Dieses Wochenende eröffnet ein neuer "Tatort" aus Österreich mit Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser die erste Sonntagskrimisaison nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Den Dreharbeiten für neue Folgen im Frühjahr setzte der Lockdown ein vorläufiges Ende.

Die aktuelle Folge "Pumpen" über Sozialbetrug, verbotene Substanzen und Kraftmeierei war da schon längst fertig, korrigiert Harald Krassnitzer gleich zum Einstieg ins STANDARD-Interview. Aber auch die nächsten, unter dem Eindruck von Covid-19 ungleich mühsamer abgedrehten Folgen werden keine Anspielungen auf das Virus enthalten. "Das wäre nicht unser Genre", klärt Krassnitzer die Positionierung des "Tatort".

Kommende Woche wird Krassnitzer 60, seit 21 Jahren spielt er den österreichisch-brummigen Kommissar Moritz Eisner. Ans Aufhören denkt er nicht, für zwei weitere Jahre gebe es jedenfalls schon konkrete Pläne. Und fragt man ihn nach einem Wunschnachfolger, wird er fast ein bisserl grantig.

Eigentlich war er das an dem Punkt des STANDARD-Interviews schon. Kurz zuvor ging es um kolportierte Gespräche und Überlegungen vor Corona, dass die "Tatort"-Gagen eines der bestbezahlten Fernsehschauspieler des Landes schon längere Zeit nicht valorisiert wurden. Nach STANDARD-Informationen soll es um Größenordnungen von jenseits 70.000 Euro pro Folge gehen. Ebenfalls kolportierte 5000 Euro pro Drehtag verneint Krassnitzers Agentin auf Anfrage als zu hoch.

Krassnitzer winkt im STANDARD-Gespräch jedenfalls ab: Nein, es habe solche Gespräche nicht gegeben, und er habe auch nicht mit dem Aufhören zum 60er kokettiert, schon gar nicht in dem Zusammenhang.

Ruhig, nachdenklich und weit weniger erregungsfreudig als früher einmal bleibt Krassnitzer wie zuvor bei den größeren Themen wie Corona und dessen Wirkung auf die Menschen, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Kultur und die Politik auch auf diese letzten Fragen im STANDARD-Interview.

"Mein Antrieb ist in der Regel etwas anderes: neugierig sein. Das ist, was mich reizt": So erklärt Harald Krassnitzer, warum er nicht ans Aufhören beim "Tatort" denkt.
Foto: ORF/Allegro Film/Hubert Mican

STANDARD: Sie haben inzwischen "Tatort"-Drehs unter Corona-Bedingungen hinter sich. Wird es da Bezüge zur Pandemie geben, oder will man den Zeitstempel "Corona-Phase" für "Tatort"-Folgen vermeiden – mit Blick auf künftige Wiederholungen und Streaming?

Krassnitzer: Nein, dann hätte es tatsächlich einen Zeitstempel. Man weiß ja nicht, wie lange das dauert. Das wäre auch nicht unser Genre, glaube ich.

STANDARD: Unter Corona-Bedingungen wird mit aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen gedreht. Dennoch sind die Dreharbeiten für den "Tatort", wenn ich richtig höre, mit 21 Drehtagen im bisherigen Zeitrahmen geblieben.

Krassnitzer: Das sind schon andere Herausforderungen, vor allem für die Produktion. Sie muss gewährleisten, dass Leute in der Kernzone 1, die im Wesentlichen das Team betreffen, zweimal in der Woche getestet werden. Alle außerhalb der Kernzone werden einmal pro Woche getestet. Das ist logistisch und finanziell eine große Herausforderung für die Produzenten. Und für uns ist es eine emotionale Herausforderung.

STANDARD: Inwiefern?

