Bild nicht mehr verfügbar.

Ein US-Soldat auf dem Militärstützpunkt Taji nördlich von Bagdad. Die US-Armee hat Camp Taji am Wochenende den Irakern übergeben, inklusive Ausrüstung im Wert von 350 Millionen Dollar.

Foto: REUTERS/Thaier Al-Sudani

In Artikeln über den irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kadhimi – anlässlich seines ersten Washington-Besuchs vergangene Woche waren es viele – kommt sehr oft das Wort "kühn" vor: Gemeint ist, dass Kadhimi, dessen Regierung erst seit Anfang Mai im Amt ist, sich nichts weniger als die Quadratur des irakischen Kreises vorgenommen hat. Eine klassische "mission impossible"?

Er hat US-Truppen genauso im Land wie aggressive schiitische Milizen, die ihren Chef nicht in Bagdad, sondern in Teheran sehen. Er hat inmitten einer Pandemie übernommen, einen Staat, dessen einzige Einnahmequelle Öl ist, in einer Zeit mit einem besonders tiefen Ölpreis. Und er ist mit einer erschöpften, zerfallenden Gesellschaft konfrontiert, die sich zunehmend gegen das System und die völlig darniederliegende Infrastruktur wehrt. Anfang nächsten Jahres will er vorgezogene Parlamentswahlen abhalten.

Geteilte Reaktionen

Genauso geteilt, wie es die Iraker politisch sind, fielen die Reaktionen auf seinen US-Besuch aus: Kadhimi kam mit einigen wirtschaftlichen Erfolgen im Gepäck heim, mit Verträgen im Umfang von fast zehn Milliarden US-Dollar, vor allem im Energiebereich, sowie der Zusage für eine humanitäre finanzielle Spritze von 200 Millionen. US-Präsident Donald Trump war freundlich zu ihm, nannte ihn einen "hochrespektierten Gentleman".

Die Amerikaner kennt Mustafa al-Kadhimi gut, war der politisch Unabhängige doch zuvor Geheimdienstchef. Seine guten Beziehungen nach Washington bringen ihn bei der anderen Seite natürlich automatisch unter Generalverdacht. Wenngleich auch der Iran ihn abgenickt hat: Denn sonst, ohne Stimmen der Iran-Parteigänger im Parlament, wäre Kadhimi eben nicht Regierungschef geworden.

Strategischer Dialog

Kadhimis US-Reise fiel in den Kontext eines Dialogs zwischen Washington und Bagdad im Rahmen jenes "Strategic Framework Agreement" (SFA), das Ende 2008 noch unter George W. Bush verhandelt wurde. Das SFA war sozusagen das, was nach dem Abzug der US-Kampftruppen 2011 bleiben sollte: Aber dann kam 2014 der "Islamische Staat" und brachte eine internationale Intervention unter US-Führung. Die USA waren im Irak zurück.

Noch immer sind 5200 US-Soldaten im Irak, gleichzeitig findet eine große Umgruppierung statt. Insgesamt acht mit den Irakern gemeinsam genutzte Militärbasen hat die US-Armee inzwischen verlassen, vor wenigen Tagen Camp Taji im Norden von Bagdad. Militärische Ausrüstung im Wert von fast 350 Millionen US-Dollar wurde dabei den Irakern übergeben.

Den Gegnern der US-Präsenz im Irak reicht das alles dennoch nicht: Nachdem die USA im Irak zu Jahresbeginn den iranischen General Ghassem Soleimani getötet und Stützpunkte von Milizen angegriffen hatten – nach Attacken dieser Milizen auf sie –, hatte das Parlament den Abzug aller US-Truppen verlangt. Kadhimi trat seine Amtszeit mit dem Versprechen eines "Fahrplans" für diesen Abzug an. Aber den gibt es auch nach seinem Besuch in Washington noch nicht.

Das liegt jedoch nicht an Donald Trump, der wieder einmal bekundete, lieber heute als morgen abziehen zu wollen, zum Haareraufen seiner Strategen, die einen völligen Abzug aus dem Irak aus zwei Gründen für falsch halten: Erstens gibt der "Islamische Staat" noch immer starke Lebenszeichen. Der zweite Grund ist eben genau der Iran – und Syrien, wo die USA nur mehr ein paar Hundert Mann haben.

Seufzer statt Gewissheit

Trump musste sich also mit der Aussicht auf einen Abzug begnügen, quasi mit einem Seufzer: "Wir bringen sie aus Syrien nach Hause. Wir bringen sie aus dem Irak nach Hause. Diese endlosen Kriege, sie hören nie auf!" Premier Kadhimi hingegen gab unumwunden zu, dass der Irak den Beistand der USA brauche, auch wenn er betonte, dass die zukünftige US-Mission im Irak sich auf Training beschränken werde. Zu Hause empfing ihn dafür beißende Kritik. Und dieselbe Fraktion sieht auch nicht gern, dass der schiitische Premier sich darum bemüht, die Beziehungen zu den arabischen Staaten des Golfkooperationsrats zu verbessern. Am Dienstag stand auch ein Treffen mit Jordaniens König Abdullah und dem ägyptischen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi in Amman auf dem Programm: Der Irak, der auch nach dem Sturz von Saddam Hussein nicht mehr seinen Platz in der Region gefunden hat und stark nach Teheran geschaut hat, will sich wieder in die arabische Welt reintegrieren. Ohne Risiko ist diese Politik für Kadhimi nicht.

Während er in Washington weilte, gingen im Süden des Irak nicht nur die Proteste – gegen die Lebensbedingungen und das ganze System und besonders die schiitischen Parteien – weiter, sondern auch eine Mordserie an Aktivisten. Es trifft immer Personen, die als Agenten der USA verleumdet werden. Das letzte Opfer war eine Ärztin in Basra, Riham Yacoub. Auch hier agiert Kadhimi unmissverständlich, kühn: Nach seiner Heimkehr suchte er sofort die Familie der Getöteten auf. Den Polizeichef von Basra feuerte er schon von Washington aus. (Gudrun Harrer, 25.8.2020)