Mit einer langen Einleitung hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitagvormittag seine "Erklärung zur aktuellen Lage" in der Corona-Pandemie begonnen. Kurz versuchte dezidiert Optimismus zu streuen: Er sehe "Licht am Ende des Tunnels", da es sehr wahrscheinlich sei, dass die Krise kürzer dauere als ursprünglich von Experten vorausgesagt.

Es sei aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich, dass der nächste Sommer schon wieder "ein normaler werden kann und, ich sage dazu, auch werden soll". Die Forschung zu einem Impfstoff, Behandlungsmethoden und Testmethoden solle dazu führen, dass das möglich sein wird. Wie realistisch die Prognose des Kanzlers ist, hat der STANDARD hier umfassend analysiert.

Auf konkrete Fragen zu den Corona-Maßnahmen und den aktuellen Entwicklungen antwortete Kurz meist allgemein. Erst nächste Woche soll über "weitere Maßnahmen" entschieden werden. Das Ziel sei klar, "nämlich einen Lockdown zu verhindern". Man wisse jetzt sehr viel mehr über das Virus, "und wir können daher sehr treffsichere Maßnahmen setzen".

Wirtschaft first

Inhaltlich konzentrierte Kurz sich zu Beginn auf die Wirtschaft. Diese werde heuer voraussichtlich um mehr als sieben Prozent schrumpfen. Schon ab kommendem Jahr soll die Wirtschaft aber wieder ihr "Comeback" feiern. Um das zu unterstützen, werde es eine neue Körperschaftsform, die "Austrian Limited", geben. Sie soll eine rasche und unbürokratische Gründung sowie Beteiligung von Mitarbeitern ermöglichen. Außerdem seien Maßnahmen für Start-ups und KMUs und neue Eigenkapitalvorschriften in Arbeit. Bei allen Maßnahmen werde man gemeinsam mit dem Koalitionspartner auch den ökologischen Aspekt im Auge behalten.

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Diese Prioritätensetzung wurde im Nachhinein von Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund (ÖGB) kritisiert: Ihnen fehlen vor allem Maßnahmen für die Arbeitslosen. "Qualifizierungsprogramme für Ältere fehlen völlig, und auch für Lehrlinge sind scheinbar überhaupt keine Maßnahmen geplant", zeigte sich ÖGB-Chef Wolfgang Katzian in einer Aussendung enttäuscht.

Bekannte Maßnahmen

Die Wirtschaftskammer-Spitze lobte Kurz hingegen dafür, dass er "zum richtigen Zeitpunkt eine nachhaltige Standortstrategie mit wichtigen Impulsen für aktive rot-weiß-rote Ansiedelungspolitik" forciere. Ähnlich positive Rückmeldungen kamen von der Industriellenvereinigung.

In seiner Rede fasste Kurz viele bereits bekannte Maßnahmen zusammen. Zum Beispiel, dass die Sozialpartner momentan an einer rechtlichen Grundlage für das Homeoffice arbeiten, die angekündigte Arbeitsstiftung oder die Verlängerung der Möglichkeit zu einem Sonderurlaub für Eltern, deren Kinder wegen Schulschließungen zu Hause bleiben müssen.

Über neue Maßnahmen gegen die drohende zweite Corona-Welle soll erst in der nächsten Woche beraten werden.
Foto: APA / GEORG HOCHMUTH

Regionale Lebensmittel

Die Pandemie habe gezeigt, dass die Versorgungssicherheit wichtig sei. Deshalb soll die öffentliche Hand in ihren Kantinen mehr regional einkaufen. Wie viel genau, verriet Kurz nicht. Er gab aber einen Kontext: Wenn 20 Prozent mehr regionale Produkte gekauft werden, würde das 46.000 neue Arbeitsplätze schaffen, so Kurz. Bauernbund-Präsident Georg Strasser (ÖVP) reagierte in einer Aussendung positiv und forderte, die Ankündigungen nun mit Leben zu füllen.

Auch die Digitalisierung von Schulen soll vorangetrieben werden – die Pandemie habe gezeigt, wie schlecht die Bildungseinrichtungen in diesem Bereich ausgerüstet seien. Im Bereich Bildung erwähnte Kurz auch die bereits angekündigten Pläne für eine neue technische Universität in Oberösterreich.

Will auf Opposition zugehen

Die Pandemie habe das Problem der Einsamkeit bei älteren Menschen gezeigt. Deshalb werde es einen "Pakt gegen Einsamkeit" geben, kündigte Kurz an. Besuchsverbote für Menschen in Pflege- und Seniorenheimen sollen bestmöglich vermieden, innovative Möglichkeiten für sicheren Kontakt evaluiert werden. Auch dieser war bereits im Vorfeld bekannt geworden.

Der Kanzler kündigte an, dass das Gesundheitsministerium nach der Kritik an Qualität und Verfassungskonformität der Verordnungen stärker auf die Expertise des Verfassungsdiensts zurückgreifen solle; außerdem könne er sich vorstellen, den Hauptausschuss des Nationalrats in die Erarbeitung von Verordnungen einzubinden und auf die Opposition zuzugehen.

Die komplette Erklärung von Kurz zum Nachschauen.
ORF

Der Kanzler, ganz allein

Um die vielen schwierigen demokratiepolitischen Entscheidungen während der Pandemie zu reflektieren, habe Kurz zudem den Philosophen Konrad Paul Liessmann eingeladen, ein Philosophicum im Bundeskanzleramt zu veranstalten.

Die Tatsache, dass er alleine zu den Lehren aus der Corona-Krise Stellung nahm, wollte Kurz auf Nachfrage nicht auf ein schlechtes Klima in der Koalition mit den Grünen zurückführen: Es sei "durchaus üblich, dass man nicht nur als Zwillingspärchen" auftrete, so der Kanzler.

Kritik der Opposition

Anders sah das die SPÖ: Sie ortete eine "PR-Show" und einen "Ego-Trip" des Kanzlers. Bereits im Vorfeld kritisierten die Sozialdemokraten die Rede. Kurz solle sich lieber auf "seine eigentlichen Aufgaben" konzentrieren, sagte SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried am Donnerstag. Er spielte dabei auf die massive Kritik von Experten am Entwurf zum neuen Corona-Gesetz an.

Ähnlich sieht das FPÖ-Chef Norbert Hofer. Er bezeichnete die Rede als "reinen Flop". Es habe lediglich Ankündigungen gegeben. Der Hinweis auf die Wichtigkeit einer Arbeitsstiftung zeige allerdings, dass die Regierung davon ausgehe, dass ihre wirtschaftsfeindlichen Maßnahmen das Land massiv getroffen hätten.

Die Neos fassten die Rede wie folgt zusammen: "Viele Ankündigungen, viele Schlagworte, wenig Substanz". Kein Unternehmer wisse, worauf er sich im Herbst verlassen könne; Eltern, Lehrer und Schüler wüssten nicht, wie der Schulstart aussehen werde; kein junger Mensch, der gerade seine Ausbildung abgeschlossen habe, und kein Mensch, der seinen Job verloren habe, wisse, wie er jetzt einen Arbeitsplatz finden solle, kritisierte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. (lalo, 28.8.2020)