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Der wohl berühmteste Oppositionspolitiker Russlands, Alexej Nawalny, wird in der Berliner Charité behandelt.

Foto: REUTERS/Shamil Zhumatov

Er, dessen Name im Kreml nicht genannt werden darf, wurde nun doch benannt: "Angesprochen wurde auch die Einweisung von A. Nawalny ins Krankenhaus", gibt die offizielle Kreml-Website den Inhalt eines Telefonats zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Italiens Premier Giuseppe Conte wieder.

Die Nennung Nawalnys in einem offiziellen Schriftstück ist ein Novum. Seit spätestens 2013 herrscht auf Kreml-Ebene ein inoffizielles Verbot, den Namen des Oppositionellen in den Mund zu nehmen. Putin nenne Nawalny nicht namentlich, weil er "keinen Teil seiner Popularität an ihn abgeben" wolle, berichtete die Tageszeitung "Kommersant" einmal unter Berufung auf dessen Sprecher Dmitri Peskow.

Die Meldung wurde später gelöscht, das Namensverbot aber blieb – bis zum späten Mittwochabend, als sich Putin gegen "vorschnelle Beschuldigungen" aussprach und sein "Interesse an einer sorgfältigen und objektiven Untersuchung aller Umstände des Vorfalls betonte".

Nawalny war vor einer Woche in einem Flugzeug zusammengebrochen und ins Koma gefallen. Ärzte in der Berliner Charité diagnostizierten später eine "Intoxikation". Sein Zustand ist weiterhin ernst.

Voruntersuchung in Russland

Nach massivem Druck aus dem Ausland wurden nun auch zumindest Voruntersuchungen wegen einer möglichen Vergiftung in Russland aufgenommen. Zuvor hatte sich der Kreml noch auf den Standpunkt gestellt, bevor das Gift nicht gefunden sei, gebe es keine Basis für strafrechtliche Ermittlungen. Immerhin könne sich der Gesundheitszustand "des Patienten" auch aufgrund anderer Ursachen verschlechtert haben, deutete Peskow einen möglichen Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch an.

Prozesse gegen den Kreml-Kritiker hingegen laufen völlig unberührt weiter. So verurteilte das Moskauer Schiedsgericht den 44-Jährigen in Abwesenheit zur Zahlung der Anwaltskosten in einem Verleumdungsprozess. Umgerechnet mehr als 37.000 Euro sprachen sie den Anwälten eines Fleischkombinats zu, das Gegenstand der Korruptionsermittlungen Nawalnys war.

Hintergrund ist ein Video Nawalnys über die Verpflegungsankäufe der russischen Nationalgarde (Rosgwardija). Bei einem Preisvergleich stellte er signifikante Unterschiede zwischen dem Marktpreis und den zentralisierten Ankaufspreisen der Nationalgarde fest und sprach von Korruption.

Der Chef der Nationalgarde, Putins ehemaliger Leibwächter Viktor Solotow, hatte Nawalny daraufhin zum Duell gefordert und versprochen, aus ihm "Hackfleisch zu machen". Der Lieferant, das Fleischkombinat "Völkerfreundschaft", hingegen leitete eine Verleumdungsklage gegen ihn ein und gewann den Prozess 2019.

Drastische Anwaltskosten

Damals verurteilte das Gericht Nawalny in einem Eilprozess zum Widerruf und zu einer eher symbolischen Geldstrafe über knapp 300 Euro. Die jetzt draufgeschlagenen Anwaltskosten belaufen sich auf mehr als das Hundertfache.

"Alexej selbst hatte aus verständlichen Gründen keine Möglichkeit, an der Sitzung teilzunehmen oder seine Position einem Vertreter darzulegen. Das Gericht war darüber schriftlich informiert worden", kommentierte ein Jurist von Nawalnys Antikorruptionsfonds den Gerichtsentscheid.

Und die Unannehmlichkeiten des Oppositionellen dürften noch weitergehen: Der Oligarch Jewgeni Prigoschin – bekannt als "Putins Koch" – hat Schadenersatzforderungen über fast eine Million Euro gegen Nawalny und seine Mitstreiterin Ljubow Sobol in einem weiteren Fall aufgekauft.

Nicht aus Nächstenliebe, sondern um Nawalny eigenen Worten nach "bis auf das letzte Hemd auszuziehen". Wenn Nawalny sterbe, werde er ihn nicht weiter verfolgen, versprach er. Aber: "Wenn Nawalny am Leben bleibt, muss er die volle Härte des russischen Gesetzes zu spüren bekommen", sagte Prigoschin, der auch die in der Ostukraine, Syrien und Afrika tätige Privatarmee "Wagner-Truppe" finanzieren soll und dem die Nowaja Gaseta vorwirft, mehrere Anschläge gegen Oppositionelle in Auftrag gegeben zu haben. (André Ballin, 27.8.2020)