Für sein Team legt er die Hand ins Feuer, sagt Spitzenkandidat Klaus Hofer. Doch so sicher kann er gar nicht sein.

Foto: Christian Fischer

Eine 2.000-Einwohner-Gemeinde am Tor zur Buckligen Welt in Niederösterreich – und der Schauplatz eines Hinterhalts.

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Was da im Extrazimmer der Stoafeldstub'n in Schwarzau stattfindet, schaut aus wie die ganz normale Sitzung einer ganz normalen Ortspartei. 15 Männer und Frauen sitzen an einem Tisch, trinken Bier, Soda Zitron oder Obi g'spritzt. Die Stimmung ist gelöst, die Funktionäre diskutieren und führen Schmäh. Nichts deutet darauf hin, dass bei der SPÖ Schwarzau am Steinfeld das Undenkbare geschehen ist.

Es passierte am 13. Februar, bei der ersten Sitzung des neu gewählten Gemeinderats. Die Bürgermeisterpartei SPÖ war nicht glücklich, aber sicher. Zehn Prozentpunkte hatte sie bei der Wahl eingebüßt. Die absolute Mehrheit blieb ihr aber: 55 Prozent der Wahlberechtigten in der niederösterreichischen 2.000-Einwohner-Gemeinde südlich von Wiener Neustadt hatten rot gewählt. Das brachte zehn von 19 Sitzen im Gemeinderat. Die Bürgermeisterwahl war also nur Routine. Glaubte man.

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Denn nach der geheimen Abstimmung befanden sich nur neun Stimmen für den amtierenden SPÖ-Bürgermeister in der Urne – und zehn für die Kandidatin der ÖVP. Dreimal wurde nachgezählt, erzählt Klaus Hofer, er war damals roter Vizebürgermeister. "Und ich hab's noch einmal gezählt, weil ich es nicht glauben konnte": Einer der roten Gemeinderäte hatte gegen den eigenen Bürgermeister gestimmt. "Ein Wahnsinn war das."

Entsetzt verließen die Sozialdemokraten die Sitzung, versammelten sich im Bürgermeisterbüro und diskutierten. Für die Stimmabgabe musste der Name eines Kandidaten auf den Zettel geschrieben werden, ein Irrtum war ausgeschlossen. Die SPÖler wussten, dass einer von ihnen ein Verräter war. Er war auch in der Runde dabei. Doch bis heute gibt sich die Person nicht zu erkennen. Die Nacht endete um drei Uhr Früh im Keller einer roten Gemeinderätin, erzählt Hofer.

Ein abgehaktes Thema

Er ist heute Spitzenkandidat für die Neuwahl, denn nach der Skandalsitzung erklärten alle roten Kandidaten ihren Rücktritt. Der Gemeinderat war nicht mehr beschlussfähig, am 27. September wird neu gewählt. Der abgewählte SPÖ-Bürgermeister Günter Wolf hat seinen Rückzug angekündigt, so schwer hat ihn der Verrat getroffen.

In den Tagen darauf führte Wolf Einzelgespräche mit den roten Gemeinderäten. Jeder beteuerte, "richtig" gewählt zu haben. Einer log. Was ist da passiert? Alle möglichen Vorwürfe standen in den Wochen danach im Raum – sogar Bestechung. "Meine Meinung ist, dass das eine persönliche Geschichte war", sagt Ex-Vizebürgermeister Hofer.

Also wieder Wahlkampf – mit einem Verräter. In der Stoafeldstub'n besprechen die Roten an einem Augustabend die Kampagne, die ihnen den Bürgermeistersessel zurückholen soll. "Weil der Wählerwille zählt" steht auf ihren Werbemitteln. Spitzenkandidat Hofer steht vor dem Tisch, stützt sich auf zwei Sessellehnen ab und geht die Tagesordnung durch. Er lobt den zuständigen Genossen für das erfolgreiche Ferienspiel, freut sich, dass die Ortspartei 1.100 Euro gesammelt hat, um der Feuerwehr einen neuen Kärcher zu spenden und erzählt von seinem Unterstützungskomitee aus alteingesessenen SPÖlern.

Ein Thema wird bei der Sitzung nicht angesprochen: der Verrat vom 13. Februar. Dass einer von ihnen für die türkise Bürgermeisterkandidatin gestimmt hat, das spricht hier niemand an. "Wozu auch?", fragt einer von ihnen in einer Rauchpause. Man werde es ja ohnehin nicht herausfinden. Da sei es besser, das Thema hinter sich zu lassen – auch wenn das bedeutet, mit einem heimlichen Abtrünnigen in den Wahlkampf zu ziehen.

Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben

Hofer sagt, er würde "für die ersten zehn auf der Liste die Hand ins Feuer legen". Viel geändert hat sich am roten Team nicht: Ex-Bürgermeister Wolf ließ sich nach hinten reihen, ein roter Gemeindebediensteter wollte nicht mehr kandidieren, um nicht in Konflikt mit der jetzigen Bürgermeisterin zu geraten. Doch im Wesentlichen tritt die SPÖ mit den gleichen Leuten an wie bei der Wahl, die für die Sozialdemokraten so furchtbar schiefgegangen ist. Hofer ist aber "überzeugt davon, dass die Leute im Team zu 100 Prozent hinter mir stehen", sagt er. Ein Restrisiko bleibe immer. Aber zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.

Geheime Absprachen

Hofer ist so rot, dass er mit "Grüß Gott" grüßt und alle wissen, dass der bürgerliche Gruß ein Scherz ist. Er kommt mit dem Motorradhelm unterm Arm, zu den Jeans trägt er ein graues T-Shirt über dem kräftigen Oberkörper. Die Lokalpolitik habe ihn schon immer interessiert. Heute ist der 39-Jährige technischer Abteilungsleiter in der nahegelegenen Papierfabrik. Das Bürgermeisteramt sei stets eine Option gewesen, aber eigentlich erst in fünf oder zehn Jahren. "Die Entscheidung, dass ich es mach', ist jetzt viel zu schnell gefallen", sagt er. Nach dem Desaster musste er seine Lebensplanung ändern, weil sich Wolf erschüttert zurückgezogen hat. Der Ex-Bürgermeister sitzt bei der Besprechung im Extrazimmer am Tischende. Hin und wieder teilt er einen Ratschlag. Ob es nicht besser wäre, die Leser des Flugblatts zu duzen, fragt er fast kleinlaut. Er habe das immer so gemacht.

Die SPÖ Schwarzau kann jede Unterstützung gut gebrauchen, denn sie startet aus keiner günstigen Position. Sie steht als die Partei da, die diese mühsame Neuwahl und den Stillstand angezettelt hat – denn seit dem Rücktritt der Genossen hat Schwarzau keinen beschlussfähigen Gemeinderat. Die unter so ominösen Umständen gewählte VP-Bürgermeisterin Evelyn Artner nutzt die Rolle als Amtsinhaberin, um alles umzusetzen, was unter diesen Umständen umsetzbar ist.

"Wir haben eine große Lade vollgefüllt mit Themen, die wir beschließen müssen. Das muss leider alles bis Anfang Oktober warten", sagt sie. Artner findet, sie habe sich sehr gut in das Amt eingelebt. Gerüchte, wonach die Volkspartei den roten Überläufer angestiftet oder gar bestochen habe, empfindet sie als "unterste Schublade". Sie sei bei der Sitzung genauso geschockt gewesen wie die roten Mandatare. Positiv halt.

ÖVP streitet Absprache ab

Dass – entgegen den Schwarzauer Usancen – überhaupt eine Gegenkandidatin gegen den Bürgermeisterkandidaten der stimmenstärksten Partei aufgestellt wurde, erklärt sie mit ihrem herausragenden Vorzugsstimmen-Ergebnis, mit dem sie sogar den amtierenden Ortschef überholt hätte. Beflügelt von dem Votum, wollte die Volkspartei da eben ein Zeichen setzen. Diesen Ausgang aber habe niemand erwartet, auch nicht die ÖVP.

Doch bei der SPÖ erzählt man, dass die Volkspartei vor der Bürgermeisterwahl den einzigen FPÖ-Gemeinderat um seine Stimme gebeten haben soll. Möglicherweise im Wissen, dass es dann noch eine geheime SPÖ-Stimme geben würde, wird in den Raum gestellt. Artner bestreitet das: Sie habe mit Vertretern aller Fraktionen eine gute Gesprächsbasis, eine Stimme für Artner habe man dem Freiheitlichen nicht nahegelegt. Der blaue Gemeinderat bekräftigt auf STANDARD-Anfrage aber, um die Stimme gebeten worden zu sein.

Der rote Spitzenkandidat Klaus Hofer gibt als Wahlziel aus, das Ergebnis von der ersten Wahl im Jahr 2020 zu halten: 55 Prozent. Ein Lächeln verrät aber, dass er eigentlich mehr will – wohl auch, damit seine Bürgermeisterwahl nicht wieder nur von einem Parteifreund abhängt.

Ob ihm schon einmal der Gedanke gekommen ist, dass sich die Katastrophe wiederholen könnte? "Nicht nur einmal", lacht Hofer: "Das hast du natürlich im Hinterkopf." Um es darauf nicht ankommen zu lassen, müssen die Schwarzauer Sozialdemokraten einen starken Wahlkampf führen. Dass einer von ihnen nicht wirklich auf ihrer Seite steht, davon lassen sie sich nicht ablenken. (Sebastian Fellner, 31.8.2020)