Das Verhältnis zwischen der deutschen Bundeskanzlerin und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war nicht immer einfach. Doch mit dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hat es einen neuen Tiefpunkt erreicht.

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Nein, so recht mag Alexander Sabajew nicht an die Version eines Giftanschlags mit Nowitschok glauben: "Im Vordergrund stehen Stoffwechselstörungen, die nicht charakteristisch für eine organische Phosphorverbindung sind", sagte der Cheftoxikologe der Region Omsk, wo Alexej Nawalny zuerst behandelt wurde.

Der Kreml bietet eine Reihe von Ärzten auf, um Zweifel an der Diagnose des Bundeswehr-Labors zu säen, die am Vortag bekannt geworden war. Da war auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel vor die Medien getreten und hatte in eindeutigen Worten eine Erklärung des Kreml gefordert. In Russland kamen zunächst aber vor allem Experten zu Wort. Ihr einheitlicher Tenor: Wenn es sich um ein Gift der Nowitschok-Gruppe gehandelt hätte, wäre nicht nur der Oppositionelle, sondern es wären auch Menschen aus seinem Umfeld vergiftet worden.

Versuch, Russland zu schaden

Die russische Führung weist jedenfalls alle Schuld von sich: Vor dem Abtransport nach Berlin sei der Oppositionspolitiker zwei Tage in einer Omsker Klinik gelegen, wo ihm die Ärzte das Leben gerettet, aber kein Gift gefunden hätten, so Kremlsprecher Dmitri Peskow. Explizit sagte er es nicht, doch in den Worten schwang der Verdacht mit, dass Nawalny eventuell ein Gift später verabreicht worden sei, um Russland zu beschuldigen.

Die ungewohnt harte Ansage Merkels Richtung Moskau hatte auch in Deutschland viele Reaktionen hervorgerufen und eine Debatte entfacht, wie nun mit der Gasleitung Nord Stream 2, die russisches Erdgas nach Deutschland und von dort weiter nach Europa bringen soll, umzugehen sei.

"Wir wollen gute Beziehungen zu den russischen Menschen, aber wir müssen das System Putin als das betrachten, was es ist – ein aggressives Regime, das seine Interessen ohne Skrupel auch mit Mitteln der Gewalt durchzusetzen versucht und die internationalen Verhaltensregeln immer wieder verletzt", sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) der Rheinischen Post.

Sprache der Härte

Deutlicher wurde der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss, Norbert Röttgen (CDU), der sich als Nachfolger von AKK an der CDU-Spitze bewirbt. Er fordert, die geplante Inbetriebnahme von Nord Stream 2 auf Eis zu legen und erklärt, Putin verstehe "nur die Sprache der Härte".

Auch die Grünen fordern den Abbruch von Nord Stream 2. "Der offenkundige Mordversuch durch die mafiösen Strukturen des Kreml kann uns heute nicht mehr nur besorgt machen, sondern er muss echte Konsequenzen haben", betont Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Schließlich könne man das bei Nawalny nachgewiesene Nervengift Nowitschok nicht in der Drogerie kaufen. Göring-Eckhardt: "Deswegen braucht es hier eine sehr klare Antwort." Man könne sagen: "Nord Stream 2 ist nichts mehr, was wir gemeinsam vorantreiben können."

In Moskau sieht das Außenministerium die Härte der Kanzlerin hingegen wenig freundlich. Dort war am Donnerstag von "lautstarken öffentlichen Erklärungen ohne Fakten" und einer "schmutzigen PR-Kampagne gegen Russland" die Rede. Und Duma-Chef Wjatscheslaw Wolodin sprach am Donnerstag dann offen aus, dass es "sich um eine geplante Aktion gegen Russland handelt, um im Ergebnis neue Sanktionen zu verhängen und zu versuchen, die Entwicklung unseres Landes zu behindern".

Lukaschenko will Beweise haben

Während der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes Sergej Naryschkin noch vorsichtig formulierte, dass Spezialkräfte des Westens hinter der Vergiftung stecken könnten, zeigte sich der Präsident von Belarus (Weißrussland), Alexander Lukaschenko, besonders gut informiert. Bei einem Treffen mit dem russischen Premier Michail Mischustin brüstete er sich, ein Telefonat zwischen Berlin und Warschau abgehört zu haben, das beweise, dass Merkels Aussage Fake sei, um Russland und Belarus zu schaden.

Allen Dementis zum Trotz weiß auch der Kreml, dass Sanktionen näher rücken – wenngleich die EU derzeit keine verhängen will. Der Politologe Iwan Timofejew rief Moskau dazu auf, sich auf Sanktionen vorzubereiten. Diese würden voraussichtlich mit der Bestrafung auf die Anwendung von Massenvernichtungswaffen – Nowitschok zählt zu den Chemiewaffen – begründet werden, vermutete er. Eine mögliche Maßnahme sei das Einfrieren von Konten und ein Einreiseverbot für Personen, die die EU und die USA für schuldig erachteten. "Die politische Resonanz könnte sich aber auch auf die Position der EU zu Nord Stream 2 auswirken, die schon jetzt ziemlich unschlüssig ist", fügte Timofejew hinzu. (André Ballin aus Moskau, Birgit Baumann aus Berlin, 3.9.2020)