Um zehn Uhr fährt der Bauer aufs Feld raus, in seinem Anhängertank das konzentrierte Glück seiner ganzen Kuh- und Ziegensippschaft. Sobald der Hahn aufgedreht wird und die Düsen ihre Arbeit aufnehmen, wälzt sich der säuerlich duftende Sprühnebel über die Maierwiesen bis direkt vor die Haustür von Studio Precht, und manchmal sogar hinein bis zum Besprechungstisch. "Wenn wir Besuch von Bauherren und Investoren bekommen, die bei uns mit Münchner oder Berliner Kennzeichen vor fahren", sagt Chris Precht, "dann lieben die diesen Moment, dann sind die plötzlich ganz verzückt über die unmittelbare Authentizität des Salzburger Landlebens."

Chris (36) und Fei Tang (37) Precht haben ihr Büro vor zehn Jahren in Peking gegründet.
Foto: Czaja

Gemeinsam mit seiner Frau Fei Tang betriebt der 36-Jährige ein Architekturbüro, irgendwo oben auf den Hängen über der Salzach, dessen Vornamen und Gesichter in der Öffentlichkeit fast gänzlich unbekannt sind, doch dafür wird der Name Studio Precht von sämtlichen Blogs und Onlinemagazinen zwischen New York und Schanghai im regelmäßigen Rhythmus auf- und abdekliniert. Auf Dezeen, Designboom, Archdaily, Architizer, Archolivers, aber auch auf asiatischen Plattformen wie etwa Gooood oder Designwire sind dutzende Einträge und hunderte schöne Bilder zu sehen. Manchmal handelt es sich um realisierte Bauwerke, meist jedoch um fiktive Projekte an fiktiven Standorten für fiktive Kunden. Die Renderings sind eine Wucht.

Pläne für ein Hilton im indischen Hyderabad ...
Visualisierung: Studio Precht

Ein Baumhaus namens Bert

"Die meisten Architekten buttern wertvolle Arbeitszeit in offene, internationale Architekturwettbewerbe, und wenn man sich anschaut, wie viele Teilnehmer es bei so manchem Projekt gibt, dann grenzt die Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit an Gratiskreativität mit null Aussicht auf Realisierung", sagt Precht. So wie damals im Juni 2014, als beim Wettbewerb für das Guggenheim in Helsinki plötzlich mehr als 1700 Projektentwürfe eintrudelten. Das Projekt wurde gestoppt, das finnische Guggenheim in den historischen Äther verbannt.

"Wir machen es anders. Wir investieren unsere Gratisarbeit stattdessen in fiktive Bauaufgaben, von denen wir überzeugt sind, dass sie einen wertvollen baulichen, konstruktiven, konzeptionellen Beitrag für die Welt von morgen liefern können." Ein Bausystem aus Bambus beispielsweise, an dem man zwei Jahre lang entworfen, getüftelt und mit Experten aus Bali Workshops gemacht hat, bei dem man 700 Bambusrohre bestellt und im Garten anschließend dreidimensionale Verbindungen zusammengeknotet hat. Ein Baumhaus namens Bert etwa, das ausschaut, als hätte jemand einen 15 Meter hohen Baumstamm mit ein paar abgesägten Ästen in den Wald gestellt. Eine vertikale Farm aus dreidimensionalen Holzmodulen, die je nach Be lieben zu einem grün wuchernden Skyscraper hochgestapelt werden kann.

... für das Wohnhochhaus Toronto Tree ...
Visualisierung: Studio Precht

"Wir veröffentlichen diese Projekte, die zwar keinen Bauherren und keinen Standort haben, dafür aber bis zur letzten Schraube durchkonzipiert und millimetergenau durchgeplant sind, auf Instagram und beschicken damit einige auserwählte Redaktionen", sagt der Herr mit dem breiten Grinser, "und dann nimmt alles seinen Lauf." Eine Viertelmillion Abonnenten hat @chrisprecht auf seinem Instagram-Account, meist kommen innerhalb weniger Stunden Anfragen von Blogs und Magazinen aus aller Welt. Und wozu das Ganze? "Um potenzielle Kunden anzusprechen."

... und für das Baumhaus Bert am Pogusch.
Visualisierung: Studio Precht

Mit Erfolg. Gegründet wurde Studio Precht 2010 in Peking. Chris und Fei Tang lernten einander in der chinesischen Büroniederlassung von Graft Architects kennen, jenen Sonnyboys, die für Brad Pritt und andere Stars und Sternchen tätig sind, und machten sich mit einer 5000 Quadratmeter großen, temporären Installation in Xiangyang, Provinz Hubei, selbstständig. In den sieben Jahren bis zu ihrem Umzug nach Österreich bauten sie sich ein Büro mit 20 Mitarbeitern auf und wickelten rund 100 Projekte ab, ein Drittel davon wurde realisiert.

"Doch wir haben festgestellt, dass Glück nicht skalierbar ist, dass mit dem immer größer werdenden Büro lediglich die Bürokratie und die kaufmännischen Herausforderungen zunehmen, nicht aber unsere persönliche Zufriedenheit", sagt Precht. "Also haben wir das Büro aufgelöst, haben die Koffer gepackt und sind nach Österreich gezogen." Zwei Festangestellte haben die beiden heute – und die Qual der Wahl, welchen Projekten sie eine Abfuhr erteilen. "Im Leben als Architekt gibt es zwei Phasen. Jene, in der man immer Ja sagen muss, und jene, in der man beginnt, Nein zu sagen." Aufgrund der großen internationalen Publicity ist Studio Precht seit einigen bereits Jahren in Phase zwei.

Offene Wettbewerbe? Nix da!

Viele, viele Bauherren haben sich von der Magie der gerenderten Bilder und feinsäuberlich durchdetaillierten Projekte verzaubern lassen – darunter etwa ein Berliner Investor, der in Toronto ein Wohnhochhaus errichten will, ein indischer Hotelier, der in Hyderabad ein grünes Hilton bauen mag, Familie Reitbauer, die im Steirereck am Pogusch sechs Baumhäuser hinstellen möchte. Toronto ist on hold, Spatenstich Hyderabad ist im kommenden Frühjahr, am Pogusch sollen die Bauarbeiten im Oktober starten. Hinzu kommen diverse Shops, Lokale und Interiorprojekte, etwa ein Farm-to-Table-Restaurant in Riad, Saudi-Arabien, oder mobile Kiosks für die japanische Kette %Arabica in Schanghai, Hongkong, Bangkok, Dubai und Sofia.

"Unser Portfolio ist ganz klar strukturiert", sagt Precht. "Auf der einen Seite haben wir klassische Auftragsarbeiten wie etwa Einfamilienhäuser, Wohnbauten und Hotelprojekte in der Umgebung. Auf der anderen Seite haben wir unsere selbst initiierten Träume und Visionen, die wir als Forschungs- und Vermarktungsmittel einsetzen. Das ist unser Kapital. Und ja, nicht alle, aber manche davon schaffen den Weg in die Realität." Nur eines ist im Studio Precht ein rotes Tuch. Offene Wettbewerbe. "Nie wieder!"

Elf Uhr. Das Telefon läutet. Das Interview muss für ein paar Minuten unterbrochen werden. "Entschuldige bitte, das muss ich annehmen." Am anderen Ende ist Edi Rama, Ministerpräsident von Albanien, eine Anfrage für ein Projekt in der Nähe von Tirana. Vielleicht wird Herr Rama ja bald Salzburger Berg- und Kuhluft schnuppern. (Wojciech Czaja, 8.9.2020)