Viele Alleinerzieherinnen plagte die Angst, selbst an Covid-19 zu erkranken. Wer kümmert sich dann um die Kinder?

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Selten haben Eltern den Schulbeginn so sehnsüchtig erwartet wie in diesem Jahr. Nach Monaten mit Homeschooling und gestaffeltem Unterricht kehrt ein Stück Normalität in den Familienalltag zurück. Die Mehrfachbelastung, die überwiegend von Frauen gestemmt wurde, wiegt für Alleinerziehende oft besonders schwer.

"Ich setze sehr viel Hoffnung in diesen Schulstart", sagt Mareike Fuchs*. Die Alleinerzieherin arbeitet aktuell im Homeoffice, für improvisierten Unterricht bleibt wenig Zeit. Eigenverantwortlich Rechenaufgaben zu lösen oder lesen zu üben fiel ihrem achtjährigen Sohn äußerst schwer.

"Wir unternehmen sonst viel, ihm fehlte einfach der Ausgleich", erzählt die Alleinerzieherin im STANDARD-Interview. Während der Ausgangsbeschränkungen mieden die beiden belebte Orte in Wien und verzichteten auf Treffen mit Freund*innen. Der Schulbeginn soll nun für beide Erleichterung bringen. "Ich bin auf die öffentliche Betreuung angewiesen, ich sorge allein für unseren Unterhalt, also kann ich meinen Job nicht einfach aufs Spiel setzen", sagt Fuchs.

Geschlossene Türen

Vor dem Ende der Sommerferien zeigte sich die Regierung optimistisch: Ein Aussetzen des Unterrichts werde im Herbst und Winter "so punktuell, so regional und so kurz wie möglich" passieren, versicherte Frauenministerin Susanne Raab besorgten Eltern im Rahmen einer Pressekonferenz. Schulen sollen auf jeden Fall für Kinder geöffnet sein, die nicht zu Hause betreut werden können.

Diese Regelung galt schon im Frühjahr – doch in der Praxis funktionierte das keineswegs reibungslos, kritisiert Jana Zuckerhut von der österreichischen Plattform für Alleinerziehende. "Jede Schule und jeder Kindergarten hat das anders gehandhabt. In der einen Einrichtung wurden Kinder gerne aufgenommen, anderswo hieß es: bitte nur im absoluten Notfall." Bund, Länder und Gemeinden müssten hier künftig besser zusammenarbeiten – und Regeln klar kommunizieren, fordert die Alleinerziehenden-Vertreterin.

Auch Mareike Fuchs, die sich beim "Aufstand der Alleinerziehenden" engagiert, kennt Berichte alleinerziehender Mütter, die an der Schultür abgewiesen wurden. "Alleinerziehende gelten in Österreich immer noch als die schlechteren Eltern. Dann auch noch das Recht auf Betreuung durchzukämpfen, das fällt vielen schwer", sagt Fuchs. Statt zusätzlich aufzufallen oder als schwierig zu gelten, würden sie stillschweigend die Extraarbeit schultern. In der Aufstand-Gruppe organisierten die Aktivist*innen Telefondienst und boten verzweifelten Alleinerziehenden Unterstützung an. "Aber auch unsere Handlungsmacht im Umgang mit den Kinderbetreuungseinrichtungen ist begrenzt", sagt Fuchs.

15-Stunden-Tage

Wie viel Arbeit Alleinerziehende – neunzig Prozent von ihnen Frauen – täglich leisten, zeigt eine Studie der Ökonomin Katharina Mader. Während der strikten Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr untersuchte sie die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern mittels eines Online-Fragebogens. Mit knapp 15 Stunden Arbeit pro Tag standen Alleinerzieherinnen an der Spitze der Erhebung, neun Stunden davon wendeten sie für unbezahlte Kinderbetreuung und Hausarbeit auf. Knapp dahinter reihten sich Mütter in Paarhaushalten mit Kindern ein, deren Arbeitstag ganze 14,5 Stunden lang ist.

Rund um die Uhr allein für die Kinderbetreuung zuständig und zusätzlich mit Homeschooling und einem drohenden Jobverlust konfrontiert zu sein – diese psychische Belastung werde noch lange nachwirken, ist Jana Zuckerhut überzeugt. Unzählige Betroffene wandten sich mit ihren Sorgen an die Plattform für Alleinerziehende. So plagte viele die Angst, selbst an Covid-19 zu erkranken. "Das für viele ein Riesenthema: Wer kümmert sich um die Kinder, wohin kommen sie, wenn ich ins Krankenhaus muss?", erzählt die Alleinerziehendenvertreterin. In Wien richtete die Stadt für solche Fälle eine Wohngemeinschaft ein, betroffenen Kindern bleibt so der Aufenthalt in einem Krisenzentrum erspart.

An der Armutsgrenze

Der alljährliche Schulbeginn im Herbst stellt für viele Alleinerziehende aber auch eine enorme finanzielle Belastung dar. Alleinerziehende und ihre Kinder sind in Österreich besonders armutsgefährdet: Ganze 32 Prozent der Personen in Ein-Eltern-Haushalten galten 2019 als armutsgefährdet, berichtet die Statistik Austria. Neue Turnschuhe, Stifte, ein Zirkel – für viele ein Horror, sagt Zuckerhut. "Hier wäre es durchaus sinnvoll, über Sachleistung nachzudenken. Grundlegende Dinge wie Hefte oder Zirkel könnten auch von der Schule zur Verfügung gestellt werden."

Aber auch die Lage am Arbeitsmarkt bereitet vielen Kopfzerbrechen. 85 Prozent des Anstiegs der Arbeitslosen und derer, die an Schulungen teilnehmen, entfiel im Frühjahr auf Frauen. Eine geplante Corona-Arbeitsstiftung soll daher vor allem Frauen unterstützen, verkündeten die Ministerinnen Raab und Aschbacher im August. Frauen sollen unter anderem besser qualifiziert und in technische Berufe gebracht werden.

Unterstützungsleistungen zielen indes allzu oft auf Paarfamilien ab, kritisiert Jana Zuckerhut. So sei im Familienhärtefonds nicht berücksichtigt worden, ob ein Elternteil weniger oder keinen Unterhalt mehr zahle. Und auch geringfügige Beschäftigung, die für Alleinerziehende einen wichtigen Zuverdienst darstelle, habe die Regierung nicht im Blick. "400 Euro haben oder nicht haben macht für Alleinerziehende, die ohnehin oft an der Armutsgrenze leben, einen großen Unterschied", so Zuckerhut.

Mit Blick auf den Schulstart hofft Mareike Fuchs, dass die Politik künftig auf Aufklärungsarbeit setzt: "Ich glaube wir überschätzen in Österreich die Bedeutung der Kernfamilie. Wir brauchen ein Umdenken: Sein Kind in Betreuung zu geben, das hat sehr wohl etwas mit gutem Elternsein zu tun." (Brigitte Theißl, 6.9.2020)