Ein Milliardär gibt den Champion der weißen Arbeiterklasse.
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Allein schon die Liste der Abwesenden lässt erkennen, was sich geändert hat bei den amerikanischen Konservativen. George W. Bush, vor Donald Trump der letzte Republikaner hinterm Schreibtisch im Oval Office, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht am Wahlparteitag der Republikaner teilnehmen, auch nicht virtuell. Mitt Romney, 2012 zum Präsidentschaftsbewerber der Partei gekürt, hat bereits vor Wochen abgesagt. Cindy McCain, die Witwe John McCains, den die "Grand Old Party" 2008 fürs Oval Office nominierte, sprach bereits, nur eben auf dem Kongress der Demokraten. Wer personelle Beweise dafür sucht, wie gründlich sich die Partei mit dem Elefanten im Wappen unter Trump gewandelt hat, der bekommt sie zuhauf geliefert.

Gründlicher Richtungswechsel

Es geht aber – natürlich – längst nicht nur ums Personal. Auch die Agenda hat in wesentlichen Punkten nichts mehr mit dem zu tun, was die Republikaner bis zum Siegeszug des New Yorker Tycoons vertraten. Noch Romney stand für möglichst niedrige Zollbarrieren, für eine liberale Weltordnung und das Festhalten an internationalen Allianzen. Er stand für freie Märkte, ein Minimum an staatlicher Regulierung und das Bekenntnis zu fiskalischer Disziplin, auch wenn letzteres bei den Republikanern oft nur ein theoretisches war, konterkariert durch ihr Handeln am Regierungsruder. Trump hat all das über Bord geworfen, wobei es zu einfach wäre, von einem Traditionsbruch in jeder Beziehung zu reden.

Die Phase, in der Amerikas Konservative mehrheitlich dem Freihandel das Wort redeten, war historisch gesehen relativ kurz. Sie begann um das Jahr 1970, als die Demokraten mit Unterstützung damals noch starker Gewerkschaften auf einen verstärkt protektionistischen Kurs einschwenkten und die Republikaner in die entgegengesetzte Richtung marschierten.

Innere Überzeugungen

Trump ist, wenn man so will, zurückgekehrt zum protektionistischen Ausgangspunkt.

Zum einen entspricht das seinen inneren Überzeugungen: Schon Ende der Achtziger – da spielte er zum ersten Mal mit dem Gedanken an eine Kandidatur fürs Weiße Haus – beschwerte er sich darüber, dass sein Land ständig übervorteilt werde vom Ausland. Zum anderen entspringt es kühlem, wahlpolitischem Kalkül. Wie schon 2016 setzt er ganz auf die weiße Arbeiterschaft, die zumindest im Rostgürtel der alten Industrie zu den Verlierern der Globalisierung gehört. Dort, von Wisconsin bis Pennsylvania, sollen ihm deren Stimmen zum Sieg verhelfen.

Und da die politische Bedeutung der Swingstates im Rust Belt deren Bevölkerungszahl klar übertrifft, wagt niemand zu behaupten, dass die Rechnung nicht ein zweites Mal aufgehen kann.

Milliardär als Held der Arbeiterklasse

Wie es dem Milliardär gelingt, den Champion der weißen Arbeiterklasse zu geben – die Politikwissenschafter Jacob Hacker und Paul Pierson haben dem Phänomen ein Buch gewidmet, das sich mit Blick auf die Wahl im November als Pflichtlektüre empfiehlt. In "Let Them Eat Tweets" versuchen beide einem Widerspruch auf den Grund zu gehen. Denn im Praktischen betreibt Trump eine Politik, die den Interessen der Arbeiterschaft konträr zuwiderläuft. Von Steuersenkungen, die er im Bunde mit seinen Republikanern, auch denen der alten, nichtpopulistischen Schule, durchs Parlament brachte, profitierten in erster Linie die reichsten Amerikaner. Zu vier Fünfteln kam die staatliche Großzügigkeit dem obersten Prozent der Wohlstandspyramide zugute. Nach Umfragen zu urteilen fand und findet sich dafür in den Ortsvereinen der Konservativen keine Mehrheit.

Doch trotz einer offensichtlich unpopulären Politik, schreiben die beiden Autoren, stimmen viele Millionen mit allenfalls bescheidenem Wohlstand nicht nur an der Wahlurne für diese Partei. Sie legen ihr gegenüber eine Treue an den Tag, die an die Loyalität innerhalb eines Stammesverbands denken lasse.

Was sie für den Hauptgrund halten, fassen Hacker und Pierson in zwei Sätzen zusammen. "Sachthemen, ob ökonomische oder soziale, haben weniger Wirkungsmacht als Identitäten. Es ist die Identität, die Annahme, zusammenzustehen im Angesicht einer Bedrohung, die wirklich mobilisiert."

Das weiße Amerika

Im Vordergrund stehe die Identität des weißen Amerikaners, wie Trump sie beschwöre, während er die Perspektive demografischen Wandels zur Gefahr erkläre. Diese Identität verbinde sich dann mit anderen, die seine Partei ebenfalls betone: "christlich-konservativ, Waffenbesitzer, wohnt auf dem Land oder in einer Kleinstadt, glaubt an traditionelle Geschlechterrollen".

Hinzu kommt ein Trend, der dem Amtsinhaber in die Hände spielt, wenn er seine Gegner als Interessenvertreter einer intellektuellen, in seiner Darstellung abgehobenen Elite charakterisiert.

Mitte der Neunziger hatten noch mehr Wähler der Republikaner einen College-Abschluss als solche der Demokraten, nämlich 27 Prozent im Verhältnis zu 22 Prozent. Mittlerweile hat es sich umgekehrt. Heute haben 41 Prozent derer, die sich mit den Demokraten identifizieren, eine Uni besucht, während es bei Anhängern der Republikaner gerade einmal 29 Prozent sind. (Frank Herrmann, 25.8.2020)