Die Wartelisten für Elektroautos sind lang, die Lieferzeiten auch.

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Wien – Die Corona-Pandemie trifft die Automobilindustrie in einer besonders heiklen Phase. Der Autoabsatz schrumpft und die Autohersteller müssen den 2009 in der EU festgelegten Pfad bei der Verminderung des CO2-Ausstoßes schaffen. Einige Länder wie Norwegen haben sehr konkrete Ziele für den Umstieg auf Elektromobilität, sie drängen klassische Pkws mit Verbrennungsmotoren sukzessive zurück (siehe Grafik). Ist dieses Ziel angesichts des massiv eingebrochenen Absatzes in der Corona-Krise noch zu erreichen?

Manche Hersteller könnten es angesichts von E-Auto-Förderungen und Kaufprämien für emissionsarme Fahrzeuge sogar früher schaffen, sagt "Autoprofessor" Ferdinand Dudenhöffer vom Car-Center Automotive Research der Uni Duisburg-Essen. Vorausgesetzt, sie können ihren E-Auto-Ausstoß wie geplant steigern. Dabei war die Corona-Krise natürlich alles andere denn hilfreich. Im Gegenteil, Lieferketten waren unterbrochen, Fahrzeugteile und Batteriemodule verzögert oder zeitweise gar nicht erhältlich – und viele Autowerke standen still. Noch immer sind tausende Beschäftigte in der Produktion in Kurzarbeit. Die Auslastung gibt der Branchenverband mit rund 80 Prozent an.

E-Autos im Takt

Dass BMW die Produktion von PS-starken Verbrennungsmotoren wie den V12-Top-Benziner oder den Top-Diesel 50d mit 400 PS zurückfahren wird, kommt vor dem Hintergrund verschärfter Abgasnormen und drohenden Strafzöllen nicht weiter überraschend.

Der Druck, Elektrofahrzeuge in den Markt zu bringen, steigt durch die CO2-Reduktionsziele enorm – auch weil Milliarden an Strafzahlungen drohen.

Dass die E-Auto-Ziele früher erreicht werden könnten, hält man bei Daimler (Mercedes, Smart) für unwahrscheinlich. Corona sei dabei ebenso wenig maßgeblich wie der krisenbedingte Absatzrückgang, sagt ein Sprecher. Volkswagen-Aufsichtsratspräsident Hans Dieter Pötsch sieht das ähnlich. In der Produktion sei alles genau getaktet. Die angestrebten 37,5 Prozent E-Autoanteil bei den abgesetzten Fahrzeugen bis 2030 seien eingeplant, gab sich Pötsch am Dienstag in einer Pressekonferenz der Deutschen Handelskammer in Wien optimistisch.

Dem Weltautobauer bleibt auch nicht viel anderes übrig. Denn Hersteller, die ihre CO2-Reduktionsziele nicht schaffen, müssen mit empfindlichen Strafzahlungen rechnen (siehe Wissen). Auf 3,98 Milliarden Euro schätzte das Car-Center die drohenden Pönalezahlungen vor zwei Jahren allein für den Volkswagen-Konzern. Das Beratungsunternehmen PA Consulting taxierte diese für vier Millionen verkaufte Fahrzeuge auf bis zu 4,5 Milliarden Euro.

Strafvermeidungsgewinne

Damit ist klar: Das CO2-Reduktionsregime der EU verleiht den Battery Electric Vehicles (BEV) ein enormes Strafvermeidungspotenzial, wirkt quasi wie eine E-Auto-Quote, weil jedes E-Mobil dabei doppelt zählt im positiven Sinn und somit deutlich mehr wert ist als der Preis des Neuwagens. Selbst bei Verlusten von 10.000 Euro pro Fahrzeug weisen Elektroautos für die Autobauer noch einen positiven Deckungsbeitrag aus, rechnet Dudenhöffer vor. Kurbelt der Staat den E-Auto-Absatz mittels Kaufprämien für E-Autos und Plug-in-Hybrid-Benziner an, wie das Österreich, Frankreich und andere EU-Länder tun, befeuert dies den E-Auto-Absatz und hilft – sofern Kfzs lieferbar sind – Strafzahlungen zu vermeiden.

