Seit Monaten müssen Pendler jeden Tag eine Grenze innerhalb desselben Landes passieren. Die Bundesregierung protestiert, doch die Maßnahme ist beliebt.

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Perth ist die abgelegenste Großstadt der Welt. Was mancher im "Guinness-Buch der Rekorde" über die Hauptstadt Westaustraliens gelernt hat, hatte bisher rein geografischen Wert: Rund um die Metropole ist eben außer Busch, Outback, Indischem Ozean und einigen Rohstoffminen wenig Nennenswertes zu finden. Mit der Welt verbunden war die kosmopolitische Zweimillionenstadt aber immer, vor allem der Flugverkehr stellte das sicher. Dieser Tage ist es anders: Seit April sind die Grenzen des Bundesstaates für alle Einreisen geschlossen – aus aller Welt, aber auch aus dem Rest Australiens. Und das soll, so die Regionalregierung, bis mindestens 2021 so bleiben.

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Westaustralien ist zwar der extremste, aber bei weitem nicht der einzige Fall neuer interner Grenzen in Down Under. Fast alle Bundesstaaten kontrollieren angesichts der Corona-Pandemie ihre Grenzen zu anderen Teilen des Landes streng. South Australia, New South Wales (NSW) und Tasmanien etwa verbieten Menschen aus Victoria die Einreise, dessen Hauptstadt Melbourne von der Pandemie stark getroffen ist. Queensland tut dasselbe, weist aber zudem Reisende aus NSW an der Grenze zurück. Das alles geschieht sehr zum Ärger vieler Wirtschaftstreibender, Touristiker, die zumindest auf Inlandsgäste hoffen – und von Premier Scott Morrison.

"Nicht dafür geschaffen"

Morrison hält dieser Tage in immer bestimmterem Ton Pressekonferenzen, in denen er Lösungen fordert, die mit der Einheit des Landes besser vereinbar seien. "Australien ist nicht dafür geschaffen, interne Grenzen zu haben", sagte der mit knapper Mehrheit regierende Konservative vergangene Woche. Er verweist auf die Not von Pendlerinnen und Pendlern, für die es manchmal keine Ausnahmegenehmigungen und meist lange Wartezeiten gibt.

Zuletzt nahm seine Regierung auch prominent zum Fall einer Schwangeren aus Ballina im Norden von New South Wales Stellung, die für die Geburt von Zwillingen ins 180 Kilometer entfernte Brisbane, Queensland, fahren wollte, an der Grenze aber abgewiesen wurde. Als die Frau 16 Stunden später per Flug in Sydney, NSW, landete, war einer ihrer Zwillinge nur noch tot auf die Welt zu bringen.

Doch trotz solcher Fälle sind die harten Grenzen bei vielen Australierinnen und Australiern laut Umfragen weiter sehr beliebt, was dafür spricht, dass sie bleiben. Denn in mehreren Bundesstaaten stehen bald Wahlen an. Darunter sind auch Queensland und Westaustralien, die von der oppositionellen Labor-Partei geführt werden. Mark McGowan, der Regierungschef in Perth, lag bei einer Umfrage im Mai bei 89 Prozent Zustimmung, so viel, dass er schon als Premierkandidat gehandelt wird. Kein Wunder, dass auch die Sozialdemokraten in der Bundeshauptstadt Canberra sich vehement dafür aussprechen, den Staaten weiter das Recht auf Grenzkontrollen zu ermöglichen.

Die Grenzbegeisterung baut zum Teil auf einem Bild auf, das Australiens Regierung seit Jahrzehnten kultiviert: Wer in das Land einreist, bekommt schon im Flugzeug zu hören, welche Pflanzen, Gemüse und Hölzer zum Schutz der australischen Flora nicht eingeführt werden dürfen, wie genau der Zoll hinschaut und wie hoch die Strafen sind. Australien verbindet Grenzen wie kaum ein anderes Land mit Schutz – auch vor biologischen Gefahren wie nun dem Coronavirus. Selbst zwischen den Bundesstaaten gab es schon bisher Quarantäneregeln für die Einfuhr organischer Materialien – wenn sie auch bei Reisenden selten kontrolliert wurden.

Kaum Infektionen

Konservative Premiers wie Morrison haben auch stets auf die härtestmögliche Linie gegen illegale Einreisen gesetzt und schreckten vor dem Bruch von Menschenrechten nicht zurück. Das hat den Eindruck, dass über die Grenze oft Gefahr kommt, noch verstärkt.

Dazu kommt allerdings auch: Im Kampf gegen die Pandemie bewähren sich die Maßnahmen. Fünf aktive Corona-Fälle gab es zuletzt in Westaustralien, lokale Ansteckungen wurden schon lang nicht mehr gemeldet. Infektionsmedizinisch gilt das Virus so als ausgerottet. Auch im Inselbundesstaat Tasmanien lag die Zahl der Neuansteckungen am Mittwoch bei null, in Queensland bei zwei.

Die Regierung arbeitet dennoch daran, die Bundesstaaten zumindest von national einheitlichen Regeln dafür zu überzeugen, wann ein Gebiet als Hotspot gilt, gegen den man sich abschirmen muss. Denn vielerorts gibt es Fortschritte. Sogar Melbourne, wohin Rückreisende das Virus nach einer ersten Eindämmung im Juli wieder einschleppten, meldet positive Zahlen. Insgesamt liegt Australien mit seinen 25 Millionen Einwohnern nun bei 25.923 Corona-Fällen, zuletzt am Mittwoch waren es 73 neue. Zahlen, bei denen anderswo schon viel "Licht am Ende des Tunnels" gesehen würde. (Manuel Escher, 3.9.2020)