Thomas Olechowski, "Hans Kelsen. Biographie eines Rechtswissenschaftlers". € 59,– / 1027 Seiten. Mohr Siebeck, Tübingen 2020

Mohr Siebeck

Er war nicht nur Österreichs wichtigster Rechtswissenschafter des 20. Jahrhunderts, sondern wohl einer der bedeutendsten Rechtsphilosophen überhaupt. Dennoch gab es über Hans Kelsen (1881–1973) bis vor kurzem keine richtige Biografie. Während seinem deutschen Gegenspieler, dem umstrittenen Staatsrechtler Carl Schmitt, zuletzt zahlreiche Darstellungen gewidmet wurden, war ein Büchlein des Kelsen-Schülers Rudolf Métalls aus dem Jahr 1969 die einzige halbwegs brauchbare Quelle über Kelsens Leben und Werk.

Diesem Missstand setzte Thomas Olechowski (hier geht es zu einem Interview) nun eindrucksvoll ein Ende, und der Ziegel, mit dem er das getan hat, ist in jeder Hinsicht gewichtig. Rund 15 Jahre "gönnte" sich der Wiener Rechtshistoriker, der im Todesjahr Kelsens geboren wurde, um – unterstützt von einem Team junger Mitarbeiter – auch noch die entferntesten Informationen zu Kelsens bewegtem Leben und umfangreichem Œuvre zusammenzutragen und in eine sehr lesbare Form zu bringen.

Bewegte Lebensgeschichte

Dass es über Kelsen viel Spannendes zu erzählen gibt, liegt auch am höchst bewegten Leben des Rechtswissenschafters, in dessen Lebens- und Karrierestationen sich die großen Umbrüche und Krisen des 20. Jahrhunderts spiegeln: Geboren in Prag, studiert er in Wien, berät den letzten k. k. Kriegsminister, erlebt in Wien das Ende der Habsburgermonarchie und – als Professor an der Uni Wien – die Spannungen der Ersten Republik sowie den wachsenden Antisemitismus.

Aus Köln, wo er 1930 eine Professur übernimmt, muss er 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten fliehen, über die Schweiz gelangt er in die USA, wo er in Harvard lehrt und schließlich an der Uni Berkeley in Kalifornien wieder eine Professur erhält.

Die detailreiche Darstellung dieses Lebens verschränkt Olechowski souverän mit der Entwicklung des wissenschaftlichen Werks von Kelsen, der 47 Jahre nach seinem Tod endlich jene Biografie erhielt, die seiner Bedeutung vollends gerecht wird. (tasch, 7.9.2020)