Drei Mal konnte der Täter innerhalb von vier Tagen die Synagoge aufsuchen: In der ersten Nacht schmierte pro-palästinensische Parolen auf die alten Ziegel, Relikte der 1938 niedergebrannten Grazer Synagoge, die vor 20 Jahren in den Neubau des Tempels integriert worden waren. Beim zweiten Besuch schlug er eines der großen Fenster des hellen, transparenten Baus ein.

Beim dritten Mal attackierte er den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz, Elie Rosen, mit einem Holzprügel. Erst am Abend dieses Tages wurde verstärkter Polizeischutz für das Gebäude angeordnet. Das macht die Exekutive – auch international – zur Zielscheibe für Kritik. Sie hat die Wiederkehr des Täters nicht verhindert.

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Nazi-Memes

Die Polizei zeigt für diese Kritik kein Verständnis. Der verstärkte Schutz hätte ja eine knappe Stunde vor der dritten Attacke starten sollen, eine eigens gegründete Ermittlungsgruppe mit dem klingenden Namen Achava (hebräisch für Brüderlichkeit) sei nun im Einsatz.

Und dennoch: Dass Rosen nach zwei – in ihrer zerstörerischen Qualität klar ansteigenden – Attacken überhaupt ungeschützt auf dem Gelände des Tempels angetroffen werden konnte, ist ein Skandal. Hätte er sich nicht vor dem Angreifer in sein Auto geflüchtet, hätte er schwer verletzt werden können. Zumindest ein Eingeständnis, die Situation vielleicht nicht gleich ernst genug genommen zu haben, wäre angebracht – immerhin ist etwa der Anschlag auf die Synagoge in Halle kein Jahr her. Hier hätte man eine höhere Sensibilisierung der Polizei erwartet.

Apropos Sensibilisierung. Ein weiterer Aspekt wirft Fragen auf: Erst im Juli mussten sich Grazer Polizeibeamte wegen rechtsextremer Umtriebe wie das Versenden von Nazi-Memes, die sich über den Holocaust lustig machten, vor Gericht verantworten. Das Verfahren ist nicht abgeschlossen.

Doch das Wachzimmer, wo Kollegen solche Memes aneinander verschickt haben sollen, ist genau jenes, das für den Schutz der Grazer Synagoge zuständig ist. Der Hauptangeklagte ist seit einem Jahr suspendiert, seine Kollegin weiter im Dienst. Freilich ist es zu früh für Schlussfolgerungen, aber man muss sich zumindest erwarten dürfen, dass jene Beamten, die direkt für den Schutz der Synagoge verantwortlich sind, über jeden Verdacht erhaben sind.

Mahnwache

Schnell reagiert haben derweil Bürger, die sich Samstagnacht im Regen zu einer Mahnwache vor dem Tempel einfanden. Das ist ein Zeichen der Solidarität und auch für die Stadt der Menschenrechte, wie sich Graz nennt, wichtig. Denn die Wiedererrichtung der Synagoge beschloss der Gemeinderat der Stadt einst einstimmig, jetzt soll man sich auch gemeinsam vor sie und alle Grazer Jüdinnen und Juden stellen.

Geschmacklos bleibt derweil der Schlagabtausch zwischen Teilen der Linken und Rechten im Netz, wenn es um den mutmaßlichen Täter geht. Er hat sich mit propalästinensischen Slogans und IS-affinen Gesten vor der Überwachungskamera selbst positioniert. Seine Tat kann nicht als "politische Kritik" an Israel verharmlost werden.

Der Mann attackierte den Sitz und den Präsidenten der jüdischen Glaubensgemeinschaft. Das ist Antisemitismus, und dem muss man auch im Hinblick auf Rechtsextreme und andere Fanatiker schnell und entschieden entgegentreten. Antisemitismus bleibt eine Bedrohung, ob er von Islamisten, Neonazis oder aus einem Wachzimmer kommt. Er darf keine Chance auf Wiederkehr haben. (Colette M. Schmidt, 24.8.2020)