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David Wellington gab sein Rundschau-Debüt 2008 mit "Monster Island" ("Stadt der Untoten"); das war zu der Zeit, als Zombies auch bei größeren Verlagen gerade ganz hoch im Kurs standen. Es folgten Vampire, Werwölfe und noch mehr Untote, bis sich der Autor aus Pennsylvania allmählich auch der Science Fiction zuzuwenden begann. Zunächst tat er es unter dem Pseudonym D. Nolan Clark – unter "Die letzte Astronautin" hat er sich nun erstmals seinen wahren Namen zu setzen getraut. Und er muss sich für diesen Roman auch keineswegs genieren: Beim Hauptmotiv wandelt Wellington auf den Spuren von Arthur C. Clarke – in der Ausführung lässt er aber erkennen, wo er das Schreiben begonnen hat. You can take a guy out of horror, but you can't take the horror out of the guy.

Der Roman beginnt mit einem Prolog, dessen Geschehen für die Charakterbildung der Titelfigur entscheidend sein wird: Im Jahr 2034 leitet US-Astronautin Sally Jansen die erste bemannte NASA-Mission zum Mars. Eben noch in patriotischem Überschwang gestartet, kommt es kurz darauf wegen eines Lecks zur Katastrophe. Sally reagiert darauf völlig richtig – doch ihr Eingreifen hat zur Folge, dass nicht alle an Bord überleben und dass die Expedition abgebrochen werden muss. Fortan wird sie mit dem Ruf leben müssen, die Frau zu sein, "die das Wettrennen zum Mars verloren hat".

Aus dem Dornröschenschlaf gerüttelt

21 Jahre später, als die eigentliche Handlung beginnt, haftet Sally ihr schlechtes Image immer noch an. Noch schlimmer hat es allerdings die NASA selbst getroffen: Zwischenzeitlich bankrott gegangen, hat sie ihre wichtigsten Einrichtungen an den gestiegenen Meeresspiegel verloren und notgedrungen das bemannte Raumfahrtprogramm eingestellt. In den Weltraum fliegen jetzt hippe Konkurrenten aus der Privatwirtschaft wie der SpaceX-Klon "K-Space".

Doch alles ändert sich, als ein Besucher von außerhalb des Sonnensystems eintrifft, der einen verblüffend bekannten Eindruck macht. Objekt 2l/2054D1 könnte der große Bruder von Oumuamua sein, jenem zigarrenförmigen Asteroiden oder Kometen, der 2017 unser Sonnensystem tatsächlich durchquert hat – und "groß" bedeutet in diesem Fall schlanke 80 Kilometer. Als der Weltraumriese seinen Kurs ändert, ist den Astronomen klar, dass es kein toter Steinbrocken sein kann, sondern ein Weltraumfahrzeug sein muss. In Windeseile macht sich die NASA daran, ihre verbliebene Infrastruktur anzuwerfen und dem Besucher eine Mission entgegenzuschicken. Dazu gehört auch die mittlerweile 56-jährige Sally als Kommandantin – immerhin ist sie die letzte, die je ein Astronautentraining absolviert hat.

Mit an Bord sind noch Major Windsor Hawkins als Vertreter des Militärs, die Astrobiologin Parminder Rao und der Astrophysiker Sunny Stevens. Der hat eigentlich für K-Space gearbeitet, aber kurzerhand die Fahnen gewechselt, als er die Chance gewittert hat, doch noch seinen Kindheitstraum zu verwirklichen und Raumfahrer zu werden. Diese ungleichen vier machen sich nun zur Mission ihres Lebens auf, doch auch die Konkurrenz von K-Space schläft nicht. Einmal mehr wird es ein Wettrennen geben.

+++ Exit-Möglichkeit +++

Wem das bisher Gesagte als Anreiz schon ausreicht, der kann an dieser Stelle aussteigen (Hinweis: Wir befinden uns immer noch sehr früh im Buch). Auch für den Rest werde ich jetzt nicht spoilern, aber der eine oder andere hätte vielleicht noch gerne eine Einschätzung der Machart. Bitte sehr:

Zu Beginn scheint Wellingtons Roman noch ganz im Zeichen jener zuletzt sehr populären Back-to-the-Basics-Variante von Science Fiction zu stehen, die man auch als Astronautik-Genre bezeichnen könnte – denken wir etwa an Andy Weirs berühmten "Marsianer" oder an Mary Robinette Kowals "The Calculating Stars". Abgesehen von einer Neutrinokanone ist hier keine Fantasietechnologie im Einsatz, stattdessen erleben wir die Raumfahrt als das, was sie ist: ein Unterfangen, das außer Abenteuerlust vor allem jede Menge Arbeit und Infrastruktur am Boden benötigt.

Überraschend schnell wird dann doch abgehoben – die Wiederbelebung der NASA und das Training der Neo-Raumfahrer werden von Wellington kaum erwähnt. Und im Weltraum zeichnet sich eine andere Spielart von SF als Vorbild ab. Es ist nicht so, dass man jeden Plot um ein BDO (Big Dumb Object) automatisch mit Arthur C. Clarkes Klassiker "Rendezvous with Rama" verbinden muss. Aber zu lesen, wie Wellingtons Protagonisten Mühe haben, sich in den gigantischen Dimensionen von 2l/2054D1 zurechtzufinden, und wie sie ihre Erkundung mit einer Kletterpartie starten – das hat mich schon sehr an "Rama" erinnert.

Wellingtons persönliche Note

Doch wie eingangs erwähnt, würzt Wellington seine Science Fiction mit Gruselfaktor. Schon die Konstellation der Hauptfiguren – keiner der vier übrigens ausnehmend sympathisch – folgt eher den Mustern von Horrorgeschichten als denen von klassischer SF. Die vier sind kein ideales Team. Von Anfang an zeichnen sich Bruchlinien ab, und es ist zu erwarten, dass das noch eskalieren wird, wenn der Stress steigt und sie beim Blick auf das Unbekannte zugleich in den Abgrund ihrer Seelen schauen werden. Sally ist nicht die einzige, die ihre persönlichen Dämonen mit ins All genommen hat.

Was freilich nicht heißen soll, dass sich hier alles Wesentliche im Kopf abspielen würde. Keine Angst, es wird auch jede Menge physisches Erleben geben. Wellington geht ein, zwei Schritte in Richtung Body Horror, und einer der auftretenden Bodies wird allen anderen klar die Show stehlen ...

"Die letzte Astronautin" ist nicht purer Weltraum-Horror wie "Alien" oder "Event Horizon", sondern eine durchaus gelungene Mischung aus SF- und Horroranteilen. Ein gediegener Roman – vielleicht mit dem einen Abstrich, dass die Geschehnisse an Bord von 2l/2054D1 auf Dauer nicht sooo viel Abwechslung bieten, wie es der Seitenanzahl entsprechen würde. Ein wirklich stimmiger Schluss sorgt aber für einen guten letzten Eindruck.