In seiner Rede am Freitag verpasste der Kanzler der gängigen Corona-Angstkommunikation einen gehörigen Schuss Hoffnung, so Politikberater Thomas Hofer im Gastkommentar.

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Bundeskanzler Sebastian Kurz will die Agenda wieder dominieren, denn zuletzt hatte die Regierung keinen Erfolgslauf.
Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Einen kommunikativen Schlingerkurs kann man Sebastian Kurz während seiner bald zehnjährigen Präsenz auf der bundespolitischen Bühne nur selten nachweisen. Er ist einer der diszipliniertesten Akteure, wenn es darum geht, einen eingeschlagenen Kurs zu halten. Mit an Penetranz grenzender Beharrlichkeit hämmert er seine Positionierungspflöcke in die Landschaft. Ändert er seine Richtung, wie im Bereich Migration, dann kaschiert er das geschickt und lässt es nicht als Bruch erscheinen. Als Integrationsstaatssekretär lud er das Thema Migration positiv auf, etwa indem er es mit dem Leistungsgedanken verknüpfte und offensiv via "Integrationsbotschafter" verkaufte. Spätestens 2015 war damit Schluss. Seither dominiert jene Rigidität, die es dem ÖVP-Chef seit 2017 bei Wahlen ermöglichte, großflächig FPÖ-affine Zielgruppen an sich zu binden.

Der Besonderheit der Corona-Krise geschuldet agierte Kurz in den vergangenen sechs Monaten nicht immer so stringent. Von Anfang an setzte er in seiner Krisenpositionierung auf den Faktor Angst. Seine Einschätzung, dass Kommunikation ohne Einschüchterung in der Innenpolitik kaum möglich ist, ist zwar unerfreulich, entspricht aber der Realität. Das gilt weit über Covid-19 hinaus. Weder die Migrationsdebatte (Flüchtlingswelle!, Identitätsverlust!) noch das Umweltthema (Klimakatastrophe! Erderhitzung!) kommen ohne Angsttopoi aus.

Verrutschte Botschaft

Mit der Rede zum Herbstauftakt demonstrierte der Kanzler einerseits seine kommunikative Überlegenheit gegenüber den Herausforderern. Für Insider wirkt der tagelange Verkauf der Rede vielleicht überinszeniert. Und Konkretes war wie oft Mangelware. Aber Breitenwirksamkeit ist garantiert. Von der Konkurrenz kam übrigens niemand auf die Idee, das eigene ORF-Sommergespräch thematisch aufzuladen und Tage zuvor zu vermarkten.

Kurz versucht aber auch einen Fehler aus dem Frühjahr zu korrigieren. Ende März verrutschte ihm die Botschaft. Begonnen hatte er die Krise mit der Ankündigung einer "Auferstehung nach Ostern". Dann sprach er plötzlich von 100.000 Toten, der "Ruhe vor dem Sturm" und davon, dass "bald" jede und jeder jemanden kennen werde, der der Seuche zum Opfer gefallen ist. Das war der Angstkommunikation denn doch zu viel.

Ein "mitfühlender Konservativer"

Mit seiner Botschaft, dass im Sommer 2021 alles wieder seinen gewohnten Lauf nehmen werde, dass er "Licht am Ende des Tunnels" sieht, setzt er nun auf die zweite starke Emotion in der politischen Kommunikation: die Hoffnung. Noch bevor Covid-Vakzine am Markt sind, impft er der Bevölkerung Optimismus ein. Das ist zwar inhaltlich gewagt, aber vor allem wirtschaftspolitisch angesagt, denn eine kollektive Winterdepression kann man sich nicht leisten. Dabei steht Kurz wie ein Rallyefahrer auf Gas und Bremse. Subkutan war die Rede von Durchhalteparolen geprägt, sowohl was die Gesundheits- wie auch die Arbeitsmarktsituation betrifft. Zwischen heute und dem "erlösenden" Sommer liegen ja immerhin ein paar Monate. Aber ins Zentrum der Rede und später die Schlagzeilen sollte das eben nicht.

Wie schon in seinen Wahlkämpfen hat sich Kurz in der Rede als "mitfühlender Konservativer" positioniert. Sein "Pakt gegen die Alterseinsamkeit" oder die Betonung der "Aufstiegsgesellschaft" für Schüler aus sozial schwachen Schichten bilden zwar nicht die aktuellen Verhältnisse ab. Aber Kurz signalisiert, dass er weiß, wo’s hakt. So bietet er zumindest vorübergehend weniger Angriffsfläche. Die Ankündigung eines Philosophiezirkels, um Grundrechtsfragen zu diskutieren, soll wohl ähnliche Wirkung entfalten.

Raus aus der Kritik

Gesamthaft betrachtet zielt Kurz’ Rede darauf ab, endlich wieder "vor" die Geschichte zu kommen, die Agenda wieder zu dominieren. Zu sehr ist die Regierung zuletzt in die Schusslinie der Kritik geraten. Auch wenn sich das in den Daten nur zögerlich zeigt: Vom Baby-Hunderter über den U-Ausschuss bis zum Grenzchaos, vom Verfassungs- und Verordnungsdesaster bis zur Kritik an der Abwicklung von Rettungspaketen hatte die Regierung keinen Erfolgslauf.

Das alles war kaum Ergebnis einer verstärkten Oppositionsarbeit, SPÖ und FPÖ sind über weite Strecken mit sich selbst beschäftigt. Viel eher liegen die Gründe im eigenen Wirkungsbereich. Einmal schlägt sich die von wenigen Ausnahmen abgesehen schwache Aufstellung der türkisen Riege langsam nieder. Das Team garantiert Loyalität, aber kaum eigenständige Marken. Dem Kanzler fehlen selbst in der Parteizentrale medial einsatzfähige Flügelspieler.

Grünes Imagehoch

Kurz muss – und will – alles selbst machen. Es regiert das Highlander-Prinzip: Es kann nur einen geben! Angewandt auf den Koalitionspartner gilt das auch. Über die Imagewerte von Gesundheitsminister Rudolf Anschober ärgerten sich Türkise seit Beginn der Krise. Die Zahlen waren auch immer dessen Kommunikationsgabe und nicht der seit Jahren mangelhaften Aufstellung des Ministeriums geschuldet. Auch die Grünen sahen die Gesundheitsagenden zum Regierungsstart als Wurmfortsatz des mächtigen Sozialressorts. Dass die Schwächen in der Krise ausapern, kann die ÖVP vielleicht zum Zurückstutzen Anschobers nutzen. Man darf gespannt sein, in welche Richtung sich das Thema etwa aufgrund von bundesweit nur spärlich vorhandenem Grippe-Impfstoff im Herbst entwickelt.

Dass das belastete Koalitionsklima irgendwann öffentlich auf das Erscheinungsbild der Regierung durchschlägt, ist ein Risiko. Und dass die Animositäten wenig rational sind, ist auch klar: Denn Grüne und ÖVP kommen sich zielgruppentechnisch weit weniger ins Gehege als die vormaligen Partner ÖVP und FPÖ. Ein entspannter Zugang wäre also durchaus möglich. (Thomas Hofer, 30.8.2020)