Der Immobilienkauf ist für die meisten Menschen eine Bauchentscheidung. Aber die perfekte Wohnung ist selten.

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Für die meisten Menschen ist der Haus- oder Wohnungskauf eine Bauchentscheidung. Sie betreten das Objekt bei der Besichtigung und wissen: Das ist es!

Ganz so unkompliziert bleibt es in vielen Fällen aber leider nicht. Denn was sie für ihr Erspartes bekommen, erfahren Käuferinnen und Käufer oft erst im Nachhinein, wenn sich im Bad erste Schimmelflecken zeigen oder bei jedem Regenguss Sturzbäche bei der Balkontür hereinrinnen.

Der Wiener Bausachverständige Remeco Rainer Reichel weiß von solchen und anderen bösen Überraschungen ein Lied zu singen. Er und seine Berufskolleginnen und -kollegen bieten Ankaufstests für Immobilien an, bei denen die Traumimmobilie auf mögliche Schwächen abgeklopft wird. Allerdings wollen sich viele das Geld für eine solche Überprüfung – die Kosten hängen in der Regel von der Größe der Immobilie ab – angesichts des ohnehin schon happigen Immobilienkaufs lieber sparen. "Aber bei einem Gebrauchtwagen lassen die meisten ganz selbstverständlich eine Ankaufsüberprüfung machen", kritisiert Reichel.

Signifikante Mängel

Langfristig gesehen kann diese Knausrigkeit jedenfalls teuer werden: Nur eine von zehn überprüften Wohneinheiten sei wirklich einwandfrei, schätzt der Sachverständige. Drei von zehn seien zumindest in einem brauchbaren Zustand, bei jenen seinen die Mängel eher optischer Natur – etwa zerkratzte Parkettböden oder windschiefe Türen. "Aber ein Großteil der Objekte hat signifikante Mängel", sagt Reichel.

Was ihm im beruflichen Alltag so unterkommt: Erst kürzlich stellte sich bei der Besichtigung eines Hauses im 21. Bezirk in Wien sehr zur Überraschung der Kaufinteressenten heraus, dass weder Wintergarten noch Garage des 70-Quadratmeter-Holzriegelbaus überhaupt baubewilligt waren. "Und der Makler sagte nur: Aber schauen S’, hier bauen alle so", berichtet Reichel. Ebenfalls unlängst passiert: Eine generalsanierte Wohnung im zweiten Bezirk war zwar auf den ersten Blick halbwegs in Ordnung. "Dafür stellte sich heraus, dass im Keller und sogar im Aufzugsschacht das Wasser steht, wenn es regnet."

Rund eineinhalb Stunden dauert eine Besichtigung mit einem Sachverständigen in der Regel. Abhängig ist das natürlich von der Größe der Immobilie. Bei einem Ankaufstest werden beispielsweise die Abdichtungen im Sockelbereich der Fassade, die Leitungen im Sicherungskasten, der Keller und der Zustand des Daches überprüft. Vorab werden außerdem der Grundbuchauszug und weitere Verkaufsunterlagen studiert. Bei seinen Besichtigungen klopft Reichel die Wände ab, um herauszufinden, welcher Baustoff verwendet wurde – und welche Probleme hier lauern könnten.

Tricksereien im Keller

"Und die Bäder sind ein Hauptaugenmerk", besonders im Neubau. In Bestandsobjekten wird in Bädern und im Keller häufig getrickst, erzählt der Sachverständige. Generell gilt: "Wenn der Keller frisch ausgemalt ist, sollte man skeptisch sein." Mit der Farbe würden oft Wasserflecken oder Schimmel übertüncht. Auch wenn, wie Reichel betont, eine Privatperson "selbstverständlich" dazu verpflichtet sei, den Käufer über Mängel aufzuklären.

Auch bei TÜV Austria werden Ankaufstests bei Immobilien angeboten. Dort werden neben dem Zustand des Kellers auch das Heizsystem und Risse in den Wänden als Dauerbrenner für Kaufinteressenten genannt. Im Luxusbereich sei auch die Haustechnik stets ein großes Thema.

Eine tatsächliche Empfehlung zum Kaufen oder Nichtkaufen spricht ein Profi am Ende der Besichtigung übrigens eher nicht aus – auch wenn die Frage "Was soll ich tun?" überaus häufig gestellt wird. Auch eine Einschätzung zum verlangten Preis wird man am Ende keine bekommen, aber das Wissen über den tatsächlichen Zustand der Immobilie gibt immerhin Verhandlungsspielraum. Am Ende ist der richtige Preis für eine Wohnung ja auch stets der, den jemand dafür zu zahlen bereit ist. (Franziska Zoidl, 29.8.2020)