Krassnitzer: Man weiß, dass man in der Drehzeit keine großen Sozialkontakte pflegen kann und will. Man hat ein hohes Bewusstsein dafür, dass man jetzt wenigstens arbeiten kann. Das ist schon ein ganz wesentlicher Punkt. Man merkt mit der Zeit eine Belastung. Vieles, was selbstverständlich war, geht nicht in der Form. Du kannst und darfst nicht begrüßen, wie du es gerne tätest, wenn du Leute am Set triffst, die du lange nicht gesehen hast. Mit denen du Freundschaften pflegst. Da ist auf beiden Seiten eine Disziplin und Vorsicht spürbar. Das ist manchmal schwierig.

STANDARD: Kulturschaffende sahen sich in den ersten Wochen und Monaten des Corona-Lockdowns von der Regierung im Stich gelassen, es gab heftige Proteste. Wie sehen Sie heute den Umgang der österreichischen Politik mit dem Bereich?

Krassnitzer: Wir haben eine außergewöhnliche Situation, die erfordert neue Maßnahmen. Es ist richtig, dass das am Anfang geholpert und gestolpert ist, da gab es ja auch Proteste und den Rücktritt der Kulturstaatssekretärin. Wesentlich ist, dass das dann gelungen ist, es gibt inzwischen die Bemühungen. Dass man damit nie zufrieden ist und dass es in manchen Bereichen weiter schwierig ist, das ist vollkommen klar. Man sieht ein anderes Bemühen, ein anderes gemeinsames Bewusstsein. Ich habe das Gefühl, dass sich das um einige Schritte verbessert hat. Das kann man vielleicht da und dort noch nachjustieren.

STANDARD: Ein unerwartet positiver Befund zur österreichischen Politik.

Krassnitzer: Ich sehe eher die Gesamtheit: Was machen Gastronomiebetriebe und viele andere Unternehmen in dem Land, denen es wahrscheinlich noch schlechter geht? Was wird in den nächsten Wochen und Monaten passieren mit vielen kleinen und mittleren Geschäften? Wenn ich in Wien bin, ist spürbar, dass viele kleine Geschäfte plötzlich geschlossen sind und nicht mehr da sind. Wir werden da schon noch eine Veränderung spüren. Im Verhältnis zu vielen anderen Leuten, die in Kurzarbeit sind und über denen das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit schwebt, steht es mir nicht an, Erregungspotenzial aufzubringen.

STANDARD: Klingt fast ein bisschen altersmilde. Ich habe Sie schon aufgeregter erlebt.

Krassnitzer: Das war durchaus im jugendlichen Leichtsinn gerechtfertigt. Ich habe mich in den letzten Jahren aus dieser Form der Erregungskultur eher zurückgezogen. Ich merke, dass das Dinge nicht wirklich verändert. Für mich habe ich bemerkt, dass es etwas einseitig war, dass man Dinge auch komplexer betrachten muss. Die öffentlichen Erregungspotenziale verändern nicht wirklich viel. Manchmal sind sie wichtig, um einen Punkt aufzuzeigen. Aber verändern können sie oft nur marginal.

STANDARD: Was machen Corona und Lockdown, dieser gesellschaftliche Rückzug, mit Harald Krassnitzer?

Krassnitzer: Ich merke, dass ich verunsichert bin. Es gibt Momente, wo ich Menschen nicht umarme. Wo ich mich frage: Woher kommt der jetzt eigentlich? War das richtig oder nicht? Hab ich mich anständig verhalten? Empfindet mein Gegenüber das als Zurückweisung? Das zieht sich bis in die Familie. Plötzlich redet man mit älteren Menschen, und es kommen Kriegsgeschichten zum Vorschein. Man fragt sich: Was hat das damit zu tun – und erkennt Triggerpunkte, um alte Traumata aufkommen zu lassen. Das hat mich sehr beschäftigt. Das ist fast wie eine Bestandsaufnahme, Antonio Gramsci nannte das ein Interregnum. Es geht offensichtlich etwas zu Ende, und das Neue ist noch nicht definiert. Und dafür gibt es wahrscheinlich noch keine Sprache und keinen Horizont. Wir wissen noch nicht, wohin die Reise geht. Wir können uns situationsbedingt nur von Punkt zu Punkt hanteln.

