ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz will ORF.at umbauen – zum Unmut der Redakteure.

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Wien – Die geplante Installierung eines zweiten Chefredakteurs für ORF.at sorgt in der Belegschaft für heftigen Unmut und Kritik an der ORF-Geschäftsführung. Wie berichtet soll ein weiterer Chefredakteur bei Österreichs meistgenutzter Nachrichtenseite vor allem das Bewegtbildangebot ausbauen und für die tagesaktuelle Berichterstattung zuständig sein. Der Job wurde bereits formal ausgeschrieben.

ORF.at-Langzeitchefredakteur Gerald Heidegger soll zwar bleiben, allerdings könnte sein Kompetenzbereich auf Reportagen, Features und Feuilleton beschnitten werden. Die redaktionelle Hoheit über die Nachrichten und damit die Struktur der blauen Seite könnte in die Agenden des zweiten Chefredakteurs wandern. Heideggers Ablöse wird bereits seit Jahren kolportiert, vor allem auf Druck der ÖVP.

"Pauschalkritik an ORF.at"

In einer Mail, die dem STANDARD vorliegt und die an ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz sowie die beiden ORF.at-Geschäftsführer Karl Pachner und Roland Weissmann ging, fordert die ORF.at-Redaktionsvertretung die ORF-Geschäftsführung auf, von einem zweiten Chefredakteur für ORF.at Abstand zu nehmen.

Neue Ideen und Umstrukturierungen wie der Ausbau des Bewegtbildangebots seien zwar sinnvoll, aber: "Einen weiteren Chefredakteur neben Gerald Heidegger betrachtet die Redaktionsvertretung als Pauschalkritik an ORF.at und unserer bisherigen jahrzehntelangen äußerst erfolgreichen journalistischen Arbeit. Dass in Medien bereits ein erster Name – die Person hat notabene null Onlineerfahrung – kursiert, untergräbt die Glaubwürdigkeit des ORF."

Wie der STANDARD berichtete, wird derzeit Christian Staudinger, Sendungschef der "ZiBs" (außer der "ZiB 2"), hoch gehandelt. In der formellen Ausschreibung, die am Dienstag veröffentlicht wurde, übernimmt der neue Chefredakteur oder die neue Chefredakteurin die "fachliche und disziplinäre Leitung der gesamten redaktionellen Online-Tätigkeiten des Unternehmens" sowie "Themenfindung, -planung und -koordination der Online-Redaktion im Verbund mit den anderen Medien des ORF". Staudinger war erst im Februar 2019 von ORF-2-Chefredakteur Matthias Schrom zum "ZiB"-Sendungschef befördert worden. Der 49-Jährige war zuvor Reporter, Redakteur, Chef vom Dienst der "Zeit im Bild" und ORF-Korrespondent in Washington.

Redakteure sehen Effizienz gefährdet

Die ORF.at-Redaktionsvertretung "verwehrt sich auch gegen eine Chefredaktion mit geteilten Aufgaben", heißt es in der Mail: "Die Verzahnung der Produktion und des Einsatzes der unterschiedlichen Formate auf und für ORF.at ist bereits von der Planung weg zu eng, um sinnvoll und ökonomisch aufgeteilt zu werden. Das setzt sich bei den personellen Ressourcen und den eingespielten Workflows fort. Getrennte Verantwortlichkeiten würden diese Effizienz der Arbeit von ORF.at massiv gefährden."

Die Regierung arbeitet derzeit an einer ORF-Novelle, die dem öffentlich-rechtlichen Sender mehr Spielraum im Onlinebereich ermöglichen soll – vor allem im Hinblick auf den neuen ORF-Player, der als digitale Drehscheibe aller ORF-Angebote fungieren soll. Mit der ORF-Novelle dürfte etwa die Sieben-Tage-Regelung für die ORF-TVThek fallen. Der ORF will alleine fürs Web und/oder zuerst fürs Web Beiträge produzieren dürfen, auch das untersagt das ORF-Gesetz bisher. Ein multimedialer Newsroom im ORF-Zentrum am Küniglberg soll ab 2022 eine engere Verzahnung von Fernsehen, Radio und Online bringen.

Sorge um Unabhängigkeit der Redaktion

In der Mail der ORF.at-Belegschaft an ORF-Chef Wrabetz heißt es weiter: "Warum soll die Redaktion des größten Onlinemediums Österreichs und eines der größten im deutschsprachigen Raum mit stetig wachsenden Zugriffszahlen unter – kolportierte politische – Kuratel gestellt werden? Die durch das ORF-Gesetz und ORF-Statuten garantierte Unabhängigkeit der Redaktion, aber auch jeder einzelnen Redakteurin und jedes einzelnen Redakteurs muss weiterhin gewahrt bleiben."

Außerdem plädieren die Redakteure für einen "schonenden Umgang mit Gebührengeldern, die in redaktionelle Arbeit besser investiert wären als in einen neuen Chefposten". Am Freitag soll es eine Infoveranstaltung des Betriebsrats und der Redaktionsvertretung für die Belegschaft geben, die Redaktion behält sich weitere Schritte vor. Die ORF-Geschäftsführung bastelt derzeit an einem Sparpaket, das alleine im kommenden Jahr Einsparungen in der Höhe von 75 Millionen Euro bringen soll.

Im Sommer 2021 findet die nächste ORF-Wahl statt. Alexander Wrabetz hat bis jetzt offengelassen, ob er sich einer Wiederwahl stellt. Es wäre seine bereits vierte Amtszeit. Wrabetz bräuchte allerdings die Stimmen der bürgerlichen ORF-Stiftungsräte, die derzeit die Mehrheit im wichtigsten ORF-Gremium garantieren. (omark, 27.8.2020)