Besonders die Entwicklung unter Afghanen hat Experten positiv überrascht.

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Seit fünf Jahren wird in Österreich über wenige Fragen so heftig gestritten wie über jene, ob Geflüchtete, die seit 2015 ins Land kamen, es schaffen werden, sich hier zu integrieren. Integration meint meist Integration in den Arbeitsmarkt. Die Diskussion darüber tobt mitunter deshalb so heftig, weil die meisten Menschen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak gekommen sind, also aus einem völlig anderen Kulturkreis.

Obwohl die Frage so umkämpft ist, gibt es keine exakten Zahlen, um sie zu beantworten. Möglich ist nur eine Annäherung. Das AMS erfasst etwa laufend, wie viele Syrer und Afghanen arbeiten. Ob das aber nun Geflüchtete sind oder Menschen, die schon seit langem hier leben, wird nicht ausgewiesen. Das Bundesamt für Asyl kann sagen, dass seit 2015 116.989 Menschen Asyl, subsidiären Schutz oder ein humanitäres Aufenthaltsrecht in Österreich erhalten haben. Aber wie viele dieser Menschen im arbeitsfähigen Alter waren, ist nicht dokumentiert.

Sagen lässt sich, dass von jenen Menschen, die 2015 Asyl bekommen haben und sich dann an das AMS wandten, heute 45 Prozent in Beschäftigung sind. Je kürzer zurück die Zeit der Anerkennung liegt, umso niedriger ist die Beschäftigungsquote. Von jenen Flüchtlingen, die 2017 das Bleiberecht erhielten, haben heute nur 41 Prozent eine Beschäftigung.

Das Glas ist halb voll! Es ist halb leer!

Ist das ein Erfolg oder ein Misserfolg? Es kommt auf die Perspektive an. Laut der Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der WU-Wien lautet eine Faustregel aus vergangenen Fluchtbewegungen, dass fünf Jahre nach ihrer Ankunft etwa die Hälfte der Flüchtlinge im Aufnahmeland Arbeit hat. Dieser Wert wurde in Österreich knapp verfehlt. Doch fünf Jahre nach der Ankunft in einem wildfremden Land ohne Kenntnisse von Sprache und Arbeitsmarkt haben es 45 Prozent der Menschen aus der erwähnten AMS-Kontrollgruppe in einen Job geschafft. Das ist etwas. Das Glas ist demnach halb voll.

Klar ist aber auch, dass diese Beschäftigungsquote im Vergleich zu jener der Österreicher sehr niedrig ist. Unter Inländern liegt sie bei über 70 Prozent.

Und: Die Aussichten haben sich verdüstert. Thomas Liebig, Migrationsexperte bei der Industriestaatenorganisation OECD, formuliert es so: "Wer jetzt noch keinen Job hat, für den wird es jetzt richtig schwierig."

Das liegt zunächst an der Corona-Krise: Sie hat die ausländische Bevölkerung am Arbeitsmarkt dramatischer getroffen. Die Arbeitslosigkeit unter Afghanen stieg zwischen Jänner und Juli von 30 auf fast 36 Prozent. Bei den Inländern war es nur ein Anstieg von 7,5 auf 7,8 Prozent. Nun hat inzwischen eine Erholung am Jobmarkt eingesetzt. Viele Geflüchtete sind wieder in die Arbeit zurückgekehrt. Diese Gruppe hat also nicht das große Problem.

Dramatisch ist die Situation für jene, die schon länger im Land leben, aber bisher gar nicht gearbeitet haben. Je länger Arbeitslosigkeit dauert, umso weniger sind Unternehmer bereit, Betroffene aufzunehmen. Das ist aus Studien bekannt. Je länger Menschen mitgebrachte Qualifikationen aus der Heimat nicht nutzen können, umso mehr verlernen sie, sagt OECD-Experte Liebig. Ein kräftiger Aufschwung, der die Situation entschärft, ist nicht in Sicht. Ein Teil der bisher nicht arbeitenden Syrer und Afghanen wird auch in Zukunft nichts finden. "So realistisch muss man sein", sagt Forscherin Kohlenberger.

Eine kleine Stellschraube

Daraus große Schlüsse für den österreichischen Arbeitsmarkt in seiner Gesamtheit ableiten zu wollen, wie das manche Kommentatoren versuchen, wäre falsch. Denn Wohl und Wehe des Jobmarkts hängt nicht davon ab, wie gut oder schlecht die Integration der Geflüchteten gelingt.

