Eines Nachts gegen Mitternacht rief mein Freund und Schriftstellerkollege Werner Kofler an. Nicht, dass er es um diese Uhrzeit tat, überraschte uns – dass er zu später Stunde anrief, daran waren wir gewöhnt –, sondern dass er es überhaupt tat, denn er war vor über einem Jahr gestorben. Es freue uns überaus, sagten wir daher, von ihm zu hören, wie es ihm denn gehe, und er antwortete in gewohnt mürrischem Ton, jaja, es gehe schon, das Problem sei, dass ihm die Zigaretten ausgegangen seien und er von da, wo er sich befinde, nicht wegkönne. Er bitte uns daher, ihm so rasch wie möglich eine Stange Pall Mall zu besorgen – "die roten", rief er, "nicht die blauen, unbedingt die roten!" –, und natürlich sagten wir, das würden wir gern tun.

Antonio Fian, "Nachrichten aus einem toten Hochhaus". € 18;– / 120 Seiten.Droschl, 2020
Foto: Droschl-Verlag

Allerdings wussten wir nicht, wohin wir die Zigaretten bringen sollten, unter seiner alten Adresse war er ja nicht mehr anzutreffen, und ehe wir noch dazu kamen, ihn nach seiner neuen zu fragen, hatte er das Telefonat beendet. Nach längerem Überlegen schlug E. vor, die Zigaretten ins Café Limbeck zu bringen, in das er zu seinen Lebzeiten oft gegangen war und das er sicher auch jetzt noch manchmal aufsuchen werde. Sollte ihm aber, sagte sie, aufgrund seines Totseins auch das nicht möglich sein, werde uns jedenfalls die Kellnerin im Café Limbeck Auskunft geben können, wo wir ihn finden und auf welche Weise wir ihm die Zigaretten zukommen lassen könnten. Ich war mit dieser Lösung einverstanden, und wir besorgten also eine Stange Pall Mall und stiegen in die U-Bahn, um zum Café Limbeck zu fahren.

Weiterleben nach dem Tod

Kaum eingestiegen aber, wurden wir uns der Befremdlichkeit der Situation bewusst, und die ganze Fahrt über fragten wir uns, ob dieses Telefongespräch tatsächlich stattgefunden hatte oder ob wir es uns eingebildet hatten, welche Möglichkeit wir aber, da wir beide das Telefon läuten und Werner Kofler hatten sprechen hören, schließlich verwarfen. Wenn jedoch, sagten wir, als wir an der Station Rochusplatz ausstiegen, Werner Kofler tatsächlich angerufen hatte, war das der Beweis, dass es, entgegen unserer bisherigen Annahme, ein Weiterleben nach dem Tod gab, allerdings zugleich auch dafür, dass dieses Weiterleben jedenfalls nicht jenes war, das von den christlichen Religionen beschrieben wurde, denn in diesem Fall wäre ein überzeugter Agnostiker wie Werner Kofler in die Hölle gekommen, und dort würde es ihm nicht nur nicht gut gehen, sondern man hätte ihm auch keinesfalls erlaubt zu telefonieren.

Und auch wenn wir nicht vergessen hatten, dass er zu seinen Lebzeiten oft gesagt hatte, dass ein Leben ohne Zigaretten für ihn der Hölle gleichkomme, beruhigte uns dieser Gedanke, und wir waren fast sicher, dass uns, kaum dass wir das Café Limbeck betreten haben würden, Werner Kofler zuwinken würde und uns, nachdem er die erste der mitgebrachten Zigaretten geraucht hatte, mehr über sein Leben nach dem Tod erzählen würde. (Antonio Fian, 30.8.2020)