Dirigent Christian Thielemann hat es sichtlich genossen, wieder Wagner dirigiert und Elīna Garanča begleitet zu haben.

Marco Borelli

Die Schwüle wegzufächern wurde bei den Salzburger Festspielen bald nach ihrem diesjährigen Start als Sicherheitsrisiko entdeckt und untersagt. Aerosolversprühung per entfesselte "Brava"-Rufe hingegen erfreut sich nach wie vor bester Gesundheit. Die Anwendung dieser Kulturtechnik war im Großen Festspielhaus allerdings auch keinem zu verdenken, der die lettische Sängerin Elīna Garanča mit Richard Wagners Wesendonck-Liedern gehört hatte.

Ob Im Treibhaus, diese Studie zu Tristan und Isolde, welche schließlich zum imposanten Vorspiel des dritten Tristan-Aktes werden sollte, oder Schmerzen: Zusammen mit einem mitatmenden Orchester erbrachte Garanča den Beweis, dass sie in der Kategorie Mezzosopran gegenwärtig das Nonplusultra darstellt. Grandios die Verschmelzung von Intensität und Edelklang.

Der Dirigent Christian Thielemann, durch die abgesagten Bayreuther Festspiele seines Wagners beraubt, genießt, folgt und trägt Garančas klar strömende Stimme durch Melancholie wie durch dramatisch sich aufbäumende Emphase. Bei Garanča ist der Unterschied zwischen einer Interpretation zu studieren, die mit den Anforderungen eines Liedes spielt, und einer stressigen Umsetzung, die versucht, von den Liedvorgaben nicht erdrückt zu werden. Es ist also der Grad an Selbstverständlichkeit, mit der sie kleine Formen zu ihren Erzählungen macht, die frappiert. Logisch, dass Garanča an der Wiener Staatsoper als Kundry (April 2021, Parsifal) in Erscheinung treten wird.

Licht und ausgewogen

Bei Bruckners 4. Symphonie, der Romantischen, dann ähnliche orchestrale Qualitäten im Übermaß: Der mit einer abwärtsgerichteten Quinte startende symphonische Kathedralenbau durchlief alle Phasen eines behutsam kammermusikalisch angelegten Musizierens. Keine brutale Ausreizung des Monumentalen: Die massiven Blöcke der einzelnen Sätze werden nicht holzhammerartig hineingewuchtet, sondern elegant und im Lichte der Ausgewogenheit gestaltet.

Dennoch nie harmlos. Thielemann betont das Sanfte etwa im 3. Satz sehr, um das kommende Massive effektvoller wirken zu lassen. Nicht Überlautstärke also, sondern der Kontrast zwischen "leise" und "laut" wird hier zum Gestaltungsmittel. Eine weitere Besonderheit der Aufführung: Deren Präsenz baut auch, aber nicht nur auf den famosen Orchesterklang. So wird der zweite Satz etwa zwar gemächlich absolviert und ist doch nicht süßlich, sondern ein Mix aus pointiert erweckter Struktur und Emotion. Nachdem Thielemann bei den Osterfestspielen nur noch zwei Jahre absolviert, sollte er danach zumindest dem Sommer (trotz Bayreuth) erhalten bleiben. (Ljubiša Tošic, 24.8.2020)