Sarah Maldoror, Beispiel eigensinnigen weiblichen Filmschaffens.

Foto: Sarah Maldoror

Man muss das nicht gleich für schlechte Nachrede halten, wenn man feststellt, dass das Österreichische Filmmuseum eine Männerbastion ist. In den bald sechzig Jahren des Bestehens gab es vier Direktoren, alle maskulinen Geschlechts. Das heißt für sich genommen noch nicht viel, denn es kommt ja auf das Programm an, und das ist im Lauf der Jahre offenkundig immer diverser geworden. Das Filmmuseum hat zunehmend andere Gesichtspunkte aufgegriffen als den Kanon der weißen, männlichen und zumeist am Ende der Karriere dann auch alten Meister. Das ändert aber nichts daran, dass sich Institutionen heute auch daran messen lassen müssen, wie sie Geschlecht und Gender repräsentieren.

Dogwoof

Da kommt ein Projekt wie Women Make Film von Mark Cousins gerade recht. Der britische Regisseur hat sich schon seit einer Weile mit großen Kompilationsfilmen um die Filmgeschichte verdient gemacht.

Nun hat er ein riesiges Werk geschaffen, das sich nur mit Filmen von Frauen beschäftigt: ein Roadmovie durch 130 Jahre und zahlreiche Länder. In fünf Blöcken wird Women Make Film im Filmmuseum gezeigt, dazu wurde Mark Cousins auch noch eingeladen, im Rahmen einer Carte Blanche einige seiner Fundstücke zu präsentieren. In Summe ergibt das eine echte Frauenbastion, wenngleich organisiert wieder von einem Mann.

Straßen und Themen

Aber unter dem Aspekt der Geschlechterdifferenz macht das durchaus Sinn: Da beschäftigt sich eben jemand mit einem Blick, der nicht der eigene ist, wenn es einen männlichen oder weiblichen oder queeren Blick überhaupt gibt. Davon sind aber viele kluge Menschen unbedingt überzeugt.

Cousins durchquert im Verlauf von mehr aus vierzehn Stunden wirklich die ganze Welt und alle Epochen des Kinos. Dass er seine Recherche als Roadmovie verkauft, führt zu zahlreichen schönen Kamerafahrten, wäre aber nicht unbedingt notwendig gewesen. Als Organisationsprinzip dient ohnehin etwas anderes: eine Liste von Themen, von Filmanfängen über Sex oder Erinnerung bis zum Tod, hinter dem dann noch, quasi aus Prinzip, ein Abschnitt über Singen und Tanzen folgt.

Viele der vorgestellten Filmkünstlerinnen sind gut bekannt, von Kathryn Bigelow bis zu Agnès Varda, bei denen man aber auch immer wieder staunt, wenn man hervorgehoben sieht, was sie gemacht haben. Vor allem aber geht es darum, Regisseurinnen (wieder) bekannt zu machen, die derzeit höchstens Expertinnen und Nerds bekannt sind.

Echte Raritäten

Ein solcher Fall wäre Larissa Shepitko, für die Cousins besonders viel übrig hat, eine Filmemacherin aus der Zeit der Sowjetunion, die im Filmmuseum auch schon zu sehen war. Auch Samira Makhmalbaf aus dem Iran, deren Arbeiten manchmal als vergleichsweise dekorativ empfunden wurden neben den strengen iranischen Kunstpriestern Abbas Kiarostami und Jafar Panahi, die hier aber plötzlich wieder sehr interessant wird.

Fünf Namen hebt Cousins selber hervor, indem er sie mit einem eigenen Film präsentiert. Und da sind nun echte Raritäten dabei. Mein 20. Jahrhundert von Ildikó Enyedi ist noch am ehesten geläufig, weil die Ungarin 2017 mit Körper und Seele den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen und damit ein Comeback gefeiert hat. Wer aber kennt Kranes Konditori (1951) von der Dänin Astrid Henning-Jansen? Ein Melodram um eine späte Liebe einer Frau, die an den Moralvorstellungen einer vergangenen Epoche zu scheitern droht.

Das Filmmuseum hat im Lauf der Jahrzehnte in Wien ein bestens eingeweihtes Publikum geschaffen, aber auch dieses ist immer wieder herausgefordert und eingeladen, sich neu mit dem Unbekannten oder mit "zeitbezogenen kulturellen Vorstellungen" zu konfrontieren. Cousins hat mit seiner Carte Blanche einen leichten Hang ins Skandinavische, was vielleicht zu so manchem Klischee über die Anfänge der Institution in der Albertina passt. Unter den Direktoren Konlechner und Kubelka liefen Klassiker von Carl Theodor Dreyer ja gern noch ohne Untertitel und unter strengster Wahrung der Originalfassung.

Wiener Lücken

Aus der Perspektive eines Wiener Publikums wird es schließlich sicher auch spezifische Anmerkungen zu Women Make Film geben. Denn wo viel gezeigt wird, fehlt natürlich auch viel. Jessica Hausner (mit Lourdes) und Valie Export (mit Unsichtbare Gegner) sind da beinahe Lückenbüßerinnen, wenn man an nicht berücksichtigte junge Klassikerinnen wie Barbara Albert (Nordrand) denkt oder an Ruth Beckermann, die nicht zum Zug kommt, weil sich Cousins auf Spielfilme beschränkt.

Dabei wäre Die papierene Brücke doch geradezu zentral für die Kapitel über Memory oder über Journey. Man könnte Cousins also zum Beispiel empfehlen, einfach noch ein Bonuskapitel Wien zu machen, das am Salzgries beginnt und dann nördlich der Donau zu neuen Ufern aufbricht. Aber das wäre, wie es in einem kürzlich erschienenen Buch zu dem Thema heißt, eine eigene Geschichte. (Bert Rebhandl, 27.8.2020)