Das Schlachtfeld im Tollensetal hat einmal mehr Einblick in die Zeit vor 3.300 Jahren gewährt.
Foto: Stefan Sauer/Tollense Valley Project

Die sogenannte Lactasepersistenz ist eine ausgesprochen praktische Errungenschaft der Evolution. Menschen, die auch als Erwachsene noch das Verdauungsenzym Lactase in ausreichendem Umfang produzieren, können problemlos Milch und Milchprodukte verdauen. Das Aufspalten des Milchzuckers Laktose erschließt ihnen eine Nahrungsressource, die keineswegs allen offensteht: Während im heutigen Mitteleuropa nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung einen Lactasemangel haben und damit laktoseintolerant sind, kann sich dies in anderen Weltregionen auf bis zu 90 Prozent belaufen.

Evolutionärer Vorteil

Die gängigste Theorie besagt, dass erwachsene Milchtrinker einen evolutionären Vorteil hatten. Milch hätte als energiereiche, unkontaminierte Flüssigkeit in Zeiten von Nahrungsmangel oder verseuchtem Trinkwasser höhere Überlebenschancen geboten. Wer Milch konsumieren konnte, hatte höhere Überlebenschancen – und damit auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, seine Gene weiterzugeben. Auf diese Weise soll sich die Lactasepersistenz in manchen Ethnien bis zu den heutigen Werten ausgebreitet haben.

Wann, warum und wie genau das abgelaufen ist, ist seit langem Gegenstand der Forschung. Ein internationales Team von Wissenschaftern berichtet nun im Fachjournal "Current Biology", dass das Milchtrinken in Mitteleuropa später als gedacht aufgekommen sei. Was gleichzeitig bedeutet, dass es sich bemerkenswert schnell ausgebreitet haben muss.

Bislang wurden die Überreste von etwa 100 Kriegern freigelegt – ein Bruchteil der damals beteiligten Heere.
Foto: Stefan Sauer/Tollense Valley Project

Basis dieser Aussage ist die Untersuchung von Knochen bronzezeitlicher Krieger, die in der Schlacht an der Tollense im Nordosten Deutschlands gefallen waren, vor etwa 3.300 Jahren. Diese Schlacht gilt als der älteste größere Waffengang in der nördlichen Hälfte des Kontinents – auch wenn unbekannt ist, welche Regionalmächte genau da aufeinander prallten.

Dafür verraten die Gebeine der Krieger – insgesamt dürften es einige tausend gewesen sein – so manches über deren Lebensweise. So zeigten DNA-Analysen nun, dass unter den Kriegern nur etwa jeder achte jene Genvariante aufwies, die es ihm ermöglichte, den Milchzucker Laktose zu spalten.

Überraschende Befunde

"Von der heutigen Bevölkerung desselben Gebiets verfügen 90 Prozent über dieses Merkmal", sagte der Erstautor der Studie, Joachim Burger von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dieser Unterschied sei enorm – immerhin liegen nicht mehr als 120 Generationen dazwischen. "Die einzige Möglichkeit, den Unterschied zwischen Bronzezeit und heute zu erklären, ist starke darwinische Selektion", sagt der Biologe Daniel Wegmann von der Universität Freiburg.

Das Forscherteam analysierte überdies das Erbgut in bronzezeitlichen Knochen aus Ost- und Südosteuropa. Auch dort war die Milchverträglichkeit zu dieser Zeit offenbar erst wenig verbreitet. In den Knochen von Individuen aus den osteuropäischen Steppen fehlte die Genvariante für Lactasepersistenz sogar völlig. "Das hat uns sehr erstaunt", sagt Vivian Link von der Uni Neuenburg. Immerhin hätten frühere Studien dort den Ursprung der Milchverträglichkeit bei Erwachsenen vermutet. (red, APA, 4. 9. 2020)