Links die Rekonstruktion des Dreifachsternsystems GW Orionis mit seinen verzerrten Materiescheiben. Rechts die Aufnahme des SPHERE-Instruments des Very Large Telescope.
Illustr./Foto: ESO/L. Calçada, Exeter/Kraus et al.

Unser Planetensystem besteht aus vier Felsplaneten in der inneren Zone, zwei riesigen Gasplaneten, zwei sogenannten Eisriesen weiter draußen sowie einer großen Zahl an Kleinplaneten und Asteroiden. Dass es sich dabei keineswegs um ein typisches planetares Ensemble handelt, wurde spätestens klar, als Astronomen seit Mitte der 1990er-Jahre mehr und mehr Exoplanetensysteme in unserer Milchstraße entdeckten. Der Katalog der Nasa umfasst mittlerweile 3.112 planetare Systeme (Stand 2. September 2020), und ein großer Teil davon nimmt sich reichlich exotisch aus im Vergleich zu unserem eigenen.

So umkreisen etwa Merkur bis Neptun in der mehr oder weniger selben Ebene das Schwerkraftzentrum unseres Sonnensystems, und man könnte meinen, dass das eine charakteristische Eigenschaft von planetaren Systemen ist – Auf viele mag das tatsächlich zutreffen, aber bei weitem nicht auf alle.

Das junge System GW Orionis beispielsweise in 1.300 Lichtjahren Entfernung besteht aus drei einander umkreisenden Sternen und einer deformierten, ja, regelrecht zerrissenen zirkumpolaren Materiescheibe ringsherum, der Geburtsstätte künftiger Planeten. Das Rätsel hinter dieser merkwürdigen Konstellation und die Frage, nach welchen architektonischen Regeln Mehrsternsysteme mit Planetenbegleitung gestaltet sind, haben nun Astronomen anhand von GW Orionis entschlüsselt.

Die ALMA-Bilder zeigen unterschiedlich orientierte zirkumstellare Scheiben um die drei Sterne des Systems GW Orionis.
Foto: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), S. Kraus & J. Bi; NRAO/AUI/NSF, S. Dagnello

Planetenbabys, die aus der Reihe tanzen

Sterne werden in Molekülwolken aus Gas und Staub geboren, häufig paarweise oder als Drillinge. Diese jungen Sterne sind von einer rotierenden Scheibe aus Materialresten umgeben, die sich an einigen markanten Punkten schließlich zu Babyplaneten zusammenballen. Die Struktur dieser Scheiben bestimmt letztlich auch die Verteilung und die Bahnen der Planeten innerhalb der Systeme – aber wie das genau vor sich geht und welche Faktoren bei diesen teilweise chaotisch anmutenden Prozessen eine Rolle spielen, dazu gab es bisher allenfalls Hypothesen. Ein Team um Stefan Kraus von der University of Exeter im Südwesten Englands fand kürzlich die ersten direkten Beweise dafür, dass die theoretischen Vorhersagen stimmen könnten.

Die Wissenschafter beobachteten das GW Orionis-Dreifachsternsystem über einen Zeitraum von elf Jahren hinweg mit dem SPHERE-Instrument des Very Large Telescope (VLT) und dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) der Europäischen Südsternwarte (ESO). "Unsere Bilder zeigen einen Extremfall, bei dem die zirkumstellare Scheibe überhaupt nicht flach, sondern vielmehr völlig verdreht ist und sogar einen gänzlich anders ausgerichteten Ring aufweist, der sich von der restlichen Scheibe gelöst hat", sagt Kraus.


Aufnahmen von den Materiescheiben um GW Orionis bei verschiedenen Wellenlängen: A und B: Wärmestrahlung der Staubpartikel. B und C: Gestreutes nahes Infrarotlicht.
Fotos: Kraus et al., Science(2020)

Schräg drauf

Dieser innere Ring besteht aus Staub im Gesamtausmaß von rund 30 Erdmassen, genug Rohmaterial also um gleich mehrere Planeten daraus zu formen. "Alle Planeten, die innerhalb des gekippten Rings entstehen, umkreisen den Stern auf sehr schrägen Umlaufbahnen", sagt Koautor Alexander Kreplin. Die Forscher konnten zudem zum ersten Mal jenen Schatten erkennen, den dieser Ring auf den Rest der Scheibe wirft. Dies half ihnen dabei, die 3D-Struktur des Rings und der gesamten Scheibe aufzuklären.

"Nicht nur die Planeten, auch die drei Sterne im Zentrum des Systems umkreisen einander nicht in der selben Ebene", sagt Alison Young von den Universitäten Exeter und Leicester, ebenfalls Koautorin der im Fachjournal "Science" veröffentlichten Studie. Da mehr als die Hälfte der Sterne am Himmel mit einem oder mehreren Kompagnons geboren werden, könne man davon ausgehen, dass es dort draußen eine große Zahl bisher unentdeckter Exoplaneten geben dürfte, die ihre Sterne auf stark geneigten Umlaufbahnen umkreisen, so die Wissenschafter.

Die Bilder aus der Simulation gleichen den tatsächlichen Aufnahmen von GW Orionis – für die Forscher Hinweis darauf, dass soe mit ihrem Modell auf dem richtigen Weg sind.
Fotos: Kraus et al., Science(2020)

Drei Sterne zerren an der Wolkenscheibe

Im nächsten Schritt kombinierte dass Team seine umfassenden Teleskopdaten mit Computersimulationen, um besser zu verstehen, wie dieses verdrehte System seine skurrile Form gewonnen hat. Dabei konnten die Wissenschafter ihre Beobachtungen erstmals mit einem theoretischen Phänomen in Einklang bringen, das man in Englischen als "Disk Tearing"-Effekt kennt. Dieser ist demnach eine Folge der unterschiedlich interagierenden Anziehungskräfte der drei Sterne, die die zirkumstellare Scheibe auf verschiedenen Ebenen verzerren oder sogar regelrecht zerreißen können.

Letztlich zeigten die 3D-Modelle, dass die gegeneinander verdrehten Anordnungen der Sternen-Umlaufbahnen dazu führen, dass die Scheibe aus Gas und Staub um sie herum in mehrere Ringe mit unterschiedlichen Orientierungen zerfällt – genau das, was sich mit VLT und ALMA beobachten ließ.

Die Licht- und Schattenverteilung half den Astronomen dabei, die Geometrie des Dreifachsternsystems zu entschlüsseln.
Illustr./ Foto: Kraus et al., Science(2020)

Widerspruch

Ein anders Wissenschafterteam ist nicht ganz einverstanden mit allen Schlüssen, die die Forscher um Kraus aus den Simulationen und Beobachtungen gezogen haben: Der Astronom Jiaqing Bi von der University of Victoria in Kanada und seine Kollegen hatten GW Orionis ebenfalls mit ALMA im Visier und im Mai in den "Astrophysical Journal Letters" darüber berichtet. Die aktuelle Struktur dieses Systems sei ihrer Ansicht nach ohne einen weiteren Bestandteil gar nicht möglich.

"Wir glauben, dass die Anwesenheit eines Planeten zwischen diesen Ringen erforderlich ist, um zu erklären, warum die Scheibe auseinander gerissen ist", sagt Jiaqing Bi. Ob der Forscher damit Recht hat, werden vermutlich erst Beobachtungen mit dem im Bau befindlichen Extremely Large Telescope (ELT) der ESO und anderen zukünftigen Teleskopen zeigen können. (tberg, 4. 9. 2020)