Mit dem Ticket Biden/Harris stößt die Partei Millionen hochmotivierter Wählerinnen und Wähler vor den Kopf, so der Anwalt Robin Lumsden.

Wird Donald Trump ein zweites Mal US-Präsident? Dem Konkurrenten Joe Biden werden momentan hohe Siegeschancen eingeräumt – das war bei Hillary Clinton allerdings genauso.
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Donald Trump wird die Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten mit einer Wahrscheinlichkeit von 72 Prozent verlieren und das demokratische Ticket im Electoral College mit 302 Stimmen eine klare Mehrheit holen. Eine Wahl, die man eigentlich nicht verlieren kann, würden die meisten politischen Beobachter sagen. Und doch hat Hillary Clinton am 8. November 2016 trotz dieser klaren Prognosen des Portals FiveThirtyEight um den amerikanischen Statistik-Guru Nate Silver die Wahl verloren. Schaut man sich heute die Vorhersagen desselben Portals für die Wahl am 3. November 2020 an, so wird wiederum dem demokratischen Kandidaten, diesmal Joe Biden, eine Siegeswahrscheinlichkeit von 72 Prozent eingeräumt.

Man könnte also sagen, es läuft gut für Joe Biden. Während Donald Trump noch vor wenigen Monaten auf hohe Wachstumsraten und niedrige Arbeitslosenzahlen hätte setzen können, so hat die Covid-19-Pandemie ganz eindeutig gezeigt, dass der amerikanische Präsident mit den Anforderungen und der Verantwortung seines Amts heillos überfordert ist. Die Black-Lives-Matter-Proteste brachten außerdem die tiefen sozioökonomischen Risse in der amerikanischen Gesellschaft an die Oberfläche. Sie zeigten der Weltöffentlichkeit, wie stark struktureller Rassismus nach wie vor das Leben insbesondere der afroamerikanischen, aber auch der hispanischstämmigen Bevölkerung auf allen Ebenen negativ beeinflusst.

Eine "Success-Story"

In diesem Zusammenhang scheint es auf den ersten Blick sehr clever zu sein, dass Biden mit Senatorin Kamala Harris erstmals eine afroamerikanische Frau für die Vizepräsidentschaft nominierte. Als Tochter zweier Migranten schaffte sie es als erste Frau überhaupt bis zum Attorney-General von Kalifornien, bevor sie sich der Politik zuwandte und 2017 in den Senat einzog. Eine "Success-Story", der viele Respekt zollen.

An diesem Punkt müssen wir aber nun wieder Bezug auf die Ähnlichkeiten zur letzten Präsidentschaftswahl nehmen. Schon damals zeigte sich mit den überraschenden Erfolgen von Bernie Sanders in den Vorwahlen ein starker linker Flügel innerhalb der Demokraten, der seitdem keineswegs schwächer geworden ist. Sanders war in den Vorwahlen wiederum ein formidabler Kandidat, der nur durch die schnelle Konzentration der Partei-Eliten auf einen Anti-Sanders-Kandidaten gestoppt werden konnte. Daneben erfreuen sich ebenfalls links stehende Senatorinnen und Abgeordnete wie Elizabeth Warren, Alexandria Ocasio-Cortez und Ilhan Omar stark steigender Popularität, insbesondere unter jungen Wählerinnen.

Vor den Kopf gestoßen

Diese Wählergruppe, die den politischen Status quo satthat und sich nicht nur für das Ende von Rassismus jeglicher Art, sondern insbesondere auch für eine starke Umverteilung des Vermögens, faire Steuern und ein Gesundheitssystem, das jeder Amerikanerin und jedem Amerikaner leistbaren Zugang zu medizinischer Versorgung gewährleistet, einsetzt, wurde vom demokratischen Establishment ignoriert. Weder Biden noch Harris gehören zum progressiven Flügel der Partei. Dass ihre Nominierung von Publikationen wie der Financial Times mit dem Argument, dass sie "moderater" als andere mögliche Kandidatinnen sei, als "richtige Wahl" hingestellt wird, passt ins Bild. Für den progressiven Flügel der Partei ist das Ticket Biden-Harris, wie schon 2016 das Ticket Clinton-Kaine, kein gutes Angebot.

Aus Angst, moderate Republikaner verschrecken zu können, haben sich die Partei-Eliten nicht getraut, eine wirklich progressive Kandidatin aus dem Lager um Sanders ins Rennen zu schicken. Dass man somit Millionen hoch motivierter Wählerinnen und Wähler vor den Kopf stößt, scheint in den Überlegungen der Parteistrategen keine Rolle zu spielen.

Eine gefährliche Strategie

Die Annahme, dass progressive Wählerinnen ein demokratisches Ticket, das klar rechts der Mitte steht, ohnehin wählen werden, um eine zweite Amtszeit Trumps zu verhindern, zeugt allerdings von der erschreckenden Arroganz der Demokratischen Partei. Man glaubt, dass der Schlüssel zum Erfolg darin liegt, moderate Republikaner zu gewinnen, statt sich die eigene Basis zu sichern. Dabei ist dies gerade in Zeiten von Covid-19 eine sehr gefährliche Strategie: Aus Angst vor einer Infektion steht jetzt schon fest, dass viele der oftmals älteren Wahlhelferinnen und Wahlhelfer heuer ausfallen werden, wodurch es höchstwahrscheinlich noch weniger Wahllokale als ohnehin schon geben wird. Dies bedeutet wiederum, dass es zu stundenlangen Schlangen vor den Wahllokalen kommen wird, was nicht nur ein signifikantes Infektionsrisiko bedeutet, sondern auch, dass sich, da die Wahl an einem Dienstag stattfindet, viele Leute Urlaub nehmen müssten, um wählen zu können.

Bei gerade einmal zehn Urlaubstagen pro Jahr setzt dies aber eine entsprechend große Motivation voraus – ob dafür das negative Argument, Trump zu verhindern, um danach zum Status quo mit all seinen sozioökonomischen, strukturellen und rassistischen Ungleichheiten zurückzukehren, ausreicht, ist aber mehr als fraglich. (Robin Lumsden, 28.8.2020)