Die 35-Stunden-Woche soll für alle 65.000 Beschäftigten der Stadt gelten. Darauf drängen die Grünen.

Foto: Michael Matzenberger

Klubchef David Ellensohn ...

Foto: APA / Roland Schlager

... und die Quereinsteigerin Judith Pühringer fordern von der Wiener SPÖ in dieser Frage Bewegung.

Foto: APA / Herbert P. Oczeret

Wiens Grüne machen bei einem Thema Druck, das auch die Bundes-SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner oder die Gewerkschaften trommeln. Es geht um eine Arbeitszeitreduktion auf eine 35-Stunden-Woche ohne Lohneinbußen für Arbeitnehmer. Konkret fordern die Grünen im Wahlkampf für die Wien-Wahl diese Maßnahme für alle rund 65.000 Beschäftigten der Stadt – von Mitarbeitern der Müllabfuhr bis zu Beschäftigten im Bereich Pflege, Kindergarten oder Mitarbeitern in der Verwaltung.

Zwar trete auch die Bundes-SPÖ für eine Arbeitszeitreduktion ein, sagt der grüne Klubchef David Ellensohn. "Aber dort, wo die SPÖ zuständig ist, nämlich in Wien, machen sie nichts", kritisiert er im Gespräch mit dem STANDARD. "Die SPÖ könnte alles, was Rendi-Wagner fordert, bei den Beschäftigten der Stadt in Wien umsetzen. An uns als Koalitionspartner scheitert es sicher nicht."

350 Millionen Euro Kosten

Laut einer Berechnung der Grünen würde die Maßnahme die Stadt rund 350 Millionen Euro kosten. Durch die Arbeitszeitreduktion würden aber auch zusätzliche 7000 Arbeitsplätze mitten in der Corona-Krise geschaffen werden können, sagt die Quereinsteigerin und grüne Listendritte Judith Pühringer.

Kürzere Wochenarbeitszeiten würden mehr Flexibilität für Arbeitnehmer bedeuten – gleichzeitig aber auch mehr Produktivität und weniger Krankenstände, was wiederum dem Arbeitgeber zugutekomme. Vor allem Frauen, die das Thema Teilzeit besonders betrifft, würden davon profitieren, sagt Pühringer. Für ihren Antritt bei der Wien-Wahl legte sie übrigens die Geschäftsführung beim Netzwerk "Arbeit plus" sowie ihre Tätigkeit in der Armutskonferenz zurück.

1750 Euro Mindestlohn

Auch die langjährige grüne Forderung nach einem Mindestlohn von 1750 Euro brutto bleibt weiter aufrecht. Ellensohn schätzt, dass bei den Beschäftigten der Stadt Wien aber nur noch "ein paar Tausend Mitarbeiter" unter diesem Wert verdienen würden. Die 35-Stunden-Woche für alle Mitarbeiter in Wien habe größere Auswirkungen und könnte laut Ellensohn "schneller umgesetzt werden".

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat am Montagabend im ORF-"Sommergespräch" gemeint, dass es in ihrer Partei für die Vier-Tage-Woche und für einen 1700-Euro-Mindestlohn eine breite Mehrheit gebe. Eine Maßnahme würde demnach nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise abzufedern und Österreich aus der Krise zu führen. Die Vier-Tage-Woche müsse aber ein freiwilliges Angebot an Unternehmen sein, meinte Rendi-Wagner. Für die Stadt Wien als Arbeitgeber könnten SPÖ und Grüne eine politische Entscheidung treffen, meinte Ellensohn: "Machen wir es dort, wo wir es auch umsetzen können."

Die Wiener SPÖ reagierte eher verhalten auf den grünen Vorstoß zur 35-Stunden-Woche. Im Büro des zuständigen Stadtrats Jürgen Czernohorszky wurde auf den "sehr hohen Stellenwert" der Sozialpartnerschaft verwiesen. "In dieser Tradition werden personalpolitische Zielsetzungen gemeinsam und solidarisch diskutiert. Dazu gehört auch die Frage der Arbeitszeit, die immer wieder Teil sozialpartnerschaftlicher Gespräche ist." Für die Grünen ist die 35-Stunden-Woche jedenfalls "definitiv eine unserer Hauptforderungen" bei möglichen Verhandlungen für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition, sagte Pühringer dem STANDARD. Die SPÖ würde bei dieser Frage bislang "herumeiern".

Stille Grüne im Bund

Die Grünen befinden sich freilich auch in einer Bundesregierung mit der ÖVP. Und in dieser sind die Grünen verhältnismäßig still, was die grüne Forderung nach einer 35-Stunden-Arbeitswoche betrifft.

Sozialsprecher Markus Koza bezeichnete zwar eine Arbeitszeitverkürzung in puncto besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie einer faireren Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern als "unumgänglich". Im Bund gebe es für diesen Vorstoß aber mit der ÖVP keine Mehrheit. "Unser Koalitionspartner ist für eine Arbeitszeitverkürzung nicht zu haben." Das habe sich bei den Koalitionsverhandlungen deutlich gezeigt.

Wifo und IHS dagegen

Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS sprachen sich am Mittwoch gegen eine Arbeitszeitverkürzung aus. Als sinnvoller erachten sie Investitionen in Ausbildung und Umschulungen von Arbeitslosen, berichtet die Tageszeitung "Die Presse". Eine generelle Arbeitszeitverkürzung sei demnach kein geeignetes Mittel, um die Arbeitslosigkeit zu senken.

Immerhin "in Einzelfällen kann das sinnvoll sein", sagt Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS). "Aber generell halte ich sie nicht für ein Mittel, das uns jetzt in der Krise besonders hilft." In den Betrieben würden höhere Kosten entstehen.

Auch Christoph Badelt, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), ist kritisch. "Ich glaube, es wäre verfehlt, die jetzige schwierige Arbeitsmarktsituation durch eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung lösen zu wollen", sagt er zur "Presse".

Fachkräftemangel

Kocher glaubt schon, dass durch eine Arbeitszeitverkürzung neue Jobs entstehen könnten. "Aber es ist nicht gesagt, dass man für diese Jobs auch die richtigen Leute findet." Hier dreht sich das Problem auch um einen Fachkräftemangel.

Badelt und Kocher haben beobachtet, dass der Fachkräftemangel in der Coronakrise nicht kleiner geworden ist. "Wir haben die paradoxe Situation, dass wir Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel zur gleichen Zeit haben", sagt Badelt. "Der Fachkräftemangel wird uns erhalten bleiben", sagt Kocher. Deshalb plädieren die beiden Wirtschaftsforscher für Investitionen in Ausbildung und Umschulung von Arbeitslosen. (David Krutzler, red, 26.8.2020)