Kenosha (Wisconsin)/Washington – Zehntausende Menschen haben bei einem Protestmarsch in der US-Hauptstadt Washington gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze demonstriert. Unter dem Motto "Nehmt euer Knie aus unseren Nacken" versammelten sich die Demonstranten am Freitag vor dem Lincoln Memorial – dort, wo vor genau 57 Jahren der Bürgerrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede "I Have a Dream" ("Ich habe einen Traum") gehalten hatte.

Worte sind nicht mehr genug

"Ein Knie drückt auf den Nacken der Demokratie, und unsere Nation kann nicht länger ohne den Sauerstoff der Freiheit leben", sagte Kings Sohn Martin Luther King III auf den Stufen des Lincoln Memorial an der National Mall. Er rief zu einem Wandel in der US-Gesellschaft auf. "Rhetorik und Märsche" allein seien nicht ausreichend.

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Der Marsch wurde nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis Ende Mai organisiert, als Datum wurde der 57. Jahrestag der King-Rede gewählt. Ein weißer Polizist hatte Floyd mehr als acht Minuten lang sein Knie in den Nacken gedrückt, obwohl der 46-Jährige mehr als 20 Mal klagte, er bekomme keine Luft.

Der brutale Tod des Familienvaters löste Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt im ganzen Land aus. Floyd wurde zu einer Symbolfigur der Bewegung Black Lives Matter (Das Leben von Schwarzen zählt).

Die ehemalige First Lady der USA, Michelle Obama, äußerte sich zum Vorfall in Kenosha.

Von Floyd bis Blake

Bei der Demonstration am Freitag hielten Verwandte Floyds und Angehörige von weiteren afroamerikanischen Opfern von Polizeigewalt Reden. "Ich wünschte, George wäre hier, um das zu sehen", sagte Floyds Bruder Philonise, der während seiner Rede immer wieder gegen Tränen ankämpfte. "Mein Bruder kann heute keine Stimme sein", sagte Floyds Schwester Bridgett. "Wir müssen diese Stimme sein. Wir müssen der Wandel sein."

Auch der Vater des am vergangenen Sonntag in Kenosha im Bundesstaat Wisconsin durch sieben Polizeikugeln in den Rücken schwer verletzten Jacob Blake trat bei der Kundgebung auf. Er beklagte, es gebe in den USA "zwei Justizsysteme" – eines für Weiße und eines für Schwarze. "Jeder Schwarze in den USA wird sich erheben. Wir haben die Nase voll. Ich habe die Nase voll."

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Erfolgreiche Beschwerde über Unterbringung

Zuvor wurde bekannt, dass Jacob Blake im Krankenhaus offenbar an sein Bett gefesselt war. "Warum haben sie diesen kalten Stahl am Knöchel meines Sohnes?" fragte Blakes Vater im Nachrichtensender CNN. "Er kann nicht aufstehen, er könnte selbst dann nicht aufstehen, wenn er es wollte." Blakes Onkel sprach von einer "Beleidigung". "Er ist gelähmt und kann nicht laufen, und sie ketten ihn an das Bett. Warum?"

Der Gouverneur des Bundesstaats Wisconsin, Tony Evers, hatte bereits zuvor Unverständnis über die Sicherheitsmaßnahme gezeigt. "Ich persönlich verstehe nicht, warum das notwendig sein sollte", sagte der US-Demokrat. "Ich würde mir wünschen, dass wir einen besseren Weg finden würden, ihm bei der Genesung zu helfen." Das Festketten erscheine ihm wie "schlechte Medizin".

Freitagabend wurden die Wünsche erhört: Blake wird nach Angaben seines Anwalts Patrick Cafferty nicht länger an sein Krankenhausbett gefesselt. Polizisten hätten Blake die Handschellen abgenommen. Auch sei die polizeiliche Bewachnung des 29-Jährigen eingestellt worden. Laut Cafferty hatte die Polizei die Maßnahmen wegen eines offenen Haftbefehls im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt im Juli ergriffen. Er habe bei der Staatsanwaltschaft erreicht, dass dieser Haftbefehl nun fallengelassen werde.

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Wichtiges Wahlkampfthema

Polizeigewalt gegen Afroamerikaner sorgt schon seit Jahren immer wieder für Empörung in den USA. Seit Jahresbeginn gab es eine ganze Reihe von Vorfällen, die für Schlagzeilen sorgten. Die Black-Lives-Matter-Proteste sind längst ein zentrales Thema des diesjährigen Präsidentschaftswahlkampfes. Präsident Donald Trump fokussiert sich seit Monaten auf gewaltsame Ausschreitungen, die die Proteste immer wieder überschattet haben. Der selbsternannte "Präsident von Recht und Ordnung" spricht von Taten von "Anarchisten und Plünderern" und fordert ein hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte.

Kritiker werfen dem Rechtspopulisten vor, das den Protesten zugrunde liegende Problem des Rassismus im Land zu ignorieren und kleinzureden. Bei seiner Nominierungsrede am Donnerstagabend verurteilte der Präsident unter anderem die Ausschreitungen in Kenosha nach den Polizeischüssen auf Jacob Blake – zu den Schüssen selbst äußerte er sich dagegen bislang mit keinem Wort..

Sein Herausforderer Joe Biden von den oppositionellen Demokraten dagegen hatte Verständnis für die Wut der Afroamerikaner im Land geäußert und bei einem Wahlsieg seinen Einsatz gegen Rassismus und Polizeigewalt versprochen. (APA, AFP, red, 28.8.2020)