Manuel Rubey: Publikumsliebling mit sozialem Engagement.

Foto: Ingo Pertramer
"Die Zeitung vor der Tür und den Espresso, so wie ich ihn kenne. Also reise ich entweder nach Sizilien oder nirgendwohin"

KLAUS ECKEL: Das Problem ist. Ich komme ja mit. Ich und die 20 Grad mehr liegen ja dann dort im Liegestuhl.

Man kann sich ja selbst nicht entkommen. Also kann man auch gleich versuchen, das Problem vor Ort zu lösen. Und die Greta und den Planeten freut das auch.

Ich schreibe dieses Kapitel während der Corona-Krise. Im Moment ist Reisen gar nicht möglich. Was bleibt übrig von dem Wahnsinn? Müssen wir wirklich ständig irgendwohin fliegen? Oder können wir uns, jetzt, wenn wir das überstanden haben werden, vielleicht genauer überlegen, was wir uns durch das Fernweh erhoffen?

Ich will nicht sagen, dass mir Corona und der Klimawandel in die Karten spielen, das wäre zynisch, und Zynismus braucht jetzt wirklich gerade niemand, aber ich bin schon lange gegen das Reisen. Immer her mit anderen Kulturen, Speisen und Eindrücken, aber wir sind ja eh längst globalisiert und können uns das Beste direkt vor der Haustüre beschaffen.

Zum Menschenfeind werden

Ich habe wirklich viel probiert. Ich bin sogar bis Australien gekommen, ich war in Namibia (der deutsche Safariurlauber in Militäruniform ist beängstigend, und Zebra heißt mein Freund, das brauche ich nicht auf dem Teller), in Amerika (der Hollywoodschriftzug sieht in echt nicht besser aus als auf Bildern) und sogar in Polen (selten sonst habe ich so viele vom Katholizismus geknechtete Menschen gesehen).

Beim Reisen werde ich zum Menschenfeind. Ich bin überzeugt davon, dass ferne Länder total spannend sind, wenn da nicht andere Mitreisende wären. Ich erinnere mich an einen Schnorcheltrip in Thailand. Es war sehr schön, das Meer türkisblau, die Fische flitzten frech und bunt um uns, wir staunten über die Vielfalt der Korallen.

Noch mehr aber staunten wir über die riesigen Ausflugsboote, die uns plötzlich umringt hatten und – ich übertreibe nicht – mehrere hundert ebenso schnorchelfreudige Ausflügler hinaustrieben. In der Folge ging es hauptsächlich darum, nicht die Flosse oder – noch unangenehmer – das Rohr eines Schnorchels abzubekommen.

Warum soll ich mir das antun? Der einzige Fleck Erde, der wirklich besser ist als da, wo man gerade ist (Krisen und Kriegsregionen natürlich ausgenommen), ist Sizilien. Der Kaffee ist immer besser, die Zitronen blühen auf Bäumen, und die Menschen haben eine Lässigkeit, die den Planeten retten könnte.

Gleich und geordnet

Warum will ich nicht reisen? Ich bin unflexibel. Ich hab’s gern immer gleich und geordnet. Und die Zeitung vor der Tür und den Espresso, so wie ich ihn kenne. Also reise ich entweder nach Sizilien oder nirgendwohin. Reisen ist überschätzt, und da rede ich noch gar nicht von der alten Legende des Immanuel Kant, der sein Dorf nie verlassen haben soll.

Reisen ist überschätzt, weil es ganz oft dann eben nicht so ist wie auf dem Foto, weil es den Planeten zerstört und weil wir dann doch meistens so bequem sind und unter unseresgleichen bleiben.

Ein sehr gutes Buch zu dem Thema kommt von Claudia Endrich. Das nächste Mal bleib ich daheim. Sie ist, im Gegensatz zu mir, richtig viel gereist und kommt zu einem ähnlichen Schluss.

CLAUDIA ENDRICH: Wenn du alle paar Tage deinen Standort wechselst, kommst du nirgends an. Reisen erweitert den Horizont. Aber nur dann, wenn es achtsam und langsam passiert.

Langsam und achtsam

Und ich behaupte, das Horizonterweitern funktioniert überall, wenn es langsam und achtsam passiert. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, so habe ich vorgesorgt und werde drei gewichtige Stimmen zu Wort kommen zu lassen.

EGON FRIEDELL: Der Hauptinhalt des Reisens ist Ruß, Staub, Wanzen, freche Kellner, grobe Mitpassagiere, unverschämte Hotelrechnungen und Magenkatarrh ... Wenn ich zuhause bleibe, so habe ich drei Dinge, die mir keine Reise bieten kann: vollständige Ruhe und Ungestörtheit, meinen Lehnstuhl und meine Phantasie.

FERDINAND VON SCHIRACH: Ich reise nicht mehr gerne. Jeder Flug erinnert doch an Massentierhaltung. Vor den Schaltern sind inzwischen Gatter aufgestellt.

LORIOT: Ich mag nicht in großen Gesellschaften quer durch die Welt zu reisen. Unter Palmen baden und Delphine angeln. Ich finde das vollkommen überflüssig.

Der wunderbare Herr Friedell, den ich auch unbedingt zur Lektüre empfehle, sagt provokant »Reisen ist für Menschen ohne Phantasie«, und ich finde – und vielleicht hat das mit meinem Beruf zu tun –, dass keine Reise schöner sein kann als jene, auf die mich ein gutes Buch, ein Film oder neuerdings der Langstreckenflug unter den Fantasiereisen, die Serie, mitnimmt. Fazit. Falls Sie wieder einmal vor der Frage stehen, was Sie mit Ihrem Urlaub anfangen sollen. Reisen Sie erst wieder, wenn Sie diese Serien durchhaben.

DIE BESTEN SERIEN ALLER ZEITEN:

1) The Sopranos, 2) Breaking Bad, 3) Homeland, 4) The Wire, 5) The Marvelous Mrs. Maisel, 6) Narcos, 7) Modern Family, 8) Fawlty Towers, 9) Fargo, 10) Black Mirror, 11) This Is Us, 12) Die Brücke, 13) After Life, 14) The Office, 15) Extras, 16) Sherlock, 17) Chernobyl, 18) The Leftovers, 19) Fleabag, 20) Catastrophe, 21) Lucifer, 22) Lost, 23) The New Pope, 24) Mad Men, 25) Twin Peaks, 26) Tom & Jerry, 27) The Simpsons, 28) Mr. Robot, 29) The Handmaid’s Tale, 30) Downton Abbey, 31) Friends

Diese ist natürlich gnadenlos unvollständig. Mein Vorschlag: Wir reisen alle erst wieder, wenn wir sämtliche Staffeln durchgesüchtelt haben! Und bevor wir dann wieder zu reisen beginnen, müssen wir ja auch noch lesen.

ANNE LAMOTT – BIRD AFTER BIRD: Because for some of us, books are as important as almost anything on earth. What a miracle it is, that out of these small, flat, rigid squares of paper unfolds world after world after world, worlds that sing to you, comfort and quite or excite you. Books helps us understand who we are and how we are to behave. They show us, what community and friendship mean, they show us how to live and die. They are full of things you don’t get in real life. My gratitude for good writers is unboundend. I’m grateful for it the way I am grateful for the ocean.

THOMAS BERNHARD: Ich hasse schlechte Bücher, für ein gutes aber stieße ich ohne weiteres die Hälfte von meinem Vaterland in den Abgrund.

PFLICHTLEKTÜRE ÜBER DAS REISEN:

1) Bruce Chatwin – In Patagonien, 2) Annie Proulx – Ein Haus in der Wildnis, 3) Jon Krakauer – Into the Wild, 4) Jonathan Swift – Gullivers Reisen, 5) Christoph Ransmayr – Die Schrecken des Eises und der Finsternis, 6) Michael Ondaatje – Der englische Patient, 7) Tanja Blixen – Jenseits von Afrika, 8) Henry David Thoreau – Walden, 9) Ryszard Kapuściński – König der Könige, 10) Cheryl Strayed – Wild, 11) Lewis Caroll – Alice im Wunderland

(Manuel Rubey, 22.8.2020)