Gefälschte Konten, gefälschte Bankbestätigungen, frisierte Bilanzen ab 1992 – die Aufsicht sah das nicht.

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Die Whistleblower-Meldung 2015 zu Malversationen in der Commerzialbank Mattersburg verhallte mehr oder weniger ungehört. Die Vor-Ort-Prüfer der Nationalbank (OeNB) konnten die von Bankchef Martin Pucher und seiner Kollegin K. "betreuten" Fake-Konten im Kernbankensystem nicht finden, die Vorwürfe ließen sich aus Sicht der OeNB nicht verifizieren. In ihrem Prüfbericht hieß es so: Der Verdacht habe sich nicht erhärtet, wobei direkte Befragungen von Mitarbeitern nicht in den Aufgabenbereich der Prüfer fielen und daher einzelne Personen nicht mit den Vorwürfen konfrontiert worden seien. Daher könne der Wahrheitsgehalt der Whistleblower-Meldung über erfundenes Geschäft auch nur unvollständig beurteilt werden. Verdachtsmomente zum Hinweis, dass Bankchef Martin Pucher hunderttausende Euro verteilt habe, hätten sich nicht verstärkt.

Auch heute heißt es in der OeNB, die Fake-Konten seien in der Bank-IT nicht aufzufinden gewesen, nur die sogenannten Superuser (Pucher und K.) hätten Zugang zu den Daten gehabt. Auch andere Bankmitarbeiter hätten keinen Einblick nehmen können.

Das Radar der OeNB

Was gefunden wurde: zig "schwere Mängel" vor allem im Kreditrisikomanagement sowie sechs Gesetzesverstöße. Einen davon – es ging wie berichtet ums Eigenkapital – brachte die Finanzmarktaufsicht FMA im Dezember 2015 zur Anzeige. Aber die Staatsanwaltschaft Eisenstadt sah keinen Anfangsverdacht und leitete kein Verfahren ein. Die vom Wirtschaftsprüfer TPA testierte Bilanz 2015 musste korrigiert werden, das Eigenkapital war ja zu hoch ausgewiesen worden. Die TPA war bis zuletzt Abschlussprüfer der Bank.

Seit 2015 habe die OeNB das "kleine Institut, das ein grottenschlechtes Kreditrisikomanagement hatte, am Radar gehabt", schaut ein Notenbanker zurück. Man habe wohl ein "schlechtes Gefühl" gehabt, den Bankern aber keine kriminelle Energie unterstellt. Die Prüfung 2017, bei der kontrolliert wurde, ob die 2015 festgestellten Mängel behoben sind, habe die Commerzialbank bestanden, "wenn auch nicht mit Bravour". Und bei der Prüfung heuer sei ja alles aufgekommen – wenngleich es da wieder einen Whistleblower gab und Pucher letztlich selbst ausgepackt hat. All diese Prüfungen wurden von immer vom selben Notenbank-Experten geleitet.

Fake-Lawine

Heute ist man klüger als 2015. Die Bank mit einer Bilanzsumme von zuletzt rund 800 Mio. Euro ist pleite, 688 Mio. Euro an Geschäft waren erfunden, seit 2010 flossen rund 250 Mio. Euro aus dem Institut ab. Allein zwischen 2015 (erste Whistleblower-Meldung) und 2020 stieg das "Neugeschäft" um 300 Mio. Euro, das "Guthaben" bei anderen Instituten explodierte 2019 geradezu. Freilich war – fast – alles: Fake.

2019 war das Geschäftsmodell Luft dem Bankchef und seiner Vorstandskollegin längst über den Kopf gewachsen, wie sich aus ihren Einvernahmen erschließt. Laut Pucher hatte alles 1992 begonnen, "als wir noch eine Raiffeisenbank waren". Er habe mit der Bank eigentlich immer finanzielle Probleme gehabt, sei unter Erfolgsdruck gestanden und habe die ursprünglichen Verschleierungshandlungen (Fake-Kredite) getätigt, um Verluste zu verstecken.

"Zu stolz" für Insolvenz

Der Bankchef am 30. Juli zu den Ermittlern: "Wir hatten Fälligkeiten, die ich erfüllen musste. Was hätte ich also anderes tun sollen, als die Bilanz zu fälschen (…)?" Konkurs anmelden vielleicht? Ja, ab 2000 sei ihm bewusst gewesen, dass die Bank konkursreif ist, aber zur Insolvenzanmeldung sei er "zu egoistisch" und "zu stolz" gewesen, "also habe ich mit der Bilanzfälschung begonnen".

Die "Grundidee" für all das sei von ihm gekommen, K. habe die Verschleierungshandlungen ursprünglich in seinem Auftrag durchgeführt. Zu erfundenen Krediten kamen im Lauf der Zeit die erfundenen Guthaben bei anderen Banken und Bargeldentnahmen hinzu. "Grob geschätzt" habe er seit 1992 rund 40 Mio. Euro unrechtmäßig entnommen, sagt Pucher aus. Das Geld sei zur Gänze an den Fußballklub SV Mattersburg (SVM) geflossen, dessen Präsident er war und dessen Sponsoring er sich "im Lauf der Jahre nicht hätte leisten können". Spieler hätten von ihm aber nie Geld in die Hand bekommen, das sei über den Kartenkauf in den Verein gekommen. Sprich: Pucher kaufte Eintrittskarten.

Bares für marode Kreditnehmer

Auch Kreditnehmer kamen in den Genuss von Barem, sofern es ihnen schlecht genug ging. Ihnen will Pucher Geld in die Hand gedrückt haben, mit dem sie ihre "notleidenden Betriebe finanziert" hätten. Der Vorteil für die Bank: Die habe sich die Wertberichtigungen erspart, die im Konkursfall angefallen wären.

Wie man sich solche Bargeldübergaben vorstellen kann? Die hätten meist in der Bank stattgefunden, manchmal auf einem Parkplatz, im Unternehmen oder bei Pucher. Mit der Kohle, die er zuvor mit gefälschtem Barscheck abgehoben hatte und die aus Termin- und Spareinlagen stammte, bekamen die Kunden auch Trostworte überreicht: "Wir, die Bank, verdienen gut, und die Bank hilft dir."

Geldwäscheverdacht

Was die Kunden, darunter ein Ex-SVM-Großsponsor, mit der Bankenhilfe Geld gemacht haben, beschrieb Pucher so: Sie hätten fingierte Rechnungen an fingierte Kunden gelegt und diese mit dem Geld selbst bezahlt, so seien Scheinumsätze entstanden. Zumindest ein Finanzstrafverfahren ist in dem Konnex wie berichtet anhängig, auch eine Geldwäscheverdachtsmeldung wurde vor kurzem erstattet.

Für sich oder seine Familie habe er nie Geld entnommen, beteuert Exbanker Pucher, für den die Unschuldsvermutung gilt. Über seine Depots darf er übrigens nicht mehr verfügen. (Renate Graber, 25.8.2020)