Die Zuckerfabrik in Leopoldsdorf im Marchfeld soll geschlossen werden. Für die Gemeinde bedeutet das herbe finanzielle Einbußen.

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Vom Bahnhof Siebenbrunn-Leopoldsdorf bis zum Ortskern von Leopoldsdorf geht man fast eine halbe Stunde. Ein guter Teil des Weges führt am Agrana-Zuckerwerk in der niederösterreichischen Gemeinde vorbei. Noch. Denn der Lebensmittelkonzern will die Fabrik 2021 stilllegen. Zwar dürften wenigstens die riesigen Silos, die ein bisschen wie überdimensionierte Wiener-Zucker-Packerl aussehen, bleiben, die Produktion des Süßstoffs aber nicht. Fast alle der rund 150 Arbeitsplätze sind dahin, wenn das Areal dann noch als Logistikzentrum fungiert.

Weil es nicht nur ein Leopoldsdorf gibt: In diesem hier befindet sich die Zuckerfabrik.

Dabei stand der Produktionsstandort in Leopoldsdorf schon seit längerem infrage. Weil die Anbaufläche für Zuckerrüben in Österreich zuletzt kontinuierlich zurückging, rentiert es sich für Agrana nicht, zwei Standorte in Niederösterreich zu betreiben. Künftig soll nur noch in Tulln produziert werden. Heuer wird in Leopoldsdorf nur deshalb noch einmal verarbeitet, weil die Erträge von den nur mehr 26.000 Hektar Anbauflächen "außerordentlich hoch" und die Verarbeitung "ökonomisch sinnvoll" seien, schrieb der Konzern in einer Mitteilung. Nur wenn die Anbaufläche auf 38.000 Hektar ausgeweitet würde, würde sich das Zuckerwerk in Leopoldsdorf weiterhin rentieren.

Dass die Anbaufläche für Zuckerrüben seit Jahren zurückgeht, hat zwei Gründe. Zum einen sind da die nationalen Produktionsquoten, die 2017 ausgelaufen sind. Seitdem wurde die Produktion in Europa stark ausgeweitet, was einen Preisverfall beim Rohstoff und auch beim Zucker zur Folge hatte. Wenn nicht genug Rüben zur Verarbeitung da sind, rechne sich das Werk nicht – man schrieb im Zuckergeschäft zuletzt rote Zahlen, so ein Konzernsprecher. Wenn der Preis für Rüben nicht stimmt, bauen die heimischen Bauen lieber andere Pflanzen an.

Ein Problem mit sechs Beinen

Der andere Grund für den Flächenrückgang hat sechs Beine und heißt Rüsselkäfer. Der Schädling hat sich aufgrund der Trockenheit in den vergangenen Sommern stark ausbreiten können und führte zu einem Flächenausfall von bis zu einem Viertel der Anbaufläche.

Österreichs Rübenbauern hoffen zwar, dass der heurige feuchte Sommer dem Schädling zusetzt. Mit herkömmlichen Pflanzenschutzmitteln sei dem Käfer aber trotzdem kaum beizukommen, sagt Markus Schöberl, Geschäftsführer der Vereinigung Rübenbauern. Er wünscht sich vonseiten der Politik finanzielle Unterstützung bei der Bekämpfung des Käfers.

In Frankreich leiden Rübenbauern auch unter Schädlingen – allerdings unter Läusen. Die französische Regierung erlaubt den Einsatz von Insektiziden.
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Aber man müsse auch über Insektizide wie Neonicotinoide reden, fordern die Rübenbauern. Der hochwirksame Insektentöter ist in Österreich nur in Gewächshäusern zugelassen. Für den Einsatz im Freien braucht es Sondergenehmigungen, die vonseiten der Bundesländer ausgesprochen werden und unter Auflagen für 120 Tage gelten können. Zwar hat der Wirkstoff keinen besonders guten Ruf, weil er Bestäubern wie Bienen schadet. Die Zuckerrübe werde aber geerntet, bevor sie blüht, so Schöberl. Man könne die negativen Auswirkungen auf die Umwelt in diesem Fall sehr gering halten und den Bauern zu größeren Ertragsmengen verhelfen. Auch Niederösterreichs Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) forderte ein Bekenntnis zum Einsatz von wirksamen Mitteln für die Schädlingsbekämpfung.

Bei den Rübenbauern hofft man jedenfalls auf eine politische Lösung zum Erhalt des Agrana-Werks. Die Landwirte haben mit dem Konzern per Drei-Jahres-Vertrag attraktive Mindestpreise für ihren Rohstoff vereinbart. Allerdings beziehe sich dieser ausdrücklich auf zwei Fabriken und gelte womöglich nicht mehr, wenn Leopoldsdorf geschlossen wird. Das würde die heimischen Rübenbauern zusätzlich unter Druck setzen.

Katastrophe für den Ort

Aber nicht nur die Rübenbauern bangen. Der Bürgermeister von Leopoldsdorf, Clemens Nagel (SPÖ), spricht von einer riesengroßen Katastrophe, die seiner Gemeinde bevorsteht. Nicht nur würden dem Ort gleich 300.000 Euro an Einnahmen durch die Kommunalsteuer entgehen – also fünf Prozent der Einnahmen. Viele Familien wären von der Schließung betroffen. Natürlich die Mitarbeiter des Werks. Aber auch der Frächter, der die Zuckerrüben transportiert, das Gasthaus zur Zuckerfabrik gleich beim Eingang des Werksgeländes, der Elektriker, der Installateur, wie Nagel aufzählt: Ihnen allen würden empfindliche finanzielle Einbußen drohen, wenn sich der Konzern aus dem Marchfeld zurückzieht.

Der Blick auf die Lagerstätten bleibt, die Zuckerproduktion nicht. In Leopoldsdorf soll laut Agrana-Sozialplan ein Logistikzentrum samt Forschungsstation erhalten bleiben.
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Der Erhalt des Werks sei aber schon deshalb wichtig, weil Österreich sonst vom Zucker-Selbstversorger mehr und mehr zum Importeur würde, so Nagel. Covid-19 habe gezeigt, wie wichtig regionale Produktion auch bei Lebensmitteln sei.

Das sieht auch Agrarministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) so. Sie hat kommende Woche alle Beteiligten zum Rübengipfel geladen, um über Lösungen zu sprechen, wie man die heimische Zuckerproduktion und den Rübenanbau erhalten könnte. (Aloysius Widmann, 27.8.2020)