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Zum ersten Mal besuchte Emmanuel Macron (links) am Mittwoch Bagdad.

Foto: Reuters / Thaier Al-Sudani

Auf Twitter erinnern die Sarkastiker schon an Napoleons Ägyptenfeldzug von 1798. Auch wenn der Vergleich zu hoch gegriffen ist: Emmanuel Macron beeindruckt mit seinem fast schon frenetischen Aktivismus in der Levante. Nach der mörderischen Explosion in Beirut von Anfang August hat der französische Präsident dem Libanon schon zwei Besuche abgestattet – und am Mittwoch reiste er gleich noch in die irakische Hauptstadt Bagdad weiter. Gegen die türkische Erdgassuche organisiert er Flottenmanöver, in Syrien beschäftigt er Agenten, und mit dem ägyptischen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi zimmert er an einer "strategischen Partnerschaft" – namentlich zur Unterstützung des libyschen Warlords Khalifa Haftar.

Am auffälligsten ist Macrons Einsatz für den Libanon, als dessen "zärtliche Mutter" sich die ehemalige Kolonialmacht Frankreich fühlt. Wenn der Zedernstaat diese Woche sein hundertjähriges Bestehen feiern kann, dann nur, weil Frankreich 1920 mithilfe von Jesuiten den maronitischen "Grand Liban" entworfen hat. Noch heute wohnen dort 22.000 Franzosen und viel mehr Doppelbürger. Nicht zu vergessen: Macron ist im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 doch bereits einmal nach Beirut gejettet – laut dem Libanon-Experten Alex Issa zu wahlpolitischen Zwecken.

Orden für Sängerin

Dieses Motiv schwingt auch im beginnenden Wahlkampf in Frankreich mit. Vor den Kameras verlieh Macron in Beirut der populären Sängerin Fairouz den Orden der Ehrenlegion und diskutierte mit Demonstranten über den unabhängigen Kandidaten Nawaf Salam. Im Hintergrund wirkte der Franzose allerdings auf die Nominierung eines Premierministers ein, der aus der verhassten Politikerklasse stammt.

In Frankreich findet Macron mit seiner emotionsgeladenen "Bruderhilfe", wie er sagte, breiten Zuspruch. Nur Linkenchef Jean-Luc Mélenchon und der Grünen-Sekretär Julien Bayou warfen Macron unisono vor, er halte den Libanon offenbar weiter für ein "französisches Protektorat". Etwas differenzierter meint der frühere konservative Außenhandels- und Europaminister Pierre Lellouche, Macron verkenne die Machtverhältnisse im Libanon: "Frankreich hat den Lokalmächten Iran, Saudi-Arabien, Türkei und Israel zu wenig entgegenzusetzen." Keiner dieser Staaten sei bereit, dem Pufferstaat Libanon eine wirkliche Neutralität zu gewähren.

Kritik an "Selbstisolierung"

Lellouche hält Macron auch vor, er betreibe die Militäroperation im Sahelstaat Mali gegen Jihad-Gruppen faktisch im Alleingang. Ebenso isoliert bleibe er in der EU, wenn er in Libyen Haftar gegen das von der Uno anerkannte Regime in Tripoli unterstütze.

Nach drei Jahren im Élyséepalast zeigt sich in der Tat, dass der Reformer Macron die Realpolitik seiner Vorgänger weiterführt, ja noch verstärkt: Nähe zu Ägypten und Saudi-Arabien, Ambivalenz zum Russland Wladimir Putins, Paternalismus von Mali bis Libanon. Die Absprache mit europäischen Partnern ist nicht seine erste Sorge, obwohl er gerne einer "europäischen Souveränität" das Wort redet. Das hat sich schon in der Nato-Debatte gezeigt: Macron ist von seinem Naturell her noch weniger als seine Vorgänger bereit, westliche Solidarität zu pflegen oder schlicht auf andere zu hören. Offensichtlich glaubt er, in die diplomatische Lücke springen zu können, welche die mit sich selbst beschäftigten USA und Großbritannien an etlichen internationalen Brandherden offenlassen.

Harter Kurs gegen Ankara

Ausgeprägter noch als im Libanon oder in Libyen ist Macrons Vorpreschen gegenüber Ankara. Nur Griechenland, dem sich die Franzosen ähnlich nahe fühlen wie dem Libanon, wurde wirklich eingeweiht. Mit Berlin oder Brüssel hielt Macron keine Rücksprache, als er eine Fregatte und zwei Rafale-Kampfjets ins östliche Mittelmeer entsandte, um die türkischen Ambitionen zu stoppen.

Deutschland und die USA haben allerdings kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit dem Nato-Mitglied Türkei. Macrons Drohgebärde gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verpufft daher. An sich hätten die Franzosen und die Griechen durchaus Argumente: Ankara hält sich nicht an die Seerechtskonvention der Uno. Doch ohne das Mittun westlicher Großmächte bringt Frankreich nicht genug Gewicht auf, um Erdoğan in die Schranken zu weisen.

In Paris, so wird immer klarer, mag Macron verfassungsbedingt allein regieren – aber nicht auf der Weltbühne. (ANALYSE: Stefan Brändle aus Paris, 3.9.2020)