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Getarnt als männlicher Rekrut zieht Mulan (Liu Yifei) anstelle ihres kranken Vaters in den Krieg.

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Ruhig, beherrscht, anmutig, elegant, gelassen, höflich: Was die vermeintlichen Tugenden einer "guten Ehefrau" betrifft, ist die junge Mulan ein Totalausfall. Das Treffen mit der Heiratsvermittlerin verpatzt sie, als sie versucht, eine sich von der Decke abseilende Spinne mit der Teekanne einzufangen, und damit eine chaotische Kettenreaktion in Gang setzt. Dank ihres akrobatischen Könnens gelingt es Mulan (Liu Yifei) zwar, das Geschirr kurzzeitig mit den aus der Turmfrisur gezogenen Haarnadeln aufzufangen, doch am Ende sitzt die Gesellschaft vor einem Scherbenhaufen. "Entehrt" lautet das vernichtende Urteil der Ehestifterin. Beschämt zieht die Mutter mit der zerrupft aussehenden Tochter davon.

Nach Dumbo, Aladdin und Der König der Löwen im vergangenen Jahr ist die Realfilmversion des Zeichentrickfilms von 1998 die neueste Wiederauflage eines Disney-Klassikers. Das 200-Millionen-Dollar-Epos über die große chinesische Kriegsheldin startet freilich unter völlig anderen Voraussetzungen. Mehrfach wurde der ursprünglich für Ende März geplante Kinostart verschoben, bevor sich Disney für die Veröffentlichung über den hauseigenen Streamingdienst Disney+ entschied.

Testlauf für VoD

Die weltweit 60,5 Millionen Abonnenten können den Abenteuerfilm nun für den stattlichen Preis von 21,99 Euro kaufen, ab Anfang Dezember soll er für alle Inhaber eines VoD (Video-on-Demand)-Accounts kostenlos verfügbar sein. Für den Konzern ist dieses Auswertungsmodell womöglich mehr als eine Notlösung in Zeiten der Pandemie. Nicht zuletzt gilt Mulan als ein Testlauf für zukünftige Produkte.

Mit einer komplett herkunftsasiatischen Besetzung verbindet Mulan die kulturellen Ursprünge der Geschichte – eine chinesische Volksballade aus dem fünften Jahrhundert – souverän mit dem glanzpolierten Disney-Stil. Als Regisseurin wurde die Neuseeländerin Niki Caro verpflichtet, die sich mit ihrem in der Maori-Gemeinde spielenden Film Whale Rider bereits als bildgewaltige Erzählerin im Spannungsfeld von Tradition und Emanzipation empfahl.

Getrieben von kämpferischem Ethos

Mit der an die Ahnen gerichteten Erzählerstimme des Vaters schlägt Mulan von Anfang an einen weitaus würdevolleren Ton an als das Original. Die grenzenlose Energie des Lebens selbst spreche durch jede ihrer Bewegungen, heißt es über das Mädchen, das schon als Kind virtuos ein Schwert schwingt und auf tollkühne Weise Hühner über Hausdächer jagt. Der Vater (Tzi Ma) attestiert seiner ältesten Tochter ein starkes Qi – gut für einen Krieger, schlecht für eine Hausfrau.

Der Film macht aus dem ungestümen und in der alten Version anfangs recht linkischen Mädchen eine Heldin, die weniger von purer Abenteuerlust getrieben wird als von kämpferischem Ethos und familiärer Hingabe. Auch ihr Gefährte fällt etwas ehrfürchtiger aus. Anstelle des trotteligen Drachens Mushu wird Mulan von einem orangen Phoenix mit guten Verbindungen zum Übersinnlichen begleitet.

KinoCheck

Als die Hunnen unter Führung des Oberschurken Bori Khan (Jason Scott Lee) und der Hexe Xianniang (Gong Li) ins Land einfallen und die kaiserliche Armee pro Familie einen Mann einzieht, springt Mulan in der Tarnung eines männlichen Rekruten für den kranken Vater ein. Unter dem Namen Hua Jun bewährt sie sich zunächst bei der beinharten Ausbildung, um schließlich mit wehend langem Haar das Kaiserreich vor der Invasion zu retten. Vor allem bei den Kampfszenen sucht der Film Anschluss an das Wuxia-Kino.

Zwei Genres verbindend

Es wird senkrecht an Wänden hochgelaufen, über Dächer gesprungen, durch die Luft geflogen und einiges an Objekten zweckentfremdet. Das Vokabular bindet den Stoff an eine filmhistorische Tradition zurück. Andererseits macht genau dieser kulturelle Anschluss es dem Film nicht eben leicht. Mulan muss sich nun nicht nur am quirligen Flair der Disney-Animationsfilme messen lassen, sondern auch noch mit der formalen Präzision und Eleganz des Martial-Arts-Kinos.

Auch gehören bei letzterem Genre starke Heldinnen fest dazu. Mulans Bruch mit der Tradition und der solidarische Zusammenschluss mit der von den Männern um ihren Platz gebrachten Kriegerin Xianniang: So charismatisch die beiden Frauenfiguren auch ausfallen, wirkt das doch weit weniger progressiv und frisch als in bester Absicht geplant. (Esther Buss, 3.9.2020)