Bei der U6-Station Josefstädter Straße wurde in der Vergangenheit hoher Handlungsbedarf gesehen.

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Vor gut einem Jahr präsentierte Ewald Lochner, der Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, ein neues System des Monitorings von vierzig größeren Verkehrsknotenpunkten und ihrer Umgebung. Anhand eines Punkteschemas wurden die Stationen und ihre angrenzenden Flächen auf ihre "soziale Verträglichkeit" hin analysiert, wie es damals hieß. Dabei kam etwa heraus, dass der Praterstern sowie die U6-Stationen Josefstädter Straße, Gumpendorfer Straße und der Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf auf einer insgesamt vierteiligen Skala in die rote, also oberste Kategorie mit "hohem Handlungsbedarf" fallen.

Bereits in den letzten Monaten habe man auf die Probleme reagiert, hieß es: Bei der Gumpendorfer Straße wurde etwa, nachdem dort auch vermehrt Handelstätigkeiten mit illegalen Substanzen festgestellt wurden, die Polizeipräsenz "massiv erhöht", betonte Lochner.

Am Mittwoch präsentierte Lochner jedoch ein Maßnahmenpaket, das in größerem Umfang auf die im Sommer 2019 vorgelegte Analyse antworten soll. Vier Millionen Euro zusätzlich nimmt die Stadt Wien dafür in die Hand. Gewöhnlich werden einer groben Schätzung der Suchthilfe zufolge etwa zwölf Millionen Euro jährlich im niederschwelligen Bereich ausgegeben.

Mehr Konsum im Privaten

Das Ziel der Maßnahmen sei nicht nur, damit suchtkranke Personen zu erreichen, sondern durch bessere Versorgung auch ein besseres Nebeneinander aller im öffentlichen Raum zu ermöglichen, hieß es. Die Maßnahmen richten sich vor allem an drei Zielgruppen: Konsumenten sogenannter Freizeitdrogen, Alkoholkranke und Opiatabhängige.

All diese Maßnahmen seien schon länger geplant gewesen und stellten keine explizite Reaktion auf etwaige Herausforderungen dar, die durch die Corona-Krise entstanden sind. Eine Angebotsneuerung trifft sich nun aber trotzdem mit einer Entwicklung, die laut der Wiener Suchthilfe während der Corona-Krise beobachtbar gewesen sei: Durch das Fehlen von Clubs und Partys gebe es einen verstärkten Trend zum Konsum von sogenannten Freizeitdrogen, zumeist Amphetaminen, in privaten, kleineren Kreisen. Häufig würden die Substanzen über das Darknet bestellt, berichtet Lochner.

Für diese Zielgruppe wird das Angebot des "Drug-Checkings" erweitert. Das ist nun nicht mehr, wie bisher, in der "Check it"-Homebase in der Gumpendorfer Straße möglich, sondern auch in ausgewählten Apotheken. Dafür muss die Substanzprobe zuerst online angemeldet werden. Nach adäquater Verpackung kann die Probe in zwei Apotheken im 12. und 9. Bezirk abgegeben werden. Das Analyseergebnis kann man mittels QR-Code online oder telefonisch abfragen. Eine genaue Anleitung für das Prozedere findet man auf der Website von "Check it."

Nebeneinander im öffentlichen Raum

Der Großteil der Maßnahmen bezieht sich jedoch auf den öffentlichen Raum. So soll die soziale Arbeit in dem Bereich merklich aufgestockt werden, und zwar um 15 Vollzeitstellen. Derzeit sind in dem Bereich zwischen 40 und 50 Personen tätig, hieß es. Damit will man vor allem eine Zielgruppe besser erreichen: die in etwa 500 Alkoholkranken, die sich dauerhaft im öffentlichen Raum aufhalten. Unterwegs werden die Sozialarbeiter vor allem an der Gumpendorfer Straße, in der Mariahilfer Straße, am Margaretengürtel, am Franz-Jonas-Platz, am Reumannplatz, am Keplerplatz und beim Westbahnhof sein.

In Zusammenarbeit mit der Wohnungslosenhilfe sollen künftig auch Ärztinnen, Pfleger und Sozialarbeiter in Teams in fünf ausgewählte Tageszentren und Quartiere kommen, um so die Gesundheitsversorgung zielgruppenadäquat auszuweiten. Wird das gut angenommen, soll das weiter ausgebaut werden.

Insgesamt sei es – unter anderem aufgrund von Lokalschließungen und eingeschränkter Sozialkontakte – seit der Corona-Krise zu einem Rückgang im Alkoholkonsum gekommen, sagte Lochner. Diejenigen, die schon zuvor ein problematisches Konsumverhalten aufwiesen, hätten jedoch mehr konsumiert. Zudem gebe es mehr Rückfälle. Man erkenne zwar einen Trend, konkrete Zahlen gebe es dazu aber noch nicht, hieß es. Insgesamt leben laut Lochner zwischen 75.000 und 150.000 Menschen mit einer Alkoholerkrankung in Wien. Nur ein kleiner Bruchteil davon lebt auf der Straße.

Mehr Sozialarbeit in der Nacht

Die soziale Arbeit soll zudem speziell in der Nacht verstärkt werden. So will man auch jene, zu denen man bisher noch keinen Kontakt aufbauen konnte und die Drogen – zumeist Heroin – intravenös und im öffentlichen Raum konsumieren, besser erreichen bzw. "in Behandlung bringen." Etwa 6.500 Personen befinden sich derzeit in Wien in Substitutionsprogrammen.

Ausgebaut werden soll zudem das Angebot, gebrauchte Spritzen in Apotheken gegen saubere tauschen zu können. Seit Anfang dieses Jahres ist das außer in Einrichtungen der Wiener Suchthilfe in zwei Apotheken möglich, längerfristig soll es das Angebot in fünf Apotheken geben. 2018 wurden – noch vor dem Apothekenangebot – über drei Millionen Spritzen im Jedmayer, einer Einrichtung der Wiener Suchthilfe, ausgewechselt.

Doch die Maßnahmen sollen nicht unbedingt immer darauf abzielen, dass sich Suchtkranke aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Bis zu einem gewissen Grad gehöre die Sichtbarkeit in einer Großstadt dazu, sagt Lochner. Am Franz-Jonas-Platz wurde in den letzten Monaten zum Beispiel die soziale Arbeit verstärkt. Derzeit gestalte sich die Situation so, dass sich dort circa 15 alkoholkranke Menschen dauerhaft aufhalten, diese seien jedoch alle wohnversorgt. Auch sie hätten das Recht auf öffentlichen Raum, lautet der Tenor.

Trotzdem gelte es, in der Gestaltung von öffentlichen Plätzen die Problematik bereits vorab mitzudenken, sagt Lochner: etwa, indem umfassendere Sitz- oder Liegeflächen, die zum Aufenthalt größerer Gruppen einladen, vermieden werden. Das gelte auch für den Neubau der U5-Stationen. (Vanessa Gaigg, 2.9.2020)