Plötzlich steht der russische Bekannte (Tambet Tuisk) samt Familie vor der Tür: Julia Jentsch (li.) in Johanna Moders "Waren einmal Revoluzzer".

Zwischen erster Liebe und Selbstversuchen im Internet: der Episodenfilm "Lovecut".

Jede Generation hat für ihre eigenen Unaufrichtigkeiten geradezustehen. Waren einmal Revoluzzer und Lovecut, zwei österreichische Filme, die Anfang 2020 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurden (beste Regie bzw. bestes Drehbuch), ermöglichen nun den direkten Vergleich: zwei Altersgruppen, die sich ein Stück weit selbst betrügen, in kritischer Nahaufnahme.

Bei Johanna Moders Waren einmal Revoluzzer geraten zwei Paare Mitte vierzig, urbane Lifestyle-Liberale, ausgerechnet unter Druck, als sie besonders selbstlos erscheinen wollen. Die Generation-Z-Kids aus dem Film der Debütantinnen Johanna Lietha und Iliana Estañol bewegen sich hingegen in Schleifen: Aus der Realität und der Wirklichkeit ihrer Smartphones machen sie kaum mehr einen Unterschied. Was Simulation ist und was sich echt anfühlt, das kommt ganz auf die persönliche Veranlagung an.

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Doch zunächst zur Scheinheiligkeit der gutsituierten Protagonisten aus Waren einmal Revoluzzer. Moders Ausgangspunkt ist ein idealistisches Projekt. Man könne doch endlich einmal etwas aus Überzeugung tun, statt immer nur über den miserablen Zustand der Welt zu mosern. Der Anlass: Ein alter russischer Freund, der mittlerweile zu den Oppositionellen gehört, benötigt Unterstützung. Die Hilfsaktion entwickelt rasch Eigendynamik, und Pawel (Tambet Tuisk) steht mit seiner Frau Eugenina (Lea Tronina) und Baby vor der Tür. Mit den Auswirkungen der guten Tat ist ein jeder in der Wiener Freundesgruppe rasch überfordert. Man ist sich halt doch selbst am nächsten.

Moder hat schon in ihrem Spielfilmdebüt High Performance ihr Talent für so stimmige wie ironische Nuancen in der Figurenzeichnung bewiesen; etwas, was sie von der zu Grobschlächtigkeit neigenden heimischen Komödie wohltuend unterscheidet. In Waren einmal Revoluzzer sind Manuel Rubey und Marcel Mohab wieder dabei (sie arbeiteten mit Moder am Drehbuch mit). Mehr Bandbreite haben jedoch die beiden Frauenfiguren, die von den deutschen Schauspielerinnen Julia Jentsch und Aenne Schwarz verkörpert werden. Die zunehmend überforderte Richterin Helene (Jentsch) und die Künstlerin Tina (Schwarz) müssen schmerzhaft realisieren, dass sie sich zu lange etwas vorgemacht haben. Das kann, muss aber nicht gleich mit einer Läuterung einhergehen.

Von Sittenkomödie zur Introspektion

Pawels Kleinfamilie wird jedenfalls unter den Freunden wie eine heiße Kartoffel herumgereicht, bis es im Wochenendhaus im Waldviertel zur Konfrontation kommt. Als hätte es nur eines äußeren Anlasses gebraucht, tritt die Heuchelei der Paare zutage.

Der Film entwickelt sich dabei von einer Sittenkomödie mühelos stärker in Richtung Introspektion. Schicht für Schicht werden die kleinen Verlogenheiten eines sich weltoffen gebenden Bürgertums abgetragen. Seitenhiebe gelingen Moder erstaunlich subtil, nur Mohabs narzisstischer Macho wirkt eine Spur zu forciert. Sogar die oberflächlich fortschrittlichen Geschlechterrollen erweisen sich als systemstützend: Wenn die Bequemlichkeit auf dem Spiel steht, greift man gern auf eingespielte Rollenmuster zurück.

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In Lovecut sollte in der Charakterbildung noch vieles offen sein, doch die Jugendlichen fechten ihre eigenen Kämpfe um einen Platz in der Welt aus. Lietha und Estañol haben drei Episoden um Teenagerpärchen zu einem Film zusammengebaut, in dem es um vorsichtiges Kennenlernen, um erste Intimitätserfahrungen und Identitätsfragen geht. Die Darsteller wurden in Clubs und an öffentlichen Orten gecastet, was dem Film einen eigenen Sprachrhythmus und viel Authentizität verleiht.

Das verbindende Motiv ist der Umstand, dass keine Kommunikation, kein Identitätskonzept mehr ohne ein technologisches Mittel auskommt. In der Beziehung von Jakob und Julia wird jeder Kuss aufgezeichnet und dies dann bald auch auf Sex ausgeweitet. Alex und Momo verabreden sich auf Skype, warum sie den nächsten Schritt nicht riskieren, bleibt länger in der Schwebe. Das dritte Pärchen findet sich über Tinder, ist auf Spaß und Party aus, aber auch da zeigt sich, dass es unterschiedliche Erwartungen gibt.

Neu erfinden im Netz

Lovecut ist vor allem in jenen Momenten als Generationsporträt überzeugend, in denen er sich im freien Sturz auf den Alltag der Teenager einlässt, sich den Orten und fahrigen Gesten seiner Darsteller überlässt. Die Schwächen des Films treten interessanterweise in jenen Szenen zutage, in denen die Sichtweisen der Teenager in Dialoge übertragen wurden, die nicht wie von ihnen selbst klingen.

Dass man sich im Netz neu erfinden kann, wird durchwegs positiv gezeichnet. Identitäten sind nicht starr. In der vielleicht stärksten Geschichte, in der es um die Angst geht, in der Realität nicht zu genügen, wird aber auch die Fallhöhe deutlich. Anders als Moders Protagonisten haben die Post-Millennials immerhin noch echte Chancen, es besser zu machen. (Dominik Kamalzadeh, 26.8.2020)