Asylberechtigte sind nämlich nur eine kleine Gruppe. So gibt es aktuell 3,8 Millionen unselbstständig Beschäftigte. Davon sind 807.000 ausländische Staatsbürger. Der allergrößte Teil sind Deutsche, Ungarn, Rumänen, also Menschen aus anderen EU-Ländern, wo die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Hinzu kommt eine große Gruppe aus Ex-Jugoslawien und der Türkei. Lediglich 29.000 Menschen aus den typischen Fluchtländern Afghanistan, Syrien, Irak und Iran arbeiten in Österreich, also weniger als ein Prozent aller Beschäftigen. Umgekehrt stammen auch weniger als acht Prozent der 432.000 Arbeitslosen im Land überhaupt aus einem Fluchtland.

Kein Schwarz-Weiß gibt es bei der Frage, ob Afghanen, Syrer und Iraker eine Bereicherung für den Arbeitsmarkt waren. Die Menschen haben in den meisten Fällen nicht jene Qualifikationen mitgenommen, die in Österreich nachgefragt sind, wie Arbeitsmarktexperte August Gächter sagt. So kam im Zuge der Fluchtbewegung zwar eine größere Zahl an Ärzten und Ingenieuren nach Österreich, die es nicht zuletzt dank der AMS-Unterstützung bei Nostrifizierungen geschafft haben, unterzukommen. Nicht nur, aber gerade in Corona-Zeiten ist das nicht unerheblich.

Schwierige Ausgangslage

Dann gibt es eine hohe Zahl an Migranten, die keine Qualifikation mitgebracht haben: Mehr als 20 Prozent der Afghanen, die 2015 kamen, haben nie eine Schule besucht, und noch einmal so viele haben nie eine Volksschule abgeschlossen. Relativ wenige Menschen, die ein Bleiberecht in den vergangenen Jahren erhielten, hatten eine handwerkliche Ausbildung, die in Österreich nachgefragt ist. "Der Mittelbau fehlt", so Gächter.

Hinzu kam die Tendenz beim AMS wie bei Betroffenen, möglichst rasch Arbeit zu finden. Eine Folge dieser Konstellation ist, dass viele Geflüchtete heute einen schlecht bezahlten Job haben, für den sie überqualifiziert sind: Eine Studie des Internationalen Zentrums für Migrationspolitikentwicklung hat gezeigt, dass ein Drittel der Beschäftigten in Aushilfsjobs tätig ist. Das mittlere Nettoeinkommen geflüchteter Männer betrug Ende 2017 gerade einmal 1200 Euro im Monat.

Diese Konzentration in Hilfsarbeiterjobs war es auch, die dafür sorgte, dass die Arbeitslosigkeit unter Syrern und Afghanen in der Corona-Krise viel stärker gestiegen ist. Hinzu kommt noch, dass viele Afghanen im Gastgewerbe und Tourismus gearbeitet haben, einem besonders krisengeplagten Sektor. Wobei es Überraschungen gab. Die tendenziell niedrig qualifizierten Afghanen schlagen sich am Arbeitsmarkt besser als die Syrer. In letzterer Gruppe liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei fast 50 Prozent. Die wahrscheinlichste Erklärung dafür lautet, dass Afghanen ohne Vorausbildung eher bereit sind, jedweden Job anzunehmen.

Gekürzte Förderungen beim AMS

Eine herausfordernde Gruppe in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit also. Wie soll es weitergehen? Als Fehler sehen es Experten an, dass ab 2019 ÖVP und FPÖ die Sonderbudgets für Integration beim AMS zusammengestrichen haben, von gut 100 Millionen auf null. Viele der Frauen, die erst jetzt zeitverzögert auf den Arbeitsmarkt kommen, etwa weil sie nach der Asylzuerkennung ein Kind bekamen, können weniger gefördert werden, sagt Kohlenberger.

Wenn es richtig ist, dass viele der bisher chancenlosen Geflüchteten weiter keinen Job bekommen werden, drängt sich für den Arbeitsmarktexperten Gächter eine Frage auf. Jene nämlich, ob die Betroffenen nicht über den zweiten oder dritten Arbeitsmarkt, also über staatlich geförderte Stellen, in Jobs gebracht werden können. Eine Art Aktion 20.000 für Geflüchtete, die Betroffene den Anschluss nicht noch weiter verlieren lassen könnte. Ob jemand dieses politische Thema aufgreifen würde? (András Szigetvari, 29.8.2020)