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Die Prognose des Bundeskanzleramts steht und fällt mit einer Impfung, die vor Covid-19 schützen wird. Doch wann die ersten Impfstoffe verfügbar sein werden und wie gut ihr Schutz tatsächlich sein wird, ist noch nicht klar.

REUTERS / Dado Ruvic

Das Bundeskanzleramt (BKA) hat Expertenmeinungen eingeholt und medizinische Vorhersagen für die nächsten Monate der Pandemie getroffen. Die Kernbotschaft von Sebastian Kurz, die vermutlich auch in seiner freitäglichen Rede an die Nation zur Sprache kommen wird: Nach einem schwierigen Herbst und Winter sollte die medizinische Krise dank bald verfügbarer Impfungen, neuer Medikamente und neuer Tests Mitte 2021 weitgehend ausgestanden sein. Hier noch einmal die wichtigsten Behauptungen und ein Faktencheck – unter Angabe der verwendeten Quellen.

Frage: Wie realistisch ist diese Prognose des Bundeskanzleramts?

Antwort: Sie ist deutlich optimistischer als die jüngste Prognose des WHO-Chefs Tedros Adhanom Ghebreyesus, der erst vor knapp einer Woche verkündete, dass es vermutlich noch zwei Jahre dauern könnte, bis die Pandemie besiegt sein wird. Diese Differenz könnte auch darin begründet sein, dass Kurz mit seinem "Wir" die Österreicher meint, während der WHO-Chef die Weltbevölkerung im Blick hat. Aber solange die Pandemie nicht international besiegt ist, wird sich auch Österreich mit einer Rückkehr zur Normalität schwertun, auch wenn wir hier womöglich etwas früher eine Impfung zur Verfügung haben werden als ärmere Länder. Es gab aber schon optimistischere Prognosen. Nur zur Erinnerung: Der Zukunftsforscher Matthias Horx meinte bereits im März in einem damals vielbeachteten Text, dass die Corona-Krise dank neuer Medikamente im Sommer bereits im Herbst 2020 überwunden sein werde. Das Wissenschaftsmagazin "Nature" wiederum war in einem großen Prognose-Essay zuletzt noch pessimistischer als der WHO-Chef.

Frage: Wie sicher ist es, dass es zu der für Herbst und Winter vorhergesagten Verschärfung der Krise – auch wegen der Grippewelle – kommen wird?

Antwort: Darüber herrscht weitgehend Konsens. Es gibt allerdings noch etliche offene medizinische Fragen. Unklar ist etwa, wie stark die Grippewelle heuer in unseren Breiten tatsächlich ausfallen wird. In der südlichen Hemisphäre etwa war die Zahl der Influenzainfektionen in den vergangenen Monaten nicht zuletzt wegen der Corona-Maßnahmen weitaus geringer als in den Jahren zuvor. Zudem wollen sich auch in Österreich mehr Leute gegen Influenza impfen lassen, was helfen würde. Medizinisch weitgehend unerforscht ist aber etwa noch, wie sich eine Doppelinfektion – also eine gleichzeitige Grippe- und Covid-19-Erkrankung – auswirkt.

Frage: In den Prognosen des BKA geht man davon aus, dass eine Impfung "noch in der ersten Jahreshälfte 2021 möglich sein sollte". Ist das realistisch?

Antwort: Ja, allerdings ist auch diese Einschätzung optimistisch. Aktuell sind immerhin bereits acht Impfstoffkandidaten in der entscheidenden dritten Phase mit jeweils rund 30.000 Probanden, einige der führenden Firmen wie Pfizer und Astra-Zeneca rechnen damit, noch heuer die nötigen Daten an die Zulassungsbehörden übermitteln zu können. Der Epidemiologe Chris Witty, angesehener Chief Medical Officer Englands, war zuletzt etwas zurückhaltender und prognostizierte eine breite Verfügbarkeit erst für Ende 2021.

Frage: Werden die Impfungen tatsächlich den Umschwung bringen, wie auch das BKA nahelegt?

Antwort: Das ist zu hoffen, sicher ist es aber nicht. Auch hier gibt es noch viele offene Fragen: Wie gut wirken diese Impfungen – insbesondere bei alten Personen mit einem schwachen Immunsystem? Wie viele Menschen werden sich tatsächlich impfen lassen? Und wie schnell werden die Impfstoffe nach Zulassung produziert werden können? Viele der Vakzine sind völlig neuartig, was auch ihre massenhafte Herstellung nicht einfacher macht. Astra-Zeneca gibt aber an, bis Ende 2021 fast drei Milliarden Dosen produzieren zu können.

Frage: Was ist mit neuen Medikamenten, die laut BKA ebenfalls zur Normalisierung beitragen werden?

Antwort: Gegen Covid-19 wirksame Medikamente sind nach wie vor Mangelware: Zugelassen sind nur das antivirale Medikament Remdesivir und Dexamethason, das die Immunreaktion dämpft. Hier fehlt noch der große Durchbruch, der aktuell nicht in Sicht ist. Auch der Nutzen der Blutplasmatherapie, die das BKA explizit erwähnte, ist in Wissenschaftskreisen umstritten.

Frage: Warum kommen diese medizinischen Prognosen vom Bundeskanzler und nicht vom Gesundheitsminister?

Antwort: Kurz will am Freitagvormittag in seiner Rede an die Nation auf die allgemeine Corona-Lage eingehen, und da schadet einschlägiges Wissen über den aktuellen Stand der Dinge sicher nicht. Die Opposition argwöhnt freilich, dass er damit von aktuellen Problemen im Corona-Management ablenken will. (Klaus Taschwer, 28.8.2020)