Die Coronakrise hat dem digitalen Lernen einen massiven Schub verpasst.

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Es war ein kräftiger Fußtritt, der zwar unangenehm war, dafür aber einige positive Dinge angestoßen hat. So könnte man den zwangsweisen Umstieg auf E-Learning bzw. Distance Learning sehen, den das Coronavirus in Österreich und vielen anderen Ländern verursacht hat. Plötzlich standen Zweifel und Bedenken der Digitalisierung nicht mehr im Weg. Lehrer, Schüler und Studierende konnten erleben, wie viel im Bildungsbereich auf ganz neue Art funktioniert. "Man sollte jedoch nicht zu überschwänglich sein", mahnt Fares Kayali. Der Professor für digitales Lernen am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien weist auch auf die Schattenseiten des Distance Learnings hin, etwa eine Verstärkung der Zweiklassengesellschaft: So hätten sich dadurch die Gräben zwischen Familien mit unterschiedlichen Bildungsniveaus und unterschiedlichem ökonomischen Status weiter vertieft. "Wenn es in kleineren Wohnungen, in denen gleichzeitig mehr Familienmitglieder leben, nur einen Computer gibt, dann ist das ungestörte Arbeiten deutlich schwieriger", sagt Kayali. "Und im digitalen Raum ist es für den Lehrer nochmal eine größere Herausforderung zu bemerken, wenn ein Schüler beim Stoff nicht mitkommt."

"Die Digitalisierung hat das Lernen selbstbestimmter und flexibler gemacht", Fares Kayali, Professor an der Universität Wien.

"Flipped Classroom": Abschied vom Frontalunterricht

"E-Learning sollte daher kein Ersatz des herkömmlichen Unterrichts sein, sondern eine Erweiterung", sagt Kayali. Und zwar eine durchaus erstrebenswerte Erweiterung: "Zu den Vorteilen des digitalen Lernens zählt nicht nur die räumliche Unabhängigkeit, sondern vor allem auch eine völlig neue Art des Unterrichtens." So habe der Fernunterricht dem Konzept des "Flipped Classroom" einen massiven Schub verpasst, in dem die Schüler eine viel aktivere Rolle spielen: weg vom herkömmlichen Frontalunterricht, hin zu mehr unabhängigem Selbststudium mit Büchern oder Videos und daran anschließend einer gemeinsamen Diskussion und Reflexion des Stoffes – etwa via Videokonferenz. "Die Digitalisierung hat das Lernen selbstbestimmter und flexibler gemacht", sagt Kayali.

Nicht jede Innovation verdient eine Umarmung

Was ist notwendig, damit das positive Potenzial des digitalen Lernens tatsächlich genutzt werden kann? Neben technologischen Voraussetzungen – etwa genügend Bandbreite oder mehr Datensicherheit – benötigen wir auch neue kulturelle Kompetenzen, sagt Wendy Mars, Europachefin des Telekomunternehmens Cisco. "Sowohl Schüler als auch Lehrer müssen ihre digitalen Fähigkeiten ausbauen." Dem stimmt auch Kayali von der Uni Wien zu: "Wir leben auch in dieser Hinsicht in einer polarisierten Gesellschaft. Die einen umarmen jede digitale Innovation, ohne kritisch darüber nachzudenken, die anderen lehnen alle neuen Möglichkeiten aus Prinzip ab. Dabei sollten wir bei jeder konkreten Neuerung die Vor- und Nachteile abwägen und uns dann erst eine Meinung dazu bilden. Dafür müssen wir aber die technischen und rechtlichen Grundlagen verstehen."