Im burgenländischen Institut blieb vieles jahrzehntelang im Dunkeln, Zeugen zur Causa Commerzialbank sagen Erstaunliches aus.

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Wien – Eine Bank, in der es keine Vorstandssitzungen gab, in deren Aufsichtsrat der Bankchef Protokoll führte, deren Kreditakten nicht digitalisiert waren, ein Vorstandsmitglied Unterlagen "blind" unterschrieb und in der generell ein "devotes System" herrschte: Das ist das Bild, das sich aus den Einvernahmen zur Causa Commerzialbank derzeit zeichnen lässt, die Protokolle liegen dem STANDARD vor.

Eine Bank zumal, deren Chefs Martin Pucher und Vorstandsdirektorin K. seit mehr als zwei Jahren nicht mehr miteinander sprechen, wie sich aus einem Brief K.s an Pucher ergibt. Die beiden, die Geschäfte im Volumen von zuletzt 688 Mio. Euro erfunden haben und das 30 Jahre lang vertuschen konnten, kommunizierten nur schriftlich. Eine Assistentin trug auf zusammengefalteten A4-Zetteln erstellte Mitteilungen zwischen den Chefbüros hin und her. Pucher und K. sind geständig, es gilt die Unschuldsvermutung.

Reisen zum Poststempel

Auch die Erstellung der gefälschten Saldenbestätigungen über Guthaben von 427 Millionen Euro bei anderen Banken scheint geklärt zu sein. K. ließ das Briefpapier des jeweiligen Instituts zunächst bei Bekannten drucken, später erledigte sie das am Computer selbst, unterschrieben hat Pucher. Die Blankodrucksorten bewahrte K. im Safe auf, dort fanden die Ermittler Briefpapier von elf Instituten.

Um den richtigen Poststempel zu bekommen, scheute Pucher keine Kosten. Er schickte Bekannte durchs Land und ließ sie die heikle Post aufgeben. So flog ein Mitarbeiter des SV Mattersburg (SVM) am 28. Februar 2018 nach Innsbruck, warf die Kuverts am Flughafen ein und flog wieder heim. Aufenthaltsdauer in Innsbruck: 40 Minuten, Reisekosten: 657,13 Euro. Danach gab er Kuverts in Wien, Linz und Klagenfurt auf. Hinterfragt habe er seinen Auftrag nicht, sagte der Bote als Zeuge aus.

Ein schöner Tag in Zürich

In den Jahren davor hatte den Job ein Geschäftspartner Puchers erledigt. Der ist 2012 auch einmal für einen Tag auf Bankkosten nach Zürich geflogen, ohne Kuverts, dafür aber mit Pucher. Der habe ihn wohl mitgenommen, "damit er nicht allein reisen muss". Was der Banker dort tat, wusste der Zeuge nicht ("Es war mir auch egal"), er selbst habe sich "einen schönen Tag gemacht". Kostenpunkt der Flugreise: insgesamt 1092,08 Euro.

Speziell war auch die Organisation des Mattersburger Instituts. Es gab "keine fixe Arbeitsstruktur", im Kreditgeschäft seien "alle Mitarbeiter quasi für alle Kreditfälle zuständig" gewesen, schilderte eine Zeugin. Als sie dem Chef sagte, das Risikomanagement sei "qualitativ und quantitativ unterbesetzt", habe den das nicht gekümmert: "Er war immer der Ansicht, dass das Risikomanagement nur Geld koste und nichts bringe."

Fake-Konten angefordert

Die "vorstandsbetreuten" Kredite, zu denen die rund 500 von Pucher und K. erfundenen zählten, seien an Kreditabteilung und Risikomanagement ganz vorbeigegangen. Wobei: Etliche der vom Whistleblower genannten Fake-Kredite müssten Vor-Ort-Prüfern bzw. Abschlussprüfer TPA bekannt sein. Die Zeugin wörtlich: "Einige der angeführten Akten (...) waren sicher auch schon Gegenstand (...) bei den Prüfungen 2015 und 2017 oder wurden im Zuge der jährlichen Prüfung durch TPA angefordert."

Im Vorstand selbst herrschte neben Schweigen zwischen K. und Pucher enden wollendes Interesse. Der 2019 hinzugekommene Vorstandsdirektor – seit 1995 im Haus und Kassier des Fußballklubs SVM – hat die Bilanz 2018 unterschrieben, "aber nicht genau durchgelesen, nur überflogen". Sponsoringverträge mit dem SVM könnten ihm zur Unterschrift vorgelegt worden sein, durchgelesen habe er sie nicht. Er habe Pucher vertraut. Wie hoch die Schulden zweier SVM-Sponsoren bei der Bank waren (viele Millionen hoch, Anm.), habe er erst jetzt erfahren: "Ich habe nicht gewagt, bei Pucher nachzufragen."

Keine Fragen, kein Widerspruch

Ja, und wie liefen die Vorstandssitzungen? Schwer zu sagen, offenbar gab es keine. Das sagt der Exvorstandsdirektor aus, bestätigt wird das von einer Assistentin. Zwar habe sie Vorstandsprotokolle in Reinschrift gebracht, die Informationen dazu habe sie aber immer nur von Pucher und Frau K. erhalten, erklärte die Bankerin. Hat der damalige Manager Protokolle von Sitzungen, die es nicht gab, unterfertigt? Kann sein, dass "ich sie blind unterschrieben habe", antwortete der den Ermittlern.

Immerhin: Aufsichtsratssitzungen fanden statt. Gefragt wurde da aber nichts, nur einmal, als die Übersiedlung der Bankzentrale Thema gewesen sei, alle Beschlüsse seien "einstimmig im Sinne von Pucher" gefasst worden, schilderte der Zeuge. Die Frage, wie Pucher auf andere Meinungen in Aufsichtsrat und Vorstand reagierte, beantwortete der 63-Jährige, der Pucher seit der gemeinsamen Schulzeit kennt so: "Es gab keinen Widerspruch."

Macht und Kontrollwahn

Dafür umso mehr Machtkonzentration und Geheimnisse. Allen Aussagen zufolge hatte K. die Kontrolle: Belege oder Daten, die der Abschlussprüfer beim Rechnungswesen anforderte, gab nur sie weiter, alles andere war verboten. In ihrem Büro stapelten sich Kreditakten, verließ sie ihr Zimmer, bat die Managerin das Sekretariat aufzupassen, von Arbeit entlasten ließ sie sich nie.

"Ich dachte, sie hätte einen Kontrollwahn, wäre paranoid geworden", erinnert sich eine Mitarbeiterin. Als K. die von TPA für die Bilanzprüfung 2019 angeforderten Kreditstichproben nicht und nicht lieferte, wurde die Zeugin aktiv. Sie habe Pucher gebeten, "einen weiteren Kompetenzträger" einzusetzen, weil man Frau K. immer nachlaufen und um Unterlagen bitten müsse und sie nie Zeit hatte. Pucher habe zugesagt, sich darum kümmern zu wollen, passiert sei das aber nie.

Papier statt digitale Akten

Sehr seltsame Geschäftspraktiken stellte auch der im Juni 2019 ins Haus gekommene neue Innenrevisor fest. Die von ihm angeforderten Kreditlisten, aus denen er Prüffälle aussuchte, habe ihm nicht wie anderswo üblich die IT, sondern K. geliefert. Wochenlang habe er täglich urgiert, bis sie die Listen herausgab.

Zu prüfen bekam er dann Papierakten: Seine Überredungsversuche beim Vorstand, die Akten zu digitalisieren waren bis zuletzt erfolglos geblieben. (Renate Graber, 29.8.2020)