Die Rechtsanwältin Laura Karasek moderiert ab 3. September auf ZDF Neo die Spieleshow "Die Höhle der Lügen": "Es geht darum, Menschen zu enttarnen."

Foto: ZDF und Gerard Santiago

Laura Karasek verlässt gerne die Komfortzone. Flugangst begegnet sie mit einem Fallschirmsprung, ihre Grenzen überschreitet sie auf dem Wakeboard, Nervosität vor Auftritten behandelt sie mit ebensolchen. Am 3. September übernimmt die 38-jährige Anwältin, Feministin, Autorin und Moderatorin den Sendeplatz von Satiriker Jan Böhmermann. In acht Folgen lädt sie donnerstags um 22.15 Uhr auf ZDF Neo in die Höhle der Lügen. Außerhalb der Komfortzone sind da auch die Kandidaten. Zu lesen ist von heißen Kohlen und Ketten ...

Karasek: … und gegen eine Weltmeisterin im Wrestling gewinnen, genau. In einer Zeit, in der es so viele Blender gibt – im Netz, in der Politik, Fake-News –, ist das eine sehr zeitgemäße Show. Es geht darum, Menschen zu enttarnen. Für mich ist es einfach eine Freude, zu sehen, wie die Kandidaten sich anstellen.

STANDARD: Die neue Show heißt "Die Höhle der Lügen". Darf man lügen?

Karasek: Man darf lügen, wenn es darum geht, andere Menschen zu schützen, sie nicht zu verletzen. Wer seine Eltern als Teenager nicht angeflunkert hat, war vielleicht zu brav. Wenn die Wahrheit niemandem nützt, wenn es nur darum geht, jemandem etwas Verletzendes vor die Füße zu knallen, darf man mal etwas unterschlagen oder schwindeln. Es gibt so viel Hass im Netz, ich bin dafür, mehr Komplimente zu machen und nicht aufgrund der vermeintlichen Wahrheitsfindung jemandem zu sagen: Dein Text war scheiße, dein Buch ist scheiße, du siehst abgeschlagen aus. Vor allem nicht dauernd ungebeten Ratschläge zu erteilen.

STANDARD: Was war Ihre schlimmste Lüge?

Karasek: Ach, häufig belügt man sich doch selbst: "Ich mache gleich noch Sport, ich habe gar nicht viel gegessen, ich gehe heute mal früher ins Bett, ich trinke nicht viel, das erledige ich sofort, den Roman schreibe ich noch diesen Monat fertig" – so was eben. Geschichten, die wir uns selbst auftischen.

STANDARD: Das sind Ihre schlimmsten Lügen?

Karasek: Nein, na gut, natürlich habe ich meinen Eltern früher einige wilde Ausbrüche unterschlagen. Ich lebte in meiner Schulzeit in Paris und fuhr mit fremden Männern im Auto mit, bin getrampt. Meine Eltern wären gestorben, hätten sie davon gewusst.

STANDARD: Eine notorische Lügnerin sind Sie demnach eher nicht?

Karasek: Nein, wir suchen ja alle nach Aufrichtigkeit und Authentizität. Ich mag, wenn Leute echt sind. Nähe entsteht nur, wenn man von sich selbst etwas preisgibt. Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen kann entwaffnend sein und Verständnis und Nähe erzeugen. Gerade in meinen Romanen versuche ich, die Figuren so echt und nahbar wie möglich zu beschreiben: Was sind ihre Abgründe, ihre Geheimnisse? Manchmal sagen die Dinge, die wir verschweigen, ja mehr über uns als die Dinge, die wir erzählen.

STANDARD: Welches Risiko gehen Sie mit der Show ein?

Karasek: In die Öffentlichkeit zu treten ist immer ein Risiko. Weil man sich nackt auf den Dorfplatz stellt und ruft: "Bewertet mich! Bewerft mich mit Tomaten!" Man gibt Menschen die Waffe in die Hand, obwohl man sich nach Applaus und Liebe sehnt. Ich bin vor Auftritten immer sehr nervös. Der Schritt, als Anwältin aufzuhören und in die Medienwelt zu gehen, war ein waghalsiger Move. Aber ich wollte es unbedingt probieren. Man kann ja nicht ewig in seinen alten Entscheidungen verhaftet sein. Ich wollte mein nächstes Buch schreiben, ich wollte eine neue Version von mir testen. Ich mag es, wenn ich mich fürchte und diese Angst überwinden kann. Ich habe Flugangst und war Fallschirmspringen. Ich übe Sportarten aus, die mich gruseln, zum Beispiel auf offenem Meer Wakeboard zu fahren – obwohl ich an Haie denken muss … Ich versuche, an meine eigene Grenze zu gehen.

STANDARD: Warum?

Karasek: Es geht darum, mir etwas zu beweisen. Ich möchte nicht, dass mein Leben von meinen Ängsten dominiert wird. Das hat wahrscheinlich etwas mit meiner chronischen Krankheit zu tun – ich habe Diabetes, seit ich 13 bin. So wurde mir früh bewusst, dass das Leben vergänglich ist und ich nicht unverwundbar bin. Also sagte ich mir: Du musst jetzt leben, nimm alles, nutze alles aus. Ich glaube, das spielt da mit rein, wenn Sie eine sehr amateurhafte Psychoanalyse von mir selbst haben wollen. (lacht)

STANDARD: Mit der Schlussfolgerung, dass es am Ende irgendwie immer darum geht, geliebt zu werden.

Karasek: Wahrscheinlich, aber auch darum, selbst zu lieben. Gleichgültigkeit ist ja auch eine Qual. Ich war schon unglücklich verliebt, aber ich hab auch schon umgekehrt gar nichts gefühlt, obwohl der andere wahnsinnig verliebt war. Das ist auch ein grässliches Gefühl.

STANDARD: Was sagt man in so einer Situation?

Karasek: Ja, man belügt sich und sagt sich: "Die Gefühle werden schon noch kommen. Es ist doch nett, umgarnt zu werden, und irgendwie passt es schon." Aber in Wahrheit sollte man sich eingestehen, dass man einfach nichts fühlt. Wobei es auch Leute gibt, die immer wenig fühlen. Wenig fühlen wollen. Ich fühle gerne viel. Offensichtlich gehe ich deshalb auch gerne ins Risiko: Ich finde Angst grauenvoll, aber das Glücksgefühl danach, diese Befreiung liebe ich.

STANDARD: Jan Böhmermann hat mit Satire die Nation mehrmals erregt. Was wollen Sie mit Ihrer Sendung erreichen?

Karasek: Was wahrscheinlich jeder Künstler will: Menschen mit meinem Tun zu erfreuen. Dass sie über die Themen nachdenken, die ich aufwerfe. Ich bin keine Bekehrerin, aber ich finde es spannend, zu diskutieren, sich darüber klarzuwerden, was in unserer Gesellschaft gut läuft, aber auch, was schiefläuft. Und da beschäftigen mich besonders Themen, die Frauen betreffen: Sexismus, Feminismus, Gleichberechtigung, Gender-Data-Gap, dass sich die Wissenschaft immer nur mit Männern beschäftigt hat, Solidarität unter Frauen, Komplizinnenschaft, wie wir mit der Bewertung von anderen Müttern umgehen.

STANDARD: Die Frage ist auch, ob Sie sich so viel rausnehmen dürften wie Jan Böhmermann. Verträgt man Satire eher von Männern?

Karasek: Das frage ich mich schon sehr lange, ob man als Frau so viel darf wie Männer. Wenn Frauen in der Öffentlichkeit stehen, wird sehr oft ihr Äußeres diskutiert, was man bei Männern sehr vermisst. Ich selbst wurde von Medien oft so beschrieben. Wie wäre es, wenn man von Frank Schätzing oder Richard David Precht in dieser Form schreibt: "Er hat ein knabenhaftes Aussehen, und gleich verrät er uns, wie er mit Low-Carb-Smoothies seine Topfigur hält." Gelten da für Frauen andere Gesetze? Sind wir Frauen so gebrainwasht und stellen uns deshalb permanent selbst infrage: Sind wir zu laut, zu dominant, zu schrill? Ich habe oft gehört: Du bist so wild, auffallend, ein Enfant terrible. Und dann die Sexualität! Um Himmels willen: Eine Frau darf ja auch bloß nicht zu viel Lust, zu viel Freude an ihrem Körper, an ihrer Weiblichkeit, am Exzess haben. Wieso eigentlich nicht?

STANDARD: Immerhin regt Lisa Eckhart genauso auf wie Dieter Nuhr. Wie stehen Sie zur heiß diskutierten Cancel-Culture?

Karasek: Warum eigentlich der Begriff "Cancel-Culture"? Es geht doch darum, über fragwürdige Aussagen zu sprechen! Es sind Comedians, und wenn sie etwas Dummes sagen, müssen sie zumindest damit rechnen, dass andere Comedians ihnen eins auf die Fresse geben und dass man sich darüber aufregt. Das gehört auch dazu. Diskussionen darüber zu führen ist wichtig. Wenn wir das verlernen, haben wir ganz andere Probleme.

STANDARD: Was würden Sie Eckhart fragen, wenn sie käme?

Karasek: Ich würde sie fragen, wie sie emotional mit dieser Debatte umgegangen ist, ob sie damit gerechnet hat. Ob die Aufregung eine Inszenierung für ihr neu erschienenes Buch ist. Wie sie zu den Vorwürfen steht, was daran sieht sie ein, was macht sie wütend und ob es für sie einen positiven Effekt daraus gibt. Ob sie darüber nachdenkt, ihr Programm zu ändern. Immerhin sind da heftige Vorwürfe dabei. Und ob sie mir etwas vortragen möchte aus ihrem Programm und ob ich das lustig finde.

STANDARD: Wie geht's eigentlich dem deutschen Humor gerade so?

Karasek: Es geht ihm schlecht. (lacht)

STANDARD: Im Ernst?

Karasek: Ja. Er möchte von seinen Eltern vom Spielplatz abgeholt werden. Nein, es geht ihm ganz gut. Aber es ist sehr schwer in der heutigen Zeit, weil Humor oft missverstanden wird. Wenn es so weit kommt, dass Herr Seehofer einschreitet … Alle kommentieren alles. Satire wird streng von Medien und Politik begutachtet. Früher gab es den Witz: Was ist das kürzeste Buch der Welt? 500 Jahre deutscher Humor. Ich glaube, inzwischen ist es immerhin ein Pixi-Buch oder Reclamheft. In einem Zeugnis würde man schreiben: Es ist noch Luft nach oben – gerade auch in der Gesellschaft! Aber es gibt schon viele tolle Leute hier: Ich bin ein großer Fan von Caroline Kebekus, Maren Kroymann, Martina Hill, Hazel Brugger, ich liebe Klaas Heufer-Umlauf.

STANDARD: Ihr Ziel – wie Böhmermann: vom Nischensender ZDF Neo in den Hauptsender ZDF?

Karasek: Ich würde lügen, wenn ich sage, ich hätte keine Lust auf das ZDF, aber beides hat seine Vorteile. Die Nische ist cool, und ZDF Neo ist ein spannender, eigenwilliger Sender mit einem guten Ruf. Ich bin da sehr glücklich mit meiner eigenen Talkshow "Zart am Limit", die ab Oktober weitergeht. Aber wie jeder Mensch habe ich auch meine Sehnsüchte und Wünsche. Manchmal größenwahnsinnige Fantasien von einer eigenen Samstagabend-Primetime-Show. Von der Verfilmung meines Romans "Drei Wünsche"! Von einem Album mit von mir gesungenen Chansons. Ich bin noch nicht angekommen, und ich finde es schön, dass ich so rastlos und getrieben bin. Also ich habe noch Träume – auch vom ZDF. Wilde Träume vom Lerchenberg in Mainz – Sie können sich ausmalen, wie es um mich steht. (lacht) (Doris Priesching, 22.8.2020)