Neo-Staatsbürger Ben Zion Lapid, 84 Jahre alt, aus Israel, gebürtig in Wien.

Foto: Maria Sterkl

Seit 1. September können aus Österreich vertriebene NS-Überlebende und deren Nachfahren die österreichische Staatsbürgerschaft zurückerlangen. Bisher war das nur eingeschränkt möglich. Nirgends ist das Interesse so groß wie in Israel, bestätigt die dortige Botschafterin Hannah Liko dem STANDARD. Der 84-jährige Ben Zion Lapid ist der erste Neo-Österreicher nach dem neuen Gesetz. Er sagt, für ihn schließe sich nun im hohen Alter ein Kreis.

STANDARD: Vor 76 Jahren mussten Sie Österreich verlassen. Wie kam es zu dem Entschluss, nach so vielen Jahren die Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen?

Lapid: In der Zeitung stand, man kann die Staatsbürgerschaft bekommen. Und meine Enkel haben gesagt: "Saba (Hebräisch für Opa, Anm.), mach was!" Eine Enkelin ist an der Kunstakademie, die will vielleicht einmal in Europa studieren, ein anderer Enkel will Flamenco tanzen in Toledo. Da hab ich gesagt: Ich bin im Herbst meines Lebens, mir ist egal, wer oder wie ich bin, aber ich möchte meinen vier Kindern und acht Enkeln etwas hinterlassen. Sie können ja jetzt auch Österreicher werden, und wenn sie einmal von hier wegmüssen und Zuflucht brauchen, dann haben sie einen Ort.

STANDARD: Es war also nicht unbedingt Ihr eigener Wunsch, Österreicher zu werden?

Lapid: Doch, schon. Es war nicht so, dass meine Enkel mich gedrängt hätten, und wäre es Rumänien oder Schweden gewesen, hätte ich gesagt: Interessiert mich nicht. Aber Österreich ist etwas anderes. Ich war der Hansi aus Hernals, vom Diepoldplatz 4, jetzt komme ich nach 76 Jahren als Ben Zion Lapid wieder.

STANDARD: Freut Sie das?

Lapid: Die Enkerln und die Kinder freuen sich. Und für mich schließt sich ein Kreis. Man hat mich ja damals mitgenommen, ich ging nicht aus eigenem Willen, ich war ja ein Kind. Israel ist mein Zuhause, klar, aber es ist schon auch so etwas wie Heimkommen. Weil ich ja noch Deutsch spreche und mich interessiere für das, was in Österreich passiert. Und weil mein Bruder in Österreich lebt. Ich wünschte nur, ich könnte die Staatsbürgerschaft noch meiner Mutter weitergeben oder meinem Vater.

STANDARD: Sie sind mit Ihrer Mutter 1946 ins heutige Israel geflüchtet. Wie haben Sie es geschafft, im nationalsozialistischen Wien zu überleben?

Lapid: Meine Mutter war Jüdin, aber mein Vater war Christ, so hat sie es irgendwie geschafft, als Zwangsarbeiterin. Jede Woche musste sie einen ganzen Norwegerpullover stricken. Sie war eine sehr mutige Frau. Ein Mann in der Fabrik hat sie einmal als "jüdische Parasitin" beschimpft. Sie hat ihm ihre Hände hingehalten, kräftige Hände mit starken Fingern, und sie hat zu ihm gesagt: "Sehen so die Hände einer Parasitin aus?" Dann hat er sie in Ruhe gelassen. Man hat sie ein paar Mal eingesperrt, aber sie hatte Glück und kam immer wieder raus. Mich hat sie 1944 nach Slowenien geschickt, zu meiner Tante.

STANDARD: Wie lange waren Sie von Ihrer Mutter getrennt?

Lapid: Im Jahr 1946 hat mich meine Mutter aus Slowenien abgeholt und ist davongelaufen mit mir. Wir waren dann ein Jahr in Italien, in allerhand Lagern, dann sind wir auf einem kleinen Flüchtlingsschiff nach Israel, ganz beengt sind wir draufgestanden, 1.500 Menschen. Die Engländer haben uns abgefangen, nach Zypern gebracht, und dort war ich wieder neun Monate in einem Lager, getrennt von der Mutter, mit Zelten im Sand. Das war sehr schwer dort, Wasser kriegten wir nur ganz wenig. Später wurde ich nach Israel geschmuggelt, kam in ein Lager und dann zu einer Familie. Meine Mutter sah ich erst später wieder. Sie kam aus Zypern mit ihrem neuen Mann.

STANDARD: Ihren hebräischen Nachnamen haben Sie sich selbst ausgesucht. Warum genau diesen Namen?

Lapid: Lapid heißt "Fackel". Für mich ist das ein Freiheitssymbol. Manchmal frage ich mich, wie mein Leben gewesen wäre, wenn ich nicht von der Familie getrennt worden wäre. Aber ich glaube, ich habe es immer irgendwie geschafft, mich in extremen Situationen anzupassen. Und ich habe immer schon viel gemalt, um in eine Welt der Fantasie zu flüchten. Das hat mir geholfen. (Maria Sterkl, 4.9.2020)