Pfennigteile können alles aufhalten

Gelingt es, das Coronavirus in Schach und die Lieferketten offenzuhalten, rechnen Automobilexperten mit dem Import von Elektro-Pkw aus den Joint Ventures in China, die Volkswagen und Co im Reich der Mitte betreiben. Pötsch warnt vor "Protektionismus und nationale Tendenzen", selbst "ein Pfennigteil kann die Produktion lahmlegen". Die gewaltigen Umwälzungen bringen tausende OEM- und Zuliefererbetriebe unter Druck.

Bei der zum Schaeffler-Konzern gehörenden Continental wackeln bis zu 30.000 Arbeitsplätze – um 10.000 mehr, als bisher im Sanierungsplan vorgesehen, teilte Conti am Dienstag mit. Begründung: flaue Autokonjunktur, schrumpfende Produktion und Corona-Krise. Besserung sei erst 2022 in Sicht, sagt der Verband der Automobilindustrie. Sechs von zehn Zulieferern planten verstärkten Personalabbau, die Kapazitäten sein nur zu 50 bis 75 Prozent ausgelastet. Kommt nach den staatlichen Corona-Hilfen der Shake-out, verstärkt durch den kapitalintensiven Umstieg zur E-Mobilität?

Ruf nach Förderungen

Volkswagen-Präsident Pötsch ist da nicht so pessimistisch. Selbst 2030 würden immer noch 60 Prozent der Fahrzeuge mit Verbrenner, also Benziner oder Diesel sein. "Der Diesel ist kein Auslaufmodell", der Selbstzünder der modernsten Abgasklasse Euro-6d-temp habe gegenüber dem Benziner "einen enormen, eklatanten Vorteil". Der Umstieg hin zur E-Mobilität gehe schrittweise vonstatten, sodass innovative Zulieferer sehr wohl mithalten könnten. Gemeinsam würden die eng vernetzten Handelspartner den Umstieg in die neue Generation schaffen.

Wie der Branchenverband sieht auch Miba-Chef Franz Peter Mitterbauer Zulieferer mit dünner Eigenkapitaldecke unter Druck. Nur die wenigsten hingen ausschließlich an Diesel und Verbrennungsmotor. Den Gleitlagerspezialisten und Zulieferer Miba sieht er dagegen gut in Fahrt – auch in der Elektromobilität, etwa bei der Kühlung von Batterien. Die Geschäftsmodelle müssten überprüft und modifiziert werden, sagt Pötsch. Der Kfz-Gesamtmarkt wachse noch immer und es gebe viele Möglichkeiten, in die sich Zulieferer entwickeln könnten und sollten.

Flottenerneuerung

Wie Pötsch appellierte auch Mitterbauer an die Politik, Förderungen technologieneutral zu konzipieren. Entgegen politischer Zielsetzungen würde der Austausch alter Dieselfahrzeuge dem Klima helfen, der CO2-Ausstoß der Pkw-Industrie könnte bei Aufrüstung alter Fahrzeugflotten auf moderne Euro-6-Diesel um mehr als 30 Prozent sinken – würde die Flottenerneuerung beispielsweise mittels Investitionsprämie angeschubst.

Wie berichtet, sind Anlagen, die fossile Energieträger direkt nutzen, nicht förderfähig (außer Plug-In-Hybrid). Allerdings sei auch die E-Mobilität nicht "sauber", kritisiert Mitterbauer das Förderregime mit Verweis auf den verwendeten Strom und die zweifelhafte Energiebilanz. Auch synthetische Kraftstoffe hätten viel Potenzial, das gehoben werden könnte. Pötsch regt nach der Verlängerung des Kurzarbeitergelds in Deutschland bis Ende 2021 die Umschichtung nicht abgerufener Corona-Hilfsgelder an. (Luise Ungerboeck, 2.9.2020)