Jan Marsalek hatte sich ins Ausland abgesetzt, kurz bevor der Skandal rund um Wirecard aufflog.

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Aschheim – Markus Braun und Jan Marsalek. Zusammen leiteten sie mit Wirecard über Jahre einen Konzern, der sich zum größten Finanzskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte entwickeln sollte. Milliardenschwere Lügenkonstrukte, dubiose Geschäftspartner- sowie Praktiken und ein Bilanzloch von 1,9 Milliarden Euro – all das und noch viele weitere Vorwürfe stehen im Raum. Insgesamt prüft die deutsche Anti-Geldwäsche-Einheit FIU mittlerweile 144 Vorgänge, die als relevant für die Vorwürfe gegen den Zahlungsdienstleister eingestuft werden, wie am Montag bekanntwurde.

Zwar befinden sich beide aktuell in sehr unterschiedlichen Situationen, besonders angenehm dürfte es aber für keinen sein. Braun sitzt in Untersuchungshaft in Deutschland, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, sollen die Ermittler nun auch auf sein Privatvermögen zugreifen. Marsalek soll auf einem Anwesen in Russland leben. Das Amtsgericht München eröffnete jedenfalls vorige Woche das Insolvenzverfahren über den deutschen Zahlungsabwickler, 730 Mitarbeiter sowie der Vorstand werden gekündigt und ein Untersuchungsausschuss zeichnet sich ab.

Untergetaucht

Kurz bevor Wirecard vor rund zwei Monaten nicht mehr anders konnte, als die Luftbuchungen über rund 1,9 Milliarden Euro zuzugeben, tauchte Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek unter. Er soll von Klagenfurt aus mit einem Privatjet nach Tallinn und weiter nach Minsk geflohen sein, berichtet das "Handelsblatt". Mittlerweile soll er auf einem Anwesen westlich von Moskau untergebracht sein. Dort stehe er nicht mehr unter Aufsicht des russischen Militärgeheimdienstes GRU, sondern unter Kontrolle des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, heißt es in dem Bericht.

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Jan Marsalek steht auf einer internationalen Most-Wanted-Liste.
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Untersuchungshaft

Die ehemalige Nummer eins von Wirecard, Markus Braun, stellte sich den Behörden, nachdem der Betrug aufgeflogen war. Vorerst kam er gegen eine millionenschwere Kaution frei, aktuell befindet er sich aber in Untersuchungshaft in Gablingen in der Nähe von Augsburg – in jenem Gefängnis, in dem auch der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler einsaß. "Zur Sache selbst wird sich Dr. Braun nur gegenüber den Justizbehörden äußern", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" ("SZ") Brauns Anwalt. Er bestreite nach wie vor alle Vorwürfe und will von den Betrügereien in dem Unternehmen weder etwas gewusst noch geahnt haben. Er solle selbst reingelegt worden sein. Mit Marsalek habe er kaum noch gesprochen, und dieser hätte Wirecard heimlich für kriminelle Zwecke missbraucht.

Liquiditätslücke von fast 100 Prozent

In einem kürzlich präsentierten Bericht stellte der Insolvenzverwalter Michael Jaffé die äußerst desolate Lage des einstigen Dax-Shootingstars Wirecard dar. Auf den Konten liegen rund 26,8 Millionen Euro, dem stehen Schulden von mehr als 3,2 Milliarden Euro gegenüber. Das entspricht einer Liquiditätslücke von 99,17 Prozent. Wirecard habe sich als Unternehmen dargestellt, das in der "Weltliga der neuen Finanztechnologieunternehmen" mitspielen wollte, schrieb Jaffé.

Markus Braun soll ein paar Monate vor dem Zusammenbruch des mehr als windschiefen Kartenhauses eine mögliche Übernahme der Deutschen Bank durchgerechnet haben. Unter dem Namen "Project Panther" sei die größenwahnsinnige Unternehmung gelaufen. Von der Deutschen Bank hätte nicht viel übrig bleiben sollen. Der neue Name hätte Wirebank und der neue Chef Markus Braun heißen sollen.

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Markus Braun dürfte nun versuchen, die Schuld Jan Marsalek in die Schuhe zu schieben. In glaubwürdiger Vermarktung hat er jedenfalls Erfahrung.
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Untersuchungsausschuss zeichnet sich ab

Am Montag und Dienstag sollen Wirecard sowie die Rolle des Kanzleramts und Geheimdienste in der Sondersitzungen des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags thematisiert werden. Überdies zeichnet sich ein Untersuchungsausschuss ab. "Es kann nicht mehr darum gehen, ob wir einen Untersuchungsausschuss brauchen, sondern nur noch darum, was genau dieser untersuchen soll", sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar der Nachrichtenagentur Reuters.

FDP und Linke sind bereits für den Untersuchungsausschuss, der sich dann ins Wahljahr 2021 ziehen dürfte. Sie brauchen aber noch die Grünen, um das nötige Stimmengewicht zu haben. "Falls sie uns nicht überrascht, wird ein Untersuchungsausschuss unvermeidbar", sagte der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz mit Blick auf die Sondersitzung.

Vorwürfe der Opposition

Oppositionspolitiker werfen der Bundesregierung eine mangelnde Aufarbeitung vor und nehmen dabei auch das Kanzleramt ins Visier. Der Linke-Obmann im Finanzausschuss, Fabio De Masi, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Bundesregierung handelt immer noch nach einer Salamitaktik und legt entscheidende regierungsinterne Dokumente nicht vor." Die Grünen-Obfrau Lisa Paus kritisierte, bisher habe sich die Bundesregierung immer wieder um die entscheidenden Fragen gewunden. Das Bundeskanzleramt müsste erklären, welche Erkenntnisse es zur Flucht Marsaleks nach Russland und über Verbindungen zu den dortigen Geheimdiensten habe. (and, 31.8.2020)