Marcel Haraszti, Vorstand der Rewe International AG, schreibt in seinem Gastbeitrag über die Chancen des stationären Handels und über die Online-Konkurrenz.

Zuerst war der Onlinehandel, dann kam die Covid-19-Krise. Beides ist eine große Herausforderung für den (stationären) österreichischen Einzelhandel. Für den ganzen Einzelhandel? Ja, für den ganzen Einzelhandel – egal ob kleine lokale Modeboutique oder großer nationaler Lebensmittelhändler. Ja, Herausforderungen und Betroffenheit sind völlig unterschiedlich – online Schuhe zu kaufen ist schon Usus, online Lebensmittel einzukaufen schon weniger verbreitet, die einen mussten während des Lockdowns zusperren und haben auch weiterhin große Schwierigkeiten zu überleben, die anderen machten (mehr) Umsatz und mussten ihren Lieferanten, der Logistik und den Mitarbeitern nahezu Übermenschliches abverlangen, um die Versorgung in gewohnter Qualität aufrechterhalten zu können, sowie intensiv in Schutzmaßnahmen und Ähnliches investieren.

Soll, was online geht, auch im stationären Handel möglich sein? Nämlich sich ganz an den Bedürfnissen und am Lebensstil der Kundschaft auszurichten?
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Eines ist aber beiden gemeinsam – nach der Krise wird Online noch stärker werden und stationärer Handel noch schwieriger. Spätestens jetzt müsste es daher zu einer Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich, insbesondere des Öffnungszeitengesetzes, kommen. Einer Reform, die Rahmenbedingungen dahingehend erleichtert, dass Händler sich flexibel auf ihre Kundinnen und Kunden einstellen können. Kein anderes Land in Europa geht damit so restriktiv um wie Österreich.

Es geht nicht um den Sonntag

Und um das gleich an dieser Stelle klarzustellen: Hier geht es nicht um die Debatte über die Sonntagsöffnung, sondern um einen flexiblen Rahmen während der Woche, der allen Händlern erlaubt, dann offen zu haben, wenn die Kunden einkaufen wollen und es von ihrem Tagesablauf und Lebensstil her auch können. Und das ist durchaus individuell und lokal unterschiedlich.

Warum also wird das nicht diskutiert? Warum tut sich die Interessenvertretung des Handels gar so schwer damit, dies zu fordern oder auch nur offen auf den Tisch zu bringen und zu diskutieren? Das ist schnell erklärt. Altgediente – auch durchaus sehr verdiente – Kommerzialräte und andere Funktionäre versuchen nach bestem Wissen und Gewissen die Händler vor dem Onlinehandel im Allgemeinen und den großen Ketten im Speziellen zu schützen. Mit althergebrachten protektionistischen Methoden wie der blinden Beibehaltung des ältesten Öffnungszeitengesetzes Europas und der fundamentalen Verweigerung von etwaigen zeitgemäßen Reformen dieses alten Gesetzes. Mit dem Argument, die Kleinen vor den Großen schützen zu müssen.

Das ist löblich, geht aber an der heutigen Lebensrealität der Kunden und der Realität des zeitgemäßen Wirtschaftens völlig vorbei: Kleine Geißlein, wie private kleine Händler, vor den großen Geißen, wie den Ketten, zu schützen ist fast bemerkenswert naiv. Weil sich am Ende der große böse Online-Wolf besonders freuen und alle fressen wird.

Natürlich kann das Klagen über die bösen Onlinehändler und deren Aktivitäten einem helfen, von den eigenen Schwächen abzulenken, aber Protektionismus prolongiert nur die Galgenfrist. In Wahrheit müssen sich die praxisfernen Funktionäre die Frage stellen, warum Amazon und Co so erfolgreich bei den Kunden sind. Die Antwort ist simpel: weil sie im wahrsten Sinne des Wortes kundenfreundlich und kundenorientiert sind – weil sie dann offen haben, wenn die Kunden einkaufen wollen, und sich durch und durch nach deren Bedürfnissen und deren Lebensstil ausrichten können. Weil sie es ihren Kunden einfach machen (können).

Paradies für Onlinegiganten

Österreich ist für diese Onlinegiganten ein Paradies, mit Interessenvertretern, die in Wahrheit ihre unfreiwilligen Advokaten sind und aufgrund gänzlichen Reformunwillens Tür und Tor für ihren ungleichen Kampf gegen den stationären Handel öffnen. Vielleicht fürchten sie sich aber auch vor dem neuen Wettbewerb mit neuen, innovativen, fleißigen, kleinen Händlern und Kioskbetreibern, die wie in Paris und London erfolgreich die Spät- und Wochenendkunden abholen. Oder vor einer Konjunkturbelebung und neuen Arbeitsplätzen, denn das ist es, was flexible Öffnungszeiten nachweislich (siehe unsere Nachbarländer) bringen. Allein Billa würde mit nur um vier Stunden längeren Öffnungszeiten pro Woche insgesamt rund 500 neue Arbeitsplätze schaffen – versprochen und belegt. Der Einzelhandel ist eine wesentliche Säule unseres Wirtschaftssystems – egal ob groß oder klein. Die innovativen, unternehmerischen, findigen Händler von morgen müssen wettbewerbsfähig für die Zukunft gemacht werden, nicht beschützt, sondern unterstützt mit Rahmenbedingungen, die Kundenfreundlichkeit mehr sein lassen als eine leere Marketingworthülse.

Der stationäre Handel hat die besten Chancen, wieder in einen Aufwärtstrend zu kommen. Solange er nicht ausgebremst bleibt. (Marcel Haraszti, 3.9.2020)