Helga Rabl-Stadler ist seit 1995 Präsidentin der Salzburger Festspiele. Ihr Vertrag wird bis Ende 2021 verlängert.

Es war eine Zitterpartie. Bis zuletzt. Erst zögerte man die Entscheidung, ob und, wenn, in welcher Form die heurigen Salzburger Festspiele stattfinden können, bis zum letzten Moment hinaus. Dann begann die Unsicherheit, ob man die gesundheitliche Sicherheit von Künstlern und Besuchern gewährleisten könne. Entgegen vielen Bedenken hielt Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler von Anfang an am Plan fest, zumindest einen Teil des heurigen Jubiläumsprogramms zu retten. Mit zwei Opern- und zwei Schauspielpremieren und einer Vielzahl von Konzerten wurden es dann doch über 100 Vorstellungen im August. Die strengen Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen scheinen gegriffen zu haben. Die Festspiele laufen noch bis 30. August – Infektionsfälle wurden bisher keine bekannt.

STANDARD: Vergangene Woche gab es einen prominenten Corona-Fall in Grafenegg. Wird Ihnen mulmig, wenn Sie das hören? Es hätten auch die Festspiele sein können.

Rabl-Stadler: Nein. Wir haben immer gesagt, wenn es uns gelingt, ein Präventionskonzept mit Vorrang für die Gesundheit vorzulegen, dann wollen wir spielen. Selbstverständlich haben wir auch den Fall durchgespielt, dass es auch bei uns zu einer Infektion kommt. Darum die Personalisierung der Karten und damit die Nachverfolgungsmöglichkeit jeder Infektion. Was in Grafenegg passiert ist, kann bei jedem Empfang passieren. Darum haben wir auf Premierenfeiern verzichtet.

STANDARD: Bei den Festspielen gab es einen Corona-Fall im Vorfeld, seitdem hat man nichts mehr gehört. Kann es sein, dass Sie von Fällen schlichtweg nichts wissen?

Rabl-Stadler: Das ist völlig unmöglich. Die Künstler werden regelmäßig getestet, jeder führt ein Gesundheitstagebuch. Wir machten über 3000 Testungen. Wenn es im Publikum zu einem Fall käme, würden wir von der Gesundheitsbehörde sofort informiert. Das war bis jetzt nicht der Fall.

STANDARD: Man hört, dass Intendant Markus Hinterhäuser sehr skeptisch war bezüglich der Ausrichtung der heurigen Festspiele. Haben wirtschaftliche Überlegungen gesiegt?

Rabl-Stadler: Wir waren uns sehr schnell einig, dass wir ein Zeichen der Kraft der Kunst in kraftlosen Zeiten geben wollen. Markus Hinterhäuser kann man nicht überreden, nur überzeugen. Und wir alle waren im Mai überzeugt, dass wir im August spielen wollen.

STANDARD: Jetzt stehen Sie als Heldin da, wäre in den vergangenen Wochen ein Cluster im Umfeld der Festspiele entstanden, wären Sie die große Gefährderin.

Rabl-Stadler: Das ist Führungsverantwortung. Wir schienen vor der Wahl zu stehen zwischen Skylla und Charybdis: entweder keine Salzburger Festspiele im Jubiläumsjahr mit furchtbaren wirtschaftlichen Kollateralschäden oder ein großer Imageschaden, weil wir ein Cluster verursachen. Mir wurde der böse Ausdruck "Ischgl der Kultur" an den Kopf geworfen. Vor allem vom deutschen Feuilleton. Nicht von Festspielgästen.

STANDARD: Die Corona-Zahlen steigen wieder, und gerade jetzt starten die Theater in die Herbstsaison.

Rabl-Stadler: Ich bin sehr besorgt.

STANDARD: Können sich Theater- und Konzerthäuser von den Festspielen etwas abschauen? Die Situation an Repertoirebetrieben ist eine andere.

Rabl-Stadler: Die Personalisierung der Karten bedeutet eine riesige Minimierung des Risikos. Man sollte möglichst wenige Buffetsituationen haben. Und man sollte in dieser Übergangszeit Vorstellungen machen, die man ohne Pausen durchstehen kann. Ich gebe allerdings ungern Ratschläge, denn der Rat macht doch nur dem eine Freude, der ihn gibt. Ioan Holender (ehemaliger Staatsoperndirektor, Anm.) und Klaus Albrecht Schröder (Albertina-Direktor, Anm.) sind mir mit ihren Ratschlägen ziemlich auf die Nerven gegangen.

