Derzeit geht auf der beliebten Kurzvideoplattform Tiktok ein Trend um, der für Kritik sorgt: Für eine "Holocaust Challenge" verkleiden sich dabei zahlreiche junge Nutzer als jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz hat nun auf den Trend aufmerksam gemacht und ihn als "verletzend und beleidigend" bezeichnet. Das Museum warnt jedoch davor, junge Tiktok-Nutzer, die auf den Trend aufgesprungen sind, für ihren Fehler anzugreifen. Man solle stattdessen stärker auf Aufklärung setzen, erklärt das Auschwitz-Museum auf Twitter.

Holocaust-Opfer "im Himmel"

Für Internetnutzer, die Tiktok nicht verwenden, kann es schwierig sein, sich vorzustellen, wie der "Holocaust-Trend" aussieht. Es handelt sich um eine Art Rollenspiel, für das sich Nutzer als Holocaust-Opfer verkleiden und so tun, als seien sie im Himmel. Der Zuschauer trifft zu Beginn des Videos auf den Verstorbenen, und dieser erzählt, wie er gestorben ist oder wie sein Leben ausgesehen hat. Oft versuchen die Nutzer mit Schminke oder Spezialeffekten auch Verletzungen nachzustellen.

"Das ist sehr schmerzhaft"

In einem Twitter-Beitrag äußerte sich die Auschwitz-Gedenkstätte in Polen zu dem Trend. Man verstehe, dass viele der Tiktok-Beiträge versuchten, die Geschichten der Holocaust-Opfer darzustellen und ein Bewusstsein für diese zu schaffen: "Es ist sehr wichtig, die einzelnen Geschichten zu teilen, um zu gedenken und weiterzubilden", schrieb die Gedenkstätte.

Es sei jedoch auch wichtig, die "tragischen, emotionalen und schmerzhaften" Geschichten der Betroffenen mit "Respekt und Genauigkeit" zu behandeln. Die Art und Weise, in der die Opfer in den Videos dargestellt würden, könne jedoch die Grausamkeit der Geschichten trivialisieren.

"Einige [Videos] wurden nicht zum Gedenken an jemanden erstellt, sondern nur um Teil eines Onlinetrends zu werden. Das ist sehr schmerzhaft", erklärte das Auschwitz-Memorial. Auch die internationale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem kritisierte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur die Darstellungen, da sie das Grauen des Holocaust verharmlosten.

Aufklären statt angreifen

Auch wenn es sich bei dem Trend um einen schmerzhaften Fehler handle, erinnert die Gedenkstätte daran, dass junge Nutzer nicht für ihre Unwissenheit bestraft werden sollten: "Wir können nicht zulassen, dass junge Menschen verleumdet, verurteilt und angegriffen werden, die wegen eines Trends etwas falsch gemacht haben", erklärte das Auschwitz-Museum.

Da soziale Medien einen großen Teil des Alltags der heutigen Gesellschaft und ihrer Kommunikation ausmachten, "müssen wir kontinuierlich das Bewusstsein dafür schärfen, dass nicht jede Social-Media-Aktivität des Holocausts gedenken kann". Das Museum appelliert auf Twitter deshalb an Lehrkräfte, junge Menschen darüber aufzuklären, wie sie mit der Geschichte respektvoll umgehen können. Geachtet werden soll dabei auf korrekte Sprache, passenden Kontext und sachliche Richtigkeit. Ahnungslose Jugendliche anzugreifen, die ohne viel Nachdenken auf einen Trend aufgesprungen seien, könne mehr schaden als nützen, so das Museum.

"Weitaus größere Probleme in sozialen Medien"

Der Fehler junger Nutzer sei nicht so schwerwiegend wie andere Probleme des Internets, argumentiert das Museum und führt "weitaus empörendere Themen wie Algorithmen zur Förderung des Antisemitismus oder das Vorhandensein von Holocaust-Leugnung" an. Die Gedenkstätte kritisiert diesbezüglich soziale Medien und ihre Rolle bei der Verbreitung von Hassbotschaften und Antisemitismus: "Social-Media-Plattformen ermöglichen es leider, dass Holocaust-Leugnende Inhalte auf ihren Plattformen verbleiben können."

Tiktok sperrte Hashtag

Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur teilte Tiktok mit, dass die Videos von Nutzern selber entfernt wurden. Der Hashtag #holocaustchallenge sei nicht verwendet worden, um die Postings zu markieren, als vorbeugende Maßnahme habe man ihn dennoch blockiert. Die Plattform betonte, dass sie alle Inhalte, die mit #holocaust betitelt würden, genau prüfe. Man zeige gegenüber Inhalten, die Antisemitismus und Holocaust-Leugnung verbreiten, keine Toleranz. (red, 27.8.2020)