STANDARD: Sie haben sich für das Klimavolksbegehren engagiert und für Fridays for Future. Nun hat Sie ein norddeutsches Portal in einem Interview zitiert, Sie wollten sich künftig "sinnvoll für diese Gesellschaft einbringen" und "alles dafür zu tun, dass auch die nächste und die übernächste Generation ein Leben führen kann, wie ich es genießen durfte: in Freiheit und ohne Angst vor dem Weltuntergang". Wie wollen Sie das denn tun?

Krassnitzer: Wo haben Sie das gelesen? Das klingt sehr dramatisch.

STANDARD: In einem Interview auf "Nordbuzz.de", erschienen am 28. August.

Krassnitzer: Ich finde einen Punkt in dieser ganzen Auseinandersetzung sehr spannend. Die EU hat ein großes Budget aufgebracht, um einerseits die Pandemiekrise zu bewältigen, gleichzeitig aber aufzubrechen in den Paradigmen und Transformationsprozess, Digitalisierung und Klimaschutz und anderen Faktoren in dem Kontext. Da wird jemand, der demnächst angeblich 60 wird, dazu keinen großen Beitrag mehr leisten. Die heute jungen Menschen, die einmal diese Last tragen und all das zurückzahlen müssen, werden für meine Begriffe zu wenig und manchmal auch gar nicht in diese Prozesse eingebunden. Ich bin sehr gespannt, wie das Parlament das Klimavolksbegehren behandelt und welche Schlüsse man daraus zieht. Ich habe eine unglaubliche Zahl von tollen, gescheiten jungen Menschen kennengelernt. Ich frage mich, warum die nicht längst in den politischen Prozess eingebunden sind und nur als Zaungäste behandelt werden, manchmal vielleicht auch belächelt. Mein demokratisches Verständnis wäre, sie viel stärker an demokratische Entscheidungsprozesse heranzuführen. Wir verhandelt jetzt gerade eine Zukunft, die diese Generation betrifft. Es wäre spannend, mit ihnen einen Dialog zu beginnen, der eine andere Diskussionsgrundlage bietet.

STANDARD: Zum Schluss noch einmal zurück an den "Tatort": Wann geht denn ein "Tatort"-Kommissar in Pension? Sie ermitteln schon 21 Jahre, werden am 10. September 60.

Krassnitzer: Ich habe mit Zahlen nie wirklich was anfangen können, das hat mich nie wirklich interessiert. Mein Antrieb ist in der Regel etwas anderes: neugierig sein. Das ist, was mich reizt. Es hat mir in meinem Leben immer ein hohes Vergnügen bereitet, etwas dazulernen zu können. Das steht in keinem Kontext mit Zahlen. Das hat etwas mit Hinschauen und dem Wissen zu tun, dass man vieles noch nicht weiß und etwas Neues erfahren kann. Insofern habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht.

STANDARD: Ich frage deshalb, weil ich – noch vor dem Corona-Lockdown – gehört habe, Sie hätten mit Hinweis auf Ihren 60er mit dem Aufhören kokettiert – und mit dem Verweis darauf, dass ja Ihre Gage schon lange nicht erhöht wurde.

Krassnitzer: Das gab es nicht. Ich weiß nicht, mit wem Sie da geredet haben.

STANDARD: In einem der aktuellen Interviews sagten Sie: Die nächsten zwei Jahre "Tatort" seien jedenfalls geplant, und es gebe noch viel zu erzählen in dem Format.

Krassnitzer: Zumindest sind die Gespräche so. Ich gehe davon aus, dass diese Kontakte und Gespräche ernst gemeint sind.

STANDARD: Und wenn Sie doch einmal aufhören würden: Haben Sie einen Wunschnachfolger?

Krassnitzer: Nein, ich bin ja nicht der Iffland-Ring. Ich werde einen Teufel tun, irgendwelche Nachfolger zu nennen. Ehrlich gesagt: Ich habe für solche Gedankenspiele auch keine Zeit. Das ist weit weg aus meinem Thema. (Harald Fidler, 5.9.2020)