STANDARD: Statt 30 Millionen an Einnahmen nehmen Sie heuer nur acht ein. Brauchen Sie Subventionen des Bundes?

Rabl-Stadler: Wir haben Kosten minimiert, das können wir aber nicht so stark tun, wie die Einnahmen gesunken sind. Bei anderen Theaterbetrieben sind 80 Prozent des Budgets Subventionen. Bei uns beläuft sich hingegen die Eigenwirtschaftlichkeit auf 75 Prozent. In diesem Jahr können wir mithilfe der öffentlichen Hand das Loch stopfen. Wir bekommen zur Subvention von 16,8 Millionen zusätzlich zwei Millionen für das Jubiläumsprogramm, obwohl dieses stark modifiziert werden musste. Das hilft. Ich mache mir aber Sorgen für die kommenden Jahre.

STANDARD: Fast alles, was Sie heuer nicht gezeigt haben, soll im kommenden Jahr nachgeholt werden. Jetzt ist immer noch kein Ende der Pandemie in Sicht. Das dürfte Sie wieder vor erhebliche Planungsschwierigkeiten stellen.

Rabl-Stadler: Wir werden das Programm erst vor Weihnachten und nicht wie üblich Anfang November präsentieren. Mit der Impfung wird man bis dahin nicht rechnen können, aber wir werden sehen, welche Abstandspflichten usw. dann gelten. Über eines werden wir uns allerdings im Klaren sein müssen: Die Unsicherheit, die uns heute schon an die Grenzen des Wahnsinns bringt, wird auch kommendes Jahr herrschen.

STANDARD: Ein Programm trotz großer Unsicherheit? Wie soll das gehen?

Rabl-Stadler: Es ist zugegebenermaßen eine sehr schwierige Situation. Wir sind im Direktorium übereingekommen, dass unser Programm wieder im Juli beginnen soll. Vielleicht nicht mit 200 Aufführungen, aber jedenfalls mehr als heuer. Wir werden dafür mehr Geld von der öffentlichen Hand benötigen als in normalen Zeiten.

STANDARD: Woher nehmen Sie das Vertrauen, dass die Finanzierung klappt, fällt die Internationalität weg, dann werden die Festspiele auch für Sponsoren zunehmend unattraktiv.

Rabl-Stadler: Sie haben recht, es ist nichts in Stein gemeißelt. Aber ich bin optimistisch, auch durch das Vertrauensverhältnis, das ich über die Jahre mit den Sponsoren und Mäzenen aufgebaut habe.

STANDARD: Mit Kühne haben Sie einen Hauptsponsor, der in der NS-Zeit mit dem Transport jüdischen Raubguts groß geworden ist. Das haben Sie nie problematisiert. Gleichzeitig lassen Sie jetzt die Rolle von Poldi Wojtek, einer späteren Nationalsozialistin und Schafferin des Festspiel-Logos, aufarbeiten. Ist das nicht scheinheilig?

Rabl-Stadler: Wenn ich recht in der Annahme gehe, hat Kühne seine Vergangenheit aufarbeiten lassen. Viele Unternehmen haben von den Nazis profitiert, aber daraus auch Konsequenzen gezogen. Der Fall Poldi Wojtek liegt anders: Das Festspiel-Logo ist nicht politisch belastet, es wurde 1928 kreiert, aber von den Nazis 1938 sofort beseitigt. Trotzdem wollen wir das Leben der Poldi Wojtek streng aufarbeiten lassen und machen dazu im Herbst ein Symposium.

STANDARD: Ihre Präsidentschaft wird noch einmal um ein Jahr verlängert. Schließen Sie aus, dass dies nicht das letzte Mal sein wird?

Rabl-Stadler: Ich schließe es aus, aber ich verstehe, wenn Sie es bezweifeln. Ich habe ja schon mehrfach gegen meine ursprüngliche Aussage verlängert.

STANDARD: Man hat Sie bereits als Kandidatin für die Bundespräsidentschaft ins Spiel gebracht. Wäre das was für Sie?

Rabl-Stadler: Nein. Ich bin nächstes Jahr 73. Ich würde mich freuen, wenn Van der Bellen verlängert, aber dann endlich eine Frau Bundespräsidentin wird. (Stephan Hilpold, 26.8.2020)