Der orthodoxe Metropolit Amfilohije Radović empfiehlt seinen Schäfchen, gegen die regierende Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) zu stimmen. Die serbisch-orthodoxe Kirche mischt sich somit aktiv in die Wahlen ein, die kommenden Sonntag stattfinden werden. "Die Kirche hat keine Partei- oder Wahlkarte, aber es ist nur natürlich, dass sie vorzugsweise auf jene blickt, die gegen gesetzlose Regelungen sind und die Heiligkeiten verteidigen", sagte der Oberbischof kürzlich in der Auferstehungskirche in der Hauptstadt Podgorica.

Der Streit zwischen dem Chef der DPS, Präsident Milo Djukanović, und der serbischen Orthodoxie eskalierte vor einigen Monaten, als das neue Religionsgesetz im Parlament verabschiedet wurde. Das Gesetz sieht vor, dass religiöse Objekte und Grundstücke, die mit staatlichen Geldern errichtet wurden oder bis zur Eingliederung des Königreichs Montenegros in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen im Jahr 1918 dem Staat gehörten, wieder Eigentum des heutigen Staates Montenegro werden sollen.

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Milo Djukanović ist die bestimmende Figur in Montenegro.
Foto: REUTERS/Ints Kalnins

Die Verteidigung des "Heiligsten"

Zehntausende Montenegriner, die ansonsten traditionell nur schwer zu Protesten zu bewegen sind, demonstrierten im Winter gegen das Religionsgesetz – die serbisch-orthodoxe Kirche behauptete nämlich, dass den Menschen nun ihr "Heiligstes" genommen werden sollte. Viele Demonstranten wollten aber auch einfach ihrem allgemeinen Ärger über die Regierung Ausdruck verleihen. Trotzdem ist für viele Religion identitätsbestimmend, obwohl das oft mit Spiritualität nichts zu tun hat.

In Montenegro gibt es neben der serbisch-orthodoxen Kirche auch eine eigene montenegrinisch-orthodoxe Kirche, die von der serbisch-orthodoxen Kirche bekämpft wird und nur etwa 15 Prozent Anhänger in der Bevölkerung hat. Seit der Auflösung von Jugoslawien ist auch die mazedonisch-orthodoxe Kirche autokephal, also unabhängig von der serbischen Orthodoxie, die wiederum aus machtpolitischen Gründen dagegen ist. Djukanović kritisierte bereits 2018 die "ausgesprochen destruktive" Rolle der serbischen Orthodoxie gegenüber Montenegro und forderte eine Stärkung der autokephalen Kirche für seinen Staat. Insbesondere die serbische Orthodoxie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark politisch eingemischt – der Säkularismus ist nicht im Selbstverständnis verankert wie in Mitteleuropa.

Politische Einflusssphären

Tatsächlich geht es auch um rein politische Einflusssphären von Belgrad. Die Beziehungen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanović sind schon seit langem schlecht, weil sich Djukanović von Vučić nichts dreinreden lassen will. Vučić versucht über bestimmte Parteien in den Nachbarstaaten Einfluss zu nehmen: Im Kosovo ist das die Srpska Lista, die unter seiner Kontrolle steht, in Bosnien-Herzegowina die SNSD von Milorad Dodik. In Montenegro gilt die Demokratische Front als proserbisch.

Die DPS und Djukanović sind wiederum seit 1990, seit den ersten freien Wahlen an der Macht. Djukanović war jahrelang entweder Premier oder Präsident – zurzeit hat er wieder einmal das Amt des Staatschefs inne. Doch die Macht der DPS bröckelte in den vergangenen Jahren. Und auch diesmal ist zu erwarten, dass die DPS einige andere Koalitionspartner brauchen wird, um an der Macht zu bleiben. Traditionell regiert die DPS mit den Minderheiten – einige Albanerparteien machen gerade mobil, um auch die Diaspora, etwa in Italien, dazu zu bewegen, nach Montenegro zu kommen und abzustimmen. Die Opposition ist in einen prorussischen, proserbischen und einen prowestlichen Teil gespalten – also eigentlich komplett entgegengesetzt ausgerichtet und deshalb auch schwach.

Neuerliche Warnung vor Zwischenfällen

Premierminister Marković beschuldigte am Mittwoch das pro-serbische Oppositionsbündnis "Für die Zukunft Montenegros", Proteste am Wahltag zu planen und verwies darauf, dass diese Informationen von Sicherheitsdiensten bestätigt worden seien. "Wir werden am 30. August entschlossen darauf reagieren", kündigte Marković an. Der Chef der montenegrinischen Polizei, Veselin Veljović bestätigte, dass einige Einzelpersonen und organisierte Gruppen planten, Zwischenfälle zu provozieren.

Die Situation erinnert an den Wahltag bei den letzten Parlamentswahlen: Am 16. Oktober 2016 sollen proserbische Oppositionspolitiker mit Hilfe von russischen Geheimdienstlern einen Staatsstreich geplant haben. Im Mai 2019 wurden dann 13 Personen wegen "terroristischer Aktionen" verurteilt – darunter Oppositionspolitiker und zwei russische Staatsbürger, die allerdings schon lange wieder in Moskau weilten.

Mehr Wähler als erwachsene Bürger

Offensichtlich ist, dass in Montenegro viel mehr Menschen auf Wahllisten registriert sind als tatsächlich dort wohnen. Laut dem Statistikamt gibt es sogar um 52.000 mehr registrierte Wähler als erwachsene Personen im Lande. Laut den Gesetzen dürfen alle wählen, die zwei Jahre vor der Wahl in Montenegro gemeldet waren. Die Opposition behauptet, dass die regierenden Parteien die Diaspora nutzen, um die Wahlen zu fälschen. Insbesondere aus den Gemeinden Petnjica, Plav, Gusinje und Ulcinj sind viele Leute ins Ausland gezogen, aber weiterhin auf den Wählerlisten.

Die Medienplattform "Balkaninsight" deckte auf, dass die Anzahl der Wähler seit 1991 um 138.000 Personen stieg, während die Anzahl der montenegrinischen Bürger seither nur um 7000 gewachsen ist. "Phantomwähler" werden offenbar von den Parteien, je nach ihrem Wahlverhalten, von Listen gestrichen oder auf Listen belassen.

Langsamer Reifungsprozess

Daliborka Uljarević vom Zentrum für zivile Bildung erwartet nach den Wahlen keine großen Veränderung für das Land mit 620.000 Einwohnern, dennoch sieht sie einen langsamen Reifungsprozess, mehr selbstbewusste Bürger, die demokratische und rechtsstaatliche Standards einfordern und Dialog und Kompromiss einer autoritären Führung vorziehen. Typen wie Djukanović, die alles zentral und von oben steuern, nehmen an Popularität ab. Duško Marković, seit 2016 Premierminister, ist eine alternative politische Figur. Er gilt als vergleichsweise liberal und reformorientiert, seine Partei DPS ist aber so verkrustet, dass er sich, solange es Djukanović gibt, schwer durchsetzen wird können. Denn Djukanović verträgt schwer Kritik.

Der EU-Beitrittsprozess, der seit acht Jahren läuft, ist schon lange ins Stocken geraten, die Vorschläge der EU-Kommission werden einfach nicht umgesetzt. "Ich sehe nicht, dass die Regierung in der vergangenen Legislaturperiode irgendetwas in diese Richtung weiterbringen wollte", resümiert Uljarević. Vor allem gibt es keinerlei Fortschritte bei den zentralen Kapiteln 23 und 24, wo es um die Rechtsstaatlichkeit geht: Die Staatsanwaltschaft ist weiterhin von parteilichen Interessen unterlaufen und es fehlt eine effektive Antikorruptionsbehörde.

Eingeschränkte Medienfreiheit

Montenegro hat zwar alle 35 Kapitel geöffnet – aber solange es keine Reformen im Rechtsstaatsbereich gibt, wird kein Kapitel geschlossen werden. Auch die Medienfreiheit wurde in den vergangenen Jahren weiter eingeschränkt – insbesondere das öffentliche Fernsehen ist von Parteiinteressen gesteuert.

Eine große Rolle wird nun am Sonntag bei der Wahl das Management der Covid-19-Krise spielen. Zunächst schaffte es das wunderschöne Land mit den wilden Flüssen in den zerklüfteten Bergen, den malerischen Buchten und dem märchenhaften Shkodar-See sogar, das Virus komplett auszurotten, doch dann wurde es wieder importiert, und die Zahlen schnellten derart in die Höhe, dass traditionell wichtigen Touristengruppen wie Serben und Russen im Sommer die Einreise verweigert wurde. In Montenegro gibt es auch nur ein Laboratorium, das in der Lage ist, etwa 500 Tests pro Tag durchzuführen.

Lange waren Montenegros Strände leer.
Foto: SAVO PRELEVIC / AFP

Leere Strände

Die Strände und Hotels waren jedenfalls wochenlang leer, was zu schweren Einbußen führte. Die Arbeitslosenrate liegt nun bei über 18 Prozent. Dabei macht der Tourismus ein Fünftel der montenegrinischen Wirtschaft aus. Der Internationale Währungsfonds hilft nun mit über 60 Millionen Euro aus, um die Folgen der Krise abzufedern. Doch die Menschen haben Angst vor dem Winter, wenn die ökonomischen und sozialen Auswirkungen stärker zu spüren sein werden. (Adelheid Wölfl, 29.8.2020)