Lisa B. ist Österreicherin. Sie hat immer in Österreich gelebt, in Österreich gearbeitet und im März in Österreich ihr erstes Kind geboren. Als ihr Baby nicht ganz drei Monate alt ist, geht sie zum Zahnarzt, eigentlich nur eine Vorsorgeuntersuchung. Doch dort wird ihr gesagt, dass weder sie noch ihr Kind derzeit versichert sind. Der skurrile Grund dafür, wie sich später herausstellen wird: Sie hatte Kinderbetreuungsgeld beantragt, aber noch nicht bewilligt bekommen.

Stromrechnung vorlegen

Dabei ist die Geschichte von Lisa B. nicht besonders außergewöhnlich oder kompliziert. Der einzige Aspekt, in dem ihr Leben vom österreichischen Behördennormfall abweicht, ist, dass ihr Freund deutscher Staatsbürger ist – und bis heute als Pilot für eine deutsche Fluggesellschaft arbeitet. Er, Lisa B. und das Baby wohnen aber gemeinsam in einer Wohnung in Wien und sind dort auch alle hauptgemeldet. Der Pilot arbeitet geblockt und pendelt nach München.

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Als ihr kleiner Bub eineinhalb Monate alt ist, beantragt Lisa B. Kinderbetreuungsgeld. Kurz darauf bekommt sie ein Schreiben der Österreichischen Gesundheitskasse. Für den Bezug der Leistung müsse sie erst ihren Lebensmittelpunkt in Österreich nachweisen. Dafür notwendige Unterlagen: ihr Mietvertrag, Gas- und Stromrechnungen sowie eine Kopie ihrer Kontoauszüge der vergangenen sechs Monate, der Zulassungsschein des Autos oder eine Jahreskarte der Wiener Linien und "diverse Belege" wie GIS- oder UPC-Rechnungen und Versicherungen. Wären ältere Kinder vorhanden, hätte sie auch noch die Kindergarten- oder Schulbestätigung des Geschwisterkinds beilegen müssen.

Bitte privat versichern

Lisa B. hat alle geforderten Dokumente zusammengesucht und der Gesundheitskasse geschickt. Als sie anruft, um herauszufinden, warum sie plötzlich nicht mehr versichert ist, wird ihr gesagt, dass man noch auf eine Bestätigung der deutschen Behörden warte, um sicherzugehen, dass sie nicht auch in Deutschland Betreuungsgeld beziehe. Bis dahin müsse sie sich und das Baby bitte privat versichern. "Da war ich dann doch ziemlich verzweifelt", sagt Lisa B.

Die Causa ist bei weitem kein Einzelfall: "Die Menschen kommen seit Einfu¨hrung des Kinderbetreuungsgelds mit Problemen zu uns", sagt Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer. "Wir hören immer wieder die abenteuerlichsten Geschichten, bei denen ich mich frage: Will da jemand verhindern, dass die Eltern das Geld bekommen?" Anderl vermutet: "Wer vom traditionellen Familienbild abweicht, wird fast schon systematisch schikaniert."

Halbe-Halbe?

Probleme gibt es etwa auch immer wieder, wenn sich Eltern ihre Karenz ungefähr zur Hälfte aufteilen und dafür den Partnerschaftsbonus kassieren wollen. Der staatliche Zuschuss beträgt tausend Euro und ist für Eltern gedacht, die sich "zu annähernd gleichen Teilen (50:50 bis 60:40)" um das Kind kümmern.

Der Bonus stellt aber nur auf den Bezug des Kinderbetreuungsgelds ab. Acht Wochen vor der Geburt und zumindest acht Wochen nach der Geburt sind Frauen jedoch in Mutterschutz und bekommen Wochengeld – was eben nicht zählt. Bei einem Kaiserschnitt verlängert sich der Mutterschutz noch einmal um vier Wochen. Viele Paare, die sich in etwa gleich lange um das Baby kümmern, fallen dadurch um den Bonus um, nur weil der Vater formal länger Kinderbetreuungsgeld bezogen hat. Die Arbeiterkammer kritisiert darüber hinaus, dass die Antragsstellung für den Bonus oft kompliziert sei und innerhalb einer kurzen Frist erfolgen müsse.

Kaum Männer in Karenz

Dass ein gleichberechtigtes Leben post Baby oft auf Hürden stößt, erleben aber nicht nur einzelne Betroffene, es gibt dazu aktuelle Zahlen. Am Freitag wurde ein Rechnungshofbericht veröffentlicht, der zeigt: Nicht einmal fünf Prozent der genehmigten Anspruchstage des Kinderbetreuungsgelds entfallen auf Männer. Das Kontrollorgan urteilt: "Die effektive Entlastung von Frauen und eine gleichmäßigere Aufteilung der Betreuungspflichten wurde nicht erreicht." Darüber hinaus kritisiert der Rechnungshof, dass es zu lange dauert, bis Eltern ihr Kinderbetreuungsgeld bekommen und im Familienministerium das Controlling fehlt.

Nachteil des Papamonats

Als großer Erfolg wurde vergangenes Jahr der Rechtsanspruch auf einen sogenannten "Papamonat" gefeiert. Väter haben nun das Recht, nach der Geburt einen Monat lang mit Mutter und Baby vom Arbeitgeber unbezahlt zu Hause zu bleiben. Die Umsetzung sei aber bis heute mangelhaft, sagt die Arbeiterkammer. Denn Väter können in dieser Zeit zwar einen Familienzeitbonus in der Höhe von 700 Euro beziehen. Das Geld wird dann allerdings vom Kinderbetreuungsgeld abgezogen, sollte der Vater später in Karenz gehen. Schlussendlich wird der Anreiz, dass Papas mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, also eigentlich ins Gegenteil verkehrt.

Lisa B. bekommt seit Ende Juni nun übrigens Kinderbetreuungsgeld. Sie hat ihren Fall dennoch der Volksanwaltschaft geschildert – für künftige Betroffene. Auch die Arbeiterkammer hat das Problem auf dem Radar. Richtig kompliziert werde es, wenn etwa der Vater im Ausland lebe oder arbeite und das Paar getrennt ist. Sei er dann auch noch unkooperativ, dauere es oft viele Monate, bis die Mutter in Österreich das ihr zustehende Geld bekomme. (Katharina Mittelstaedt, 23.8.2020)