Ein lauer Wind weht durch die grünen Blätter der Hainbuchenhecken auf dem Dach des Kö-Bogen II. Ein Wind, den man auf der gutbesuchten Schadowstraße darunter, einer der Haupteinkaufsstraßen von Düsseldorf, nicht spürt. Denn dort sind die gehetzten und wahrscheinlich auch verschwitzten Menschen von hohen Wänden umringt. Es hat 32 Grad Celsius, die Sonne knallt herunter, doch auf dem fast fertigen Neubau spürt man davon nicht allzu viel.

Das liegt vor allem an dem Merkmal, das jedem Besucher gleich ins Auge springt und das sich mit einem Wort prima zusammenfassen lässt: grün. Denn in der Hauptstadt des deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen steht die größte Grünfassade Europas. 30.000 Hainbuchen, insgesamt acht Kilometer zusammengenommen in der Länge, stehen in Reih und Glied auf der Fassade und auf dem Dach des neugebauten Retail- und Bürogebäudes in der Nähe der Düsseldorfer Edelmeile Königsallee (meist Kö genannt). Ihr ökologischer Nutzen soll dem von rund 80 ausgewachsenen Laubbäumen entsprechen. Sie sollen verhindern, dass sich die darunterliegende Fassade bei Sonneneinstrahlung übermäßig aufheizt, und sie sollen für den erwähnten Kühlungseffekt Feuchtigkeit an die Luft abgeben.

Der Kö-Bogen II ist ein Aushängeschild für die Stadt Düsseldorf.
Foto: Hans-Georg Esch

Das klingt nicht nur ambitioniert, das war es und ist auch so, sagt der Projektleiter des zuständigen Büros Ingenhoven Architects, Peter Jan van Ouwerkerk: "So etwas zu bauen war natürlich eine riesige Herausforderung." Schlaflose Nächte hätte ihm das komplizierte Konstrukt mit seinem abfallenden Dach aber nie bereitet. "Man sucht ja immer nach dem Neuen und Schwierigen." Doch nicht nur die Konstruktion war ambitioniert, auch die Suche nach der richtigen Pflanze und ihrer Pflege. Zusammen mit dem Phytotechnologen Karl-Heinz Strauch (wie passend) wurde die ideale Begrünung gesucht und nach einer langen Testphase mit der Hainbuche gefunden. Voraussetzungen: nicht immergrün, giftig natürlich auch nicht, dafür aber heimisch und tatkräftig in der Aufnahme von CO2.

Draisinen für den Schnitt

Die Hecken werden mithilfe von Draisinen von Hand geschnitten.
Foto: Hans-Georg Esch

Doch mit den fertigen Kübeln vor Ort ist es nicht getan. Die Firma Leonhards aus Wuppertal kümmert sich um die Pflanzen (die Stadt Düsseldorf hat mit den Investoren ein Pflegekonzept für die kommenden 99 Jahre vereinbart), die zwei- bis dreimal pro Jahr geschnitten werden müssen. Das passiert von Hand, denn die Äste der Hainbuche tendieren dazu, sich massiv ineinander zu verschlingen: "Da würden maschinelle Messer oft drin hängen bleiben", sagt van Ouwerkerk. So hat man in jede Reihe kleine Draisinen gebaut, um den Teams den Schnitt von Hand zu ermöglichen: schneiden, weiterkurbeln, schneiden, weiterkurbeln. Zudem sind die Hecken in einem System verbunden, das sie automatisch mit genügend Wasser und Nährstoffen versorgt. Und auch für das Auge bietet die Pflanze etwas, sie wechselt nämlich mit den Jahreszeiten ihre Farbe von Grün über Gelb hin zu Braun.

Das sorgte im Düsseldorfer Besucherstrom für viel Skepsis. Denn bei der Einpflanzung Ende vergangenen Jahres waren die Hecken allesamt braun. Ernüchternd. "Aber seitdem die Hecken angefangen haben, mit der Zeit wieder ihre Farbe zu bekommen, und schließlich Grün geworden sind, hören wir sehr wenig von den Kritikern", sagt Architekt Christoph Ingenhoven im Gespräch mit dem STANDARD. Mit Kritikern kennt sich Ingenhoven aus, genauso wie der Kö-Bogen II. Denn das Gebäude ist der Abschluss einer städtebaulichen Veränderung, die nicht allen gepasst hat.

Der Kö-Bogen II bildet mit der gegenüberliegenden Wiese eine Tal-Sicht auf das Schauspielhaus.
Foto: Hans-Georg Esch

Weg mit dem Tausendfüßler

Nachdem Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs Düsseldorf stark zerstört hatten, nutzte man die Nachkriegszeit dazu, die Stadt autofreundlich umzubauen. Dazu gehört auch eine Hochstraße, der sogenannte Tausendfüßler, der laut Ingenhoven "die Stadt in zwei Teile schnitt". Ab Anfang der 1990er-Jahre entwickelte der Architekt Ideen, um die historische Innenstadt vor allem für Fußgänger wieder attraktiver zu machen. Dazu gehörte es, die Hochstraße abzureißen und den Gustaf-Gründgens-Platz freizulegen, um den sich heute nicht nur der Kö-Bogen II, sondern auch das Schauspielhaus (das von Ingenhoven Architects gerade saniert wird) und das Dreischeibenhaus gruppiert. Nach langem politischem Hin und Her ließ die Stadt Düsseldorf den unter Denkmalschutz stehenden Tausendfüßler 2013 abreißen und den Entwurf von Ingenhoven genehmigen. Doch einige Düsseldorfer hingen an der Hochstraße, es gab kurz vor Abriss eine letzte Begehung, Proteste und Meinungsverschiedenheiten.

Das neue Ensemble um den Gustaf-Gründgens-Platz.
Foto: Hans-Georg Esch

Rund sieben Jahre später bildet der Kö-Bogen II samt gegenüberliegender abgeschrägter Wiese eine Tal-Sicht zum Gustaf-Gründgens-Platz. Auch der Vorwurf, der Neubau sei zu dominant, hält sich durch den Stufenbau und die sanfte Begrünung nicht. Zudem ist die Schadowstraße, die bereits angesprochene Shoppingmeile, nun wieder eine vollwertige Fußgängerzone und hat mit dem Kö-Bogen II eine aufwendige Glasfassade in diese Richtung bekommen.

Ingenhoven hofft, mit dem Kö-Bogen II einen grünen Schwung mit nach Düsseldorf zu bringen. "Ich finde, wir als Architekten und auch Bauherren haben eine Verpflichtung gegenüber den Menschen, mit unseren Bauwerken auch etwas zurückzugeben. Und da ist Begrünung das Mindeste."

Die Retail-Geschoße eins und zwei sind bereits fertig und werden sukzessive an die Mieter übergeben, rund 75 Prozent davon sind vermietet. Die Pandemie hat diesen Vorgang etwas verlangsamt. Die Büro-Etagen drei und vier befinden sich noch in Bau, hier soll die Suche nach Mietern bald beginnen.

Es ist schade, dass die breite Öffentlichkeit niemals auf dem Dach des Kö-Bogen II stehen wird. Denn zwischen den meterlangen Hecken ist die Technik versteckt und nicht wirklich viel Platz, um beispielsweise Feiern zu veranstalten. Doch von hier oben hat man nicht nur einen guten Blick, man merkt auch, wie sehr die Begrünung beruhigt und kühlt. Daran könnte man sich glatt gewöhnen. (Thorben Pollerhof, 22.8.2020)

Foto: Pollerhof