Der Stau am Sonntag an der Kärntner Grenze hat ein politisches Vorspiel – die Erzählungen aus dem Ministerium und dem Bundesland sind allerdings nicht ganz deckungsgleich.

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Nur "zufällig" sei er auf die Verordnung gestoßen, am Samstag, wenige Stunden bevor das Chaos an den Grenzen im Nachbarbundesland Kärnten losgebrochen war, sagt Manfred Walch, Bezirkshauptmann von Leibnitz und Zuständiger für den stark frequentierten Grenzübergang Spielfeld. Er habe von der Wirtschaftskammer ein Schreiben bekommen, in dem es um die Problematik der Pendler aus Kroatien ging. Und "so nebenbei" sei auch von der Verordnung die Rede gewesen, die zum Stauchaos geführt habe.

Doch wie konnte es dazu kommen? Wer wurde wann durch wen informiert? DER STANDARD hat die Abläufe vor dem Grenzchaos rekonstruiert.

Mittwoch, 19. August

Die Länder haben mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober ihre allwöchentliche Videokonferenz – auch Kärnten war anwesend, wie das Gesundheitsressort betont. Thema ist unter anderem das Einreise-Management und die dazu anstehende Verordnung sowie auch das Durchreise-Formular, das später für Verwirrung sorgen wird. Protokolliert ist, dass aus Kärnten nachgefragt wurde, wie die Kontrollen durchzuführen seien. Anschober habe daraufhin erklärt, dass das Ziel eine "hohe Stichproben-Intensität" sei und die Möglichkeit bestehe, das Bundesheer zur Unterstützung zuzuziehen.

Freitag, 21. August

Die neue Einreise-Verordnung wird kundgemacht. Sie beinhaltet, dass das Durchreise-Formular ab Samstag zu verwenden sei. An der Interpretation der anderen Bestimmungen scheiden sich die Geister. Das Gesundheitsministerium sagt: Auch aus der Verordnung gehe hervor, dass "Stichproben ausreichend sind und nicht jeder kontrolliert werden muss". In Kärnten wird der Rechtsakt anders gelesen.

Aus dem Büro von Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser heißt es: In den ersten beiden Augustwochen wurde Kaiser per Schreiben von Anschober aufgefordert, die Grenzkontrollen zu verstärken. Das komme einer Weisung gleich. Vergangene Woche habe Landesrätin Beate Prettner den Gesundheitsminister um detaillierte Auskünfte gebeten, wie denn die medial geforderten stärkeren Grenzkontrollen organisiert werden sollten. Als die Verordnung am Freitag veröffentlicht wurde, sei die Klärung der notwendigen Details noch nicht erfolgt gewesen.

Einschulung ohne Informationen

Aus der Steiermark hört man: "Am Freitag um 17 Uhr hatten wir eine Einschulung für die Grenzabfertigung, da wussten wir noch nichts davon, deshalb ärgert es mich auch, dass vom Ministerium behauptet wird, wir seien informiert worden", sagt Bezirkshauptmann Walch aus Leibnitz.

Walch hat dann aber anders als sein Kärntner Kollege von der Bezirkshauptmannschaft Villach-Land, Bernd Riepan, die Verordnung schlicht ignoriert. "Weil sie widersprüchlich ist." Walch fragt sich außerdem: "Was passiert eigentlich mit den ganzen unterschriebenen Zetteln? Was haben die Formulare für Konsequenzen? Das ist für mich einfach nicht exekutierbar", sagt er im STANDARD-Gespräch und fügt noch Grundsätzliches an: Seit Beginn der Pandemie seien die örtlichen Behörden mit 372 Corona-Verordnungen konfrontiert. "Man kommt de facto mit dem Lesen nicht mehr nach. Ich denke mir, wenn sich schon die Juristen nicht auskennen, wie sollen sich dann die Leute auskennen? Und schuld sind dann die kleinen Beamten."

Samstag, 22. August

Das Staatliche Krisen- und Katastrophenschutzmanagement schickt per Mail Informationen zur Einreise-Verordnung an alle Länder – so sagt es das Gesundheitsressort.

Sonntag, 23. August

Das Kabinett von Anschober beruft sich auf ein Telefonat mit Kaiser, in dem erneut betont worden sei, dass Stichproben ausreichend seien. Das hört man auch aus Kaisers Büro, wenn auch ausführlicher: Um 9 Uhr habe Riepan den Landeshauptmann telefonisch über einen enormen Rückstau an den Grenzen infolge der in der Verordnung festgehaltenen lückenlosen Kontrollen informiert. Kaiser habe daraufhin versucht, Anschober persönlich zu erreichen – kommt aber nur auf die Mobilbox.

Nach ein paar Minuten meldet sich Anschobers Kabinettschefin Ruperta Lichtenecker bei Kaiser. Er schildert ihr die unhaltbaren Zustände und dass er die Behörden ersuchen werde, nur mehr stichprobenartig zu kontrollieren. Die Kabinettschefin stimmt der Vorgangsweise zu. So wird es dann auch getan, die Lage entspannt sich. Gegen 18 Uhr schickt Anschober eine Klarstellung an die Landesssanitätsbehörden – aber nicht an die Landeshauptleute, wie Kaisers Büro kritisch anmerkt. (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, 24.8.2020)