatzsteuer, führten bei jenen, die sie am meisten nötig hätten, ins Leere.

Während in der Stadthotellerie infolge rarer Flugverbindungen tote Hose herrscht, erfährt die Sommerfrische auf dem Land eine Renaissance. Ob Wald- oder Mühlviertel, Kärntner Seen oder das Salzkammergut: Punktuell boomt das Geschäft. Statt drei Tagen blieben die Österreicher eine ganze Woche und buchten gegen ihre bisherigen Gepflogenheiten gleich auch fürs nächste Jahr. "Der Juli war trotz aller abgesagten Hochzeiten der stärkste Monat der Unternehmensgeschichte. Und es gibt uns seit vielen Generationen", sagt Mario Pulker, Hotelier in der Wachau und Spartenobmann der Branche in Niederösterreich.

Das Schlosshotel Seewirt auf der Turracher Höhe freut sich über zahlreiche Gäste aus Österreich, die massenweise die Berge stürmen. "Wir sind an sich ja traditionell ein Wintertourismus-Ort, aber diesmal ist auch im Sommer die Nachfrage extrem gut" , sagt Chefin Martina Gruber. Was auch Gutes für den Winter erahnen ließe.
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Auch Martina Gruber vom Schlosshotel Seewirt auf der Turracher Höhe zwischen der Steiermark und Kärnten spricht vom besten Sommer seit langem. Das sei den neuen Gästen aus Österreich zu verdanken, die die Berge stürmen. Durch die weitläufigen Wanderwege seien sie "gut verteilt", was Sicherheit vermittle. Es sei ein Rekordjahr, heißt es beim Steiermark Tourismus.

Weniger euphorisch ist die Thermenregion. Düster sieht es in Graz aus: kein Kongresstourismus, keine internationalen Gäste, keine Geschäftsreisen. "Wir wissen nicht, wie wir über diesen Sommer kommen", zieht Dieter Hardt-Stremayer, Chef des Graz Tourismus, bitter Bilanz.

Auch beim Salzburger Stadthotel Goldener Hirsch liegt die Auslastung nur bei 40 Prozent an den Wochenenden. Unter der Woche sei es noch weniger, sagt Hoteldirektor Wolfgang Putz. "Wir sind froh, dass die Festspiele stattfinden." Dadurch hätten sich die Buchungen verdoppelt. Die Festspiele haben auch bei anderen Stadthotels die Buchungszahlen positiv beeinflusst. Laut Tourismusverband Salzburg lag die Auslastung im Juni noch bei 30 Prozent, im August stieg sie auf 50 Prozent.

Für Andreas Perger, Chef des Innsbrucker Traditionshotels Leipziger Hof, waren die vergangenen Monate "die schwierigsten in der Geschichte des Unternehmens". Doch die Familie rückte näher zusammen, kein Mitarbeiter wurde gekündigt. Neben der Kurzarbeit war es die Mehrwertsteuersenkung, die dem Hotelier half, die Krise zu überstehen.

Andreas Perger und Tochter Katharina führen den Leipziger Hof gemeinsam durch die Krise. Insgesamt 35 Mitarbeiter mussten vorübergehend in Kurzarbeit, Küche, Nachtportier sind bereits wieder zu 100 Prozent zurück, Service, Rezeption und Housekeeping stocken stetig auf. Umgekehrt bedeuteten diese Monate, "dass die Familie 150 Prozent leisten musste", um das Geschäft wieder ins Laufen zu bringen.
Steffen Arora

Pergers Personal lässt sich jeden Freitag auf Corona testen, "das sind wir unseren Gästen schuldig". Was ihn irritiere, ist, dass bereits von einem erneuten Lockdown und Absagen von Veranstaltungen im kommenden Jahr gesprochen wird: "Ich denk mir jeden Abend: Gott sei Dank ist heute nix passiert. Denn noch einmal überstehen wir so was nicht."

Österreichweit erfolgte das Testen bei den Beherbergungsbetrieben bisher nur zögerlich. Zu groß war die Angst, mit einem positiven Fall ganze Mannschaften zu verlieren.

Angst vor Quarantäne

Mittlerweile sei das Vertrauen in die Behörden gestiegen, dass einem nicht in der Sekunde das ganze Hotel abgedreht werde, ist Reitterer überzeugt. Mobile Teststationen in den Städten erleichterten das Prozedere.

Für Pulker braucht es dennoch einfacher administrierbare Lösungen: Es könne nicht sein, dass sämtliche Mitarbeiter in Quarantäne geschickt werden, ohne selbst getestet zu werden, nur weil sie kurz Kontakt zu einem mit Corona infizierten Gast hatten. "Das ist wirtschaftlicher Wahnsinn und kostet Betriebe Unmengen." Wie bei Erntehelfern oder Altenpflegern müssten in der Branche Tests alle zwei Tage möglich seien.

Egon Haupt, Chef des Hotels Seefels am Wörthersee, lässt seine Leute seit Juni bereits zweimal die Woche testen, mittlerweile über mobile Labore im eigenen Haus. Seine Gäste schätzen dies, betont er. Sein Hotel sei seit der Wiedereröffnung Ende Mai gut gebucht, im Juli wie August sogar stärker als im Vorjahr. "Urlauber, die vor 40 Jahren mit ihren Eltern bei uns waren, kehren nun hierher zurück."

"Partyszene meilenweit entfernt"

Gudrun Peter, Eigentümerin des Weißen Rössls in St. Wolfgang am Wolfgangsee, musste hingegen 4000 Nächtigungen stornieren. Ein Corona-Cluster hielt die Tourismushochburg jüngst in Atem. "Vielerorts klang es, als wäre St. Wolfgang ein Party-Hotspot. Dabei ist diese Szene meilenweit von uns entfernt."

Mittlerweile habe sich die Aufregung gelegt, die Panik sei der Vernunft gewichen. Wöchentliche Test geben Sicherheit. Vor allem Hotels direkt am See füllten sich rasch wieder mit Gästen, die die Ruhe nach dem Sturm genießen. "Aufholen lassen sich die verlorenen Nächte freilich nicht."

Peter erinnert daran, welche wirtschaftliche Kettenreaktion die Infektionen auslösten. Ob Handel, Bootsverleih, Restaurants – sie alle leben vom Tourismus. Und sie warnt davor, mit erhobenem Zeigefinger Schuldige zu suchen. "Eigenverantwortung wird sehr strapaziert. Wer in den vergangenen Monaten alles richtig gemacht hat, werfe den ersten Stein." (Steffen Arora, Verena Kainrath, Walter Müller, Stefanie